Netphen/Wilnsdorf. .

„Abmarsch!“ Die letzte Ziege lässt sich lange bitten. Doch Sarah Kühn und Judith Duttmann brauchen den Platz. Die beiden Auszubildenden des Ziegenhofs Kalteiche müssen schließlich auch noch die Schafe melken. Zwei Mal am Tag kommen die 160 Tiere auf den Melkstand, jeweils für eine Viertelstunde. Sie geben Milch für 40 Sorten Käse, die unten im Dorf gemacht werden – in der einzigen Käserei Südwestfalens.

„Der Hof hat ein sehr hartes Schicksal“, berichtet Matthias Kühn. Vor einem Jahr noch hat der 28-jährige Agrarbetriebswirt seine Schafe auf dem Hof Maustal in Herzhausen gemolken – und nicht geahnt, dass er mit seinem Betrieb nach Wilgersdorf umziehen würde. Dort betrieb Familie Reichmann ihren Ziegenhof, bis der damals 26-jährige Junglandwirt Jan Reichmann schwer erkrankte. Kühn pachtete den Betrieb und zog mit den Schafen um. Die Familien arbeiten nun zusammen: Jan Reichmanns Ehefrau Nadine qualifiziert sich gerade zur landwirtschaftlichen Milchverarbeiterin.

Ab 2012 wird eigenes
Getreide verfüttert

„Reich werden kann man von der Landwirtschaft nicht“, antwortet Matthias Kühn auf skeptische Fragen seiner Besucher. Die kommen aus Netphen, gehören zur CDU-Ratsfraktion und wollen erfahren, was aus „ihrem“ Landwirt geworden ist. Nein, sagt der, für die Förderung aus EU-Mitteln ist sein Betrieb zu klein – und das findet Kühn auch ganz gut so. „Es kann nicht das Ziel sein, eine Landwirtschaft zu haben, die sich nur über Subventionen finanziert“, sagt Matthias Kühn in die Politikerrunde. „Aber das ist Ihr Problem.“

2007 hat der Landwirtschaftsmeister sich – nach einem Aufenthalt auf einer Schweizer Alm – mit der selbst aufgebauten Käserei auf dem Hof Maustal selbstständig gemacht, wo die junge Familie jetzt nur noch wohnt. 33 Hektar Weiden stehen ihm nun, für Schafe und Ziegen getrennt, zur Verfügung, drei Mal so viel wie am Anfang. Die Verbindung von Maustal und Kalteiche ermöglicht es nun sogar, vom nächsten Jahr an eigenes Getreide anzubauen. „In Herzhausen wäre das nicht denkbar gewesen.“

Matthias Kühn ist froh, wenn er möglichst wenig Futter zukaufen muss. „Die Tiere sollen das fressen, was von unseren Weiden kommt.“ Dazu gehören auch die Äpfel, die von den Bäumen der Streuobstwiesen fallen und jetzt den Vierbeinern den Aufenthalt auf dem Melkstand versüßen. Das geerntete Obst kommt in die Mosterei, „die Schafe kriegen den Trester.“

Im Winter gibt es
keine Milch

„Eine Brennerei wäre noch ein Standbein“, schlägt der Haincher Jochen Niemand vor. Matthias Kühn winkt ab. Das Prinzip, die Veredelung der Produkte in die Herstellungsbetriebe zurückzuholen, sei zwar richtig – „das ist schnell klar, wenn man sich die Milchpreise anguckt“. Doch die Arbeitstage, die um 6 Uhr mit dem ersten Melken beginnen und gegen 20.30 Uhr mit dem letzten Melken aufhören, sind voll genug. Immerhin muss ja auch vier bis fünf Mal in der Woche Käse gemacht werden. Für den Weg in die Geschäfte hat Kühn mit dem benachbarten Birkenhof einen Partner gefunden.

Besuch ist immer willkommen. „Wir wollen ja zeigen, was wir machen.“ Keineswegs immer Käse: Ab Mitte Oktober bis in den Januar gibt es keine Milch mehr. Die Böcke verbreiten schon ihren scharfen Geruch, zum Jahresbeginn werden um die 300 Lämmer das Licht der Kalteiche erblicken. Nur wenige von ihnen werden ihre sechs Lebensjahre hier verbringen, die meisten werden verkauft und schon bald geschlachtet. Das Paradies ist eben doch woanders.