Wilgersdorf. Käse mit Qualität: In Wilnsdorf-Wilgersdorf ist das Gras besonders saftig. Hier weiden die Schafe der Edelkäserei Kalteiche.

Bei all den vielen saftig-grünen Siegerländer Wiesen, dem weiten blauen Himmel darüber hat man mitunter das Gefühl: In Wilgersdorf ist das Gras noch ein bisschen grüner, der Himmel noch ein bisschen blauer. Vielleicht schmeckt man das auch. Denn: Jeden Morgen treibt Matthias Kühn zusammen mit Hund Jill seine Schafe auf die Weide am Fuß der Kalteiche. Bei Wind und Wetter holpert die Herde unter lautem Geblöke auf die Wiese und futtert ausgiebig Gras und Kräuter. Später werden die Tiere gemolken und aus der Milch wird Käse. Und was für Käse.

Seit 13 Jahren gibt es die Edelkäserei, seit 10 Jahren in Wilgersdorf

„Edelkäserei Kalteiche“ heißt der Landwirtschaftsbetrieb, den Matthias Kühn zusammen mit seiner Frau Ricarda, seiner Schwester Sarah und deren Lebenspartner Lars Schäfer betreibt. 120 Schafe halten die Kühns, dazu haben sie drei Hühnermobile – Hühner fressen auch Gras –, das Futter erzeugen sie selbst: Heu- und Grassilage, ein bisschen Mais und Getreide.

Vor 13 Jahren wurde der Hof gegründet, seit zehn Jahren ist er in Wilgersdorf. Matthias Kühn wusste schon immer, dass er Landwirt werden wollte. Jedenfalls so lange er denken kann. „Mit 5 Jahren habe ich gesagt ‘Ich werde Landwirt’. Damals haben alle gelächelt.“ Sagt’s und lächelt. Die Eltern hätten lieber ein Abitur in Hilchenbach gesehen, Matthias Kühn war aber auch in der 10. Klasse noch felsenfest überzeugt von seinem Plan, Landwirt zu werden. Er suchte sich einen Ausbildungsplatz und ging mit 16 Jahren an den Niederrhein.

Edelkäserei Kalteiche wächst aus der umgebauten Garage zum eigenen Hof in Wilnsdorf

Es dauerte lange, bis Matthias Kühn zurückkam ins Siegerland. Er ging auf Wanderschaft, arbeitete bei Landwirten in Wesel, Euskirchen, Paderborn, Gießen, der Schweiz. Irgendwann stand für ihn fest: Er wollte kein angestellter Landwirt sein, er wollte seinen eigenen Hof. Ließ sich zum „staatlich geprüften Agrarbetriebswirt“ in Meschede weiterbilden. „Ich hatte schon gekäst“, erzählt Kühn, auch mit Schafen gearbeitet, er fing an in einer umgebauten Garage, fuhr abends Pakete aus, „es war anfangs nicht sehr einträglich“, sagt er schmunzelnd. Seine Schwester Sarah Kühn, die damals Geschichte und Kunstgeschichte studierte, half ihrem von der Nachtarbeit gebeutelten Bruder morgens beim Melken, gab das Studium bald auf und absolvierte eine Ausbildung zur Landwirtin. „Sie hat voll mitgemacht“, sagt ihr Bruder dankbar.

Morgens bringt Matthias Kühn die Schafherde auf die Weide in Wilgersdorf.
Morgens bringt Matthias Kühn die Schafherde auf die Weide in Wilgersdorf. © Hendrik Schulz

Nach vier Jahren kam der alte Standort an seine Grenzen, platzmäßig. Die Kühns konnten den Hof in Wilgersdorf kaufen, der damals eigentlich nur ein Stall und ein bisschen Land drumherum war. Sie bauten das Haus und die Käserei, schafften Schafe und Ziegen an. Im Hofladen gibt es natürlich Käse, Bio-Eier und Frühkartoffeln.

