Siegen/Kreuztal. Vorwurf: Frau hat nach dem Tod des Lebensgefährten weiter mit dessen EC-Karte eingekauft. Vor dem Siegener Gericht kommt es zum Familienstreit.

Die Vorwürfe sind besonders unappetitlich. Eine 71-jährige Frau aus Kreuztal soll die EC-Karte ihres todkranken Lebensgefährten unterschlagen sowie in den Tagen und Wochen nach seinem Tod im Herbst 2019 insgesamt 31700 Euro von dessen Girokonto abgehoben haben.

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Sie hat ihre Einstellung dazu schon auf dem Flur vor Amtsgerichtssaal 172 deutlich gemacht und wiederholt sie auch vor dem Schöffengericht noch einmal: „Ich bin mir keiner Schuld bewusst!“ Nach gut zweieinhalb Stunden kann sie tatsächlich mit einem Freispruch nach Hause gehen.

Amtsgericht Siegen: Die eine oder andere unschöne Szene

Aber es dauert, und es geht auch nicht ohne die eine oder andere unschöne Szene im Saal ab. Weil sich die Parteien in diesem Erbschaftsstreit, etwas anderes ist es nicht, ganz offensichtlich auf den Tod nicht ausstehen können. Da sind die Nichte und ein Bruder des Lebensgefährten, die es hörbar nicht überwunden haben, dass dieser seine Freundin „in einer Kneipe“ kennengelernt hat. Sie haben einen Erbschein und wollten den Nachlass unter sich aufteilen. Und da ist die Angeklagte, die eben das Konto leer geräumt und auch Wertsachen aus dem Haus mitgenommen hat. Mit vollem Recht, wie sie die ganze Zeit unterstreicht.

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Am 19. Oktober 2019, gegen ein Uhr in der Frühe, ist ihr langjähriger „Lebensabschnittsgefährte“ im Krankenhaus verstorben. Voller Krebs sei er gewesen, was aber vorher beide nicht wussten. Am Vormittag hob sie den ersten Betrag von seinem Konto ab, bis zum 4. November erreichten die Verfügungen die oben genannte Summe. „Er hat mir seine EC-Karte gegeben und die PIN. Hol die Kohle vom Konto. Du brauchst sie und ich brauche sie nicht mehr“, habe er zu ihr gesagt, erklärt die Angeklagte erregt. Ihr Freund habe genau gewusst, dass seine Verwandten schon mit dunklen Absichten auf seinen Tod gewartet hätten. Sie beide hätten nie eine offizielle Regelung getroffen. Für ein Testament „war er nicht der Typ“.

Siegen: Amtsrichter wundert sich über Aussagen vor Gericht

Drei Tage vorher sei das mit der Erklärung gewesen, als der Mann auf der Toilette zusammenbrach und von ihr mit Hilfe einer herbeigerufenen Freundin auf die Couch verfrachtet worden sei. Geschlafen soll er da im Wohnzimmer schon länger haben. Weil es ihm nicht gut ging und er nicht mehr ins Obergeschoss kam. Aber ins Krankenhaus habe er um keinen Preis gewollt, sagt sie und wird später von der Freundin Recht bekommen. Die auch die Sache mit der E-Karte bestätigt. Wenngleich in etwas anderen Worten, was ihre Aussage jedoch eher glaubwürdig macht.

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Amtsrichter Matthias Witte wundert sich, warum sie mit den Abhebungen nicht direkt danach begonnen hat. „Er lebte doch noch und ich musste mich um ihn kümmern“, entgegnet die Rentnerin pragmatisch. Als es ihrem Gefährten am 18. Oktober immer schlechter ging, er nicht mehr ansprechbar war, rief sie gegen seinen Willen einen Krankenwagen und ließ ihn ins Hospital bringen. Als dann der Anruf wegen des Todes kam, „sah ich meine Felle wegschwimmen“. Sie habe Rechnungen zu bezahlen gehabt und geahnt, dass die Verwandten des Mannes vor der Tür stehen würden. Tatsächlich ist erwiesen, dass sie die kompletten Kosten für den Krankentransport und die Beerdigung beglichen hat. Gut 18 Jahre habe sie mit dem Mann zusammengelebt. Sie hätten sich in einer Kneipe kennengelernt, irgendwann „hat er mich mit nach Hause genommen“. Sie hätten viel Spaß miteinander gehabt, praktisch alles geteilt und „jeder hat was bezahlt“. Mit den Verwandten habe es kaum Kontakt gegeben, bis auf Geburtstage zwei oder dreimal im Jahr.

Amtsgericht Siegen: Auftritte der Zeugen sind vielsagend

Die Auftritte der Zeugen fallen vielsagend aus. „Die Person, die hier neben mir sitzt“, habe das Konto abgeräumt und im Haus nur Schrott hinterlassen, giftet die Nichte des Toten, den sie als ruhigen und liebenswerten Menschen beschreibt. Kontakt habe es regelmäßig gegeben, behauptet die Zeugin, um dann aber einzuräumen, dass dieser eigentlich kaum bestanden habe. Weil „diese Person uns immer abgewimmelt hat“.

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Das Geld des Onkels hätte garantiert noch gereicht, um die Entrümpelung „der Bruchbude“ zu bezahlen, in der die Angeklagte wohl in der oberen Etage gelebt hätte. Ihrem Vater habe der Onkel von Fremdgehen der Frau erzählt. Diese selbst habe dem Vater gesagt, sie werde das Konto leer räumen, „wenn er mal den A… zumacht!“ Leider sei ihr Vater verstorben. Auf Nachfrage des Gerichts muss sie einräumen, eigentlich gar nichts über das Leben ihrs Onkels zu wissen. Aber es hätte auch Schmuck und Silberbesteck gefehlt, ihre Familie sei „immer betucht“ gewesen. Ihr Miterbe, ein weiterer Bruder des Toten, sagt praktisch gar nichts und will nicht einmal mehr wissen, warum er eigentlich mit seiner Nichte Anzeige erstattet hat. Seine Frau kommt später noch und wettert ebenfalls gegen „die Person“.

Amtsgericht Siegen: Auftritte der Zeugen sind vielsagend

Nach all dem ist es wenig verwunderlich, dass die Staatsanwältin auf Freispruch plädiert und der Verteidiger sich direkt anschließt. Richter und Schöffen brauchen dann noch eine gute Viertelstunde um den Freispruch festzumachen. Wobei der Vorsitzende mehrfach betont, dass es um Zweifel gehe, nicht unbedingt um sicheres Wissen. Jedenfalls sei die Darstellung der Angeklagten nicht zu widerlegen, die aber eben auch nicht nur wenige Monate mit dem Verstorbenen zusammengelebt habe.

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Matthias Witte erklärt sehr ausführlich die Bewertung der Aussage des Mannes bezüglich der Nutzung seiner EC-Karte als Erlaubnis, die auch als transmortale Kontovollmacht weitergegolten habe. Zumal es von den gesetzlichen Erben keinen Widerspruch gab, was der BGH mehrfach anerkannt habe. Ein „Geschmäckle“ will der Vorsitzende nicht ausschließen, sieht aber den Freispruch in diesem Moment als berechtigt an.