Grundlegender Fehler im System Landwirtschaft – nicht mit Matthias Kühn

Käse interessierte Matthias Kühn schon immer, „total spannend“, sagt er. Und er isst ihn auch gerne. Im ersten Jahr arbeitete die Edelkäserei wie ein konventioneller Milchbetrieb: Sie lieferte ihre Ware ab. Bis sie die Nase voll davon hatten. „Es ist nicht nachvollziehbar, dass die Preise für die eigenen Produkte von anderen bestimmt werden“, sagt Matthias Kühn. Ein grundlegender Fehler im System, findet er: „Wenn ich dem Klempner, der mir ein neues Bad einbaut, nachher sage: Du kriegst Summe X – das ist das, warum Landwirtschaft nicht funktioniert.“ Dem wollte er sich nicht länger stellen; „wenn wir etwas machen, dann stelle ich es verkaufsfertig her und nenne den Kunden den Preis – mach es oder lass es.“ Damit fährt er seither ziemlich gut. „Wir sind noch nie auf Käse sitzengeblieben.“

In der Käserei reifen die Käselaibe.
In der Käserei reifen die Käselaibe. © Himmel un Aäd UG | Estella Cron

Die Edelkäserei Kalteiche vermarktet ihre Produkte selbst, im Siegerland über den Biofach- und den örtlichen Lebensmittelfachhandel – Denn’s Biomarkt, Birkenhof, Wilnsdorfer Rewe-Märkte der Familie Dreysse zum Beispiel. Vier Mal die Woche fahren die Kühns ins Rheinland, auf Märkte im Raum Köln/Bonn. Morgens wird der Anhänger auf den Platz gestellt, dann startet die Liefertour durch die Bioläden, auf dem Rückweg wird der Marktstand wieder eingesammelt.

Ziegenmilch kommt inzwischen vom Mathildenhof nach Wilgersdorf

Die Ziegen haben die Kühns inzwischen wieder abgegeben, sie wollten sich auf Schafe konzentrieren, fanden mit dem Morsbacher Mathildenhof einen Abnehmer, von dort kommt vier Mal in der Woche die Ziegenmilch nach Wilgersdorf.

Sarah Kühn bei der Portionierung eines Käselaibs. Die Herstellung ist ein langwieriger Prozess.
Sarah Kühn bei der Portionierung eines Käselaibs. Die Herstellung ist ein langwieriger Prozess. © Hendrik Schulz

Aus Milch, Temperatur, Säuerung und Lab in verschiedenen Konstellationen wird Käse; in allen Varianten. Lebensmittelchemie, wie sie natürlicher eigentlich kaum sein könnte. Pasteurisierte Milch wird bei 27 bis 35 Grad verarbeitet, erhält zunächst eine Zugabe von Milchsäurebakterien. Zur Unterstützung des Prozesses kommt Lab dazu, ein eiweißspaltendes Enzym.

Guter Käse braucht seine Zeit – in der Edelkäserei Kalteiche mehrere Monate

Nach etwa 40 Minuten ist eine Gallerte entstanden, „wie Wackelpudding“, erklärt Kühn. Um die Oberfläche zu vergrößern, wird die Masse mit der Käseharfe geschnitten, dadurch tritt Molke aus, von der der sogenannte „Bruch“ getrennt wird. Das besteht aus Milcheiweiß (Kasein) und wird immer fester, weil sich die Bruch-Körner zusammenziehen und weitere Molke abgeschieden wird. „Anfangs ist das wie Hüttenkäse“, beschreibt Matthias Kühn die körnige Struktur mit noch vergleichsweise viel Feuchtigkeit darin. Irgendwann hat der Bruch die Konsistenz von Mozzarella.

Dann wird er in Formen geschöpft, der klebrige Bruch unter zusätzlichem Druck in eine einheitliche Masse verwandelt. Nach 24 Stunden abtropfen ist ein Käserohling entstanden, der wiederum 24 bis 36 Stunden in ein Salzbad kommt. Wieder trocknen. Manche Milchsäurebakterien erzeugen Aromen, andere Gas – so kommen die Löcher in den Käse. Zwei Monate wird der Käserohling täglich gedreht und die Oberfläche mit einer Salzwasserlösung benetzt. „Ein langwieriger Prozess“, sagt Matthias Kühn und erklärt, dass man viel mit Hilfe der Lagerung und vor allem der Rindenreifung steuern kann: Alles ist möglich; Kräuter, Asche, Karamell,...

Auf Wochenmärkten im Raum Köln/Bonn bietet die Edelkäserei ein Käse-Vollsortiment

Einmal pro Woche setzen die Kühns Frischkäse an. Zig Sorten haben sie im Grund-Sortiment; Weichkäse, Feta, Camembert, mit und ohne Walnüsse, verschiedene Schnittkäsesorten, mit Naturrinde, Asche, italienischen Kräutern. „Das wechselt ständig“, sagt Matthias Kühn. „Die Käse-Community will Abwechslung, aber wenn etwas gut ist, braucht man es auch nicht verändern.“ „SchaZie“ zum Beispiel, aus Schafs- und Ziegenmilch – „den gibt’s nirgendwo und der verkauft sich super“, sagt Matthias Kühn.

Gutes Essen wird in der Pandemie wichtiger

Regionalität und Nachhaltigkeit auch und gerade bei Lebensmitteln haben durch die Corona-Pandemie eine enorme Aufwertung erfahren, hat Matthias Kühn beobachtet. Als die Menschen nicht mehr Essen gehen konnten, merkten sie, wie wichtig gutes Essen ist, glaubt Matthias Kühn. Dass etwas fehlt, wenn nicht etwas Gutes auf den Tisch kommt.

In der Pandemiezeit habe die Edelkäserei Kalteiche auf dem Wochenmarkt viele Neukunden hinzugewonnen – von denen auch viele geblieben seien. „Es ist schon schön, wenn man weiß, wer freitags in Bad Godesberg an den Stand kommt“, erzählt Matthias Kühn, der oft selbst hinfährt. Und er weiß auch, welchen Käse diese Kunden wollen oder welchen Käse er ihnen empfehlen kann. Oft bestätigen sie ihm nachher, dass er genau ihren Geschmack getroffen hat.

Ursprünglich bot die Edelkäserei Kalteiche nur ihre eigenen Sorten am Stand an, aber das lief nicht so gut. Die Kundschaft erwartet gewissermaßen einen „Käse-Vollsortimenter“ – und im Grunde auch, dass es am Käsestand alle Molkereiprodukte gibt. Als sich die Gelegenheit bot, einen erfolgreichen Stand in Köln zu übernehmen, den die Kühns lange schon beliefert hatten, nutzen sie sie.

„Wenn ein Käse Mist ist, machste nichts mehr draus“, sagt Matthias Kühn

Sarah Kühn machte eine weitere Ausbildung: zur Milchtechnologin; und Matthias Kühn wurde Käsesommelier. Auch für die Rundumberatung am Stand. „Die Leute fragen nach Rezepten, wollen nicht einfach Gorgonzola in die Sauce schmeißen“, sagt er. Darüber lernten sie viele andere kleine Käsereien kennen. Und davon profitiert das Sortiment. „Ich kenne alle persönlich, alle machen sehr guten Käse“, sagt Kühn.

Gouda, Pecorino, Roquefort, Frisch- und Weichkäse in allen Varianten, Antipasti aus der Toskana gibt’s da in Pfandgläsern – die Edelkäserei möchte möglichst verpackungsfrei arbeiten. Von 4,50 Metern Ladentheke liegen auf gut einem Meter die eigenen Produkte aus der Edelkäserei Kalteiche. Mit Schaf- und Ziegenkäse haben sie sich durchaus ein Alleinstellungsmerkmal geschaffen. In Frankreich sei Ziegenkäse sehr beliebt, „ich finde ihn gut, ich bin stolz drauf“, sagt Matthias Kühn über das eigene Produkt. Wenn das wirklich gut ist, so die Erfahrung, dann spielt der Preis auch keine Rolle. „Wenn ein Käse Mist ist, machste nichts mehr draus. Da kannste dich auf den Kopf stellen, der wird nicht mehr gut.“ Also macht die Edelkäserei: guten Käse.