Siegen. Verteidigung für Behandlung in Suchtklinik. Anklage fordert anschließende Einweisung in Psychiatrie.

Am 14. Juni soll die Entscheidung über den Mann verkündet werden, der im August 2020 einem Bekannten an Kochs Ecke zwei Mal in den Hals stach. Er soll danach mit den Worten, „Komm, wir gehen. Ich habe den getötet“, mit einem Begleiter den Tatort verlassen haben. Bei den Plädoyers am Donnerstag zeichnet sich ein erheblicher Unterschied in den Vorstellungen von Staatsanwaltschaft und Verteidigern ab.

+++Mehr Nachrichten aus Siegen und dem Siegerland finden Sie hier!++

Anklage: Versuchte Tötung

Übereinstimmung besteht darin, dass der Angeklagte (36) zur Tatzeit schuldunfähig gewesen ist. Dies hat Gutachter Dr. Brian Blackwell am Dienstag herausgearbeitet, dem Siegener eine paranoide Schizophrenie diagnostiziert und einen starken Schub der Krankheit gerade während der Tat. Dazu kommt ein langjähriger Hang zur Einnahme von Betäubungsmitteln, deren Wirkung die Psychose noch zusätzlich verstärkt hätten.

Staatsanwältin Tabea Schneider hat den Vorwurf der versuchten Tötung angeklagt und hält nach der Beweisaufnahme daran fest. Sie glaubt dem Zeugen, der bereits drei Wochen vor der angeklagten Tat eine Auseinandersetzung mit dem Angeklagten hatte und dabei verletzt wurde. Der hat ausgesagt, der Angeklagte sei auf den Geschädigten zugekommen, habe diesen gefragt, warum er beim ersten Vorfall für ihn, den Zeugen, eingetreten sei, dann unvermittelt auf das Opfer eingestochen. Die Verteidigung des Angeklagten, dieser habe sich in Angst vor dem Verletzten befunden, sich deshalb bewaffnet und sei angegangen worden, hält Schneider für eine Schutzbehauptung. Der Mann habe ziemlich genaue Erinnerungen an beide Vorfälle, bei den Umständen der Verletzungen werde er aber immer ausgesprochen vage.

Zweites Opfer ist verschwunden

Die Aussage des Zeugen, der beim ersten Vorfall im Juli geschädigt wurde, und jene des zweiten Opfers gegenüber der Polizei - dieser Geschädigte ist verschwunden - zeigten eine große Übereinstimmung. „Beide wurden direkt nach der Tat vernommen. Sie hatten keine Zeit, etwas abzusprechen“, betont die Anklagevertreterin. Sie ist sicher, dass der Angeklagte sein Opfer verletzen und auch töten wollte. Dr. Blackwell habe eine anhaltende Gefährlichkeit bejaht, wenn die Probleme des Angeklagten nicht nachhaltig behandelt würden. Tabea Schneider fordert daher zunächst die Einweisung in eine Entziehungseinrichtung, um die Drogensucht zu bekämpfen. Danach solle die Unterbringung in der Psychiatrie erfolgen.

Verteidigung: Nicht gefährlich

Verteidigerin Katharina Batz fordert die Aufhebung des Haftbefehls. Der Mandant sei aktuell infolge einer wirksamen Medikation überhaupt nicht gefährlich, eine Psychose praktisch nicht wahrzunehmen. Sie glaubt seiner Geschichte, infolge seiner Drogensucht in finanzielle Abhängigkeit der beiden Geschädigten geraten zu sein, die ihn bedroht und angegriffen hätten. Zwischen den beiden Vorfällen habe der Angeklagte eine Entgiftung gemacht und keine Drogen mehr genommen, dann aber einen Rückfall erlitten. Er selbst sei im Juli auch verletzt worden, habe zusätzlich ein Trauma erlitten und große Angst vor den Männern gehabt.

Die Anwältin verweist auf die Aussage eines Arztes, dass die Verletzungen theoretisch knapp neben die Halsschlagader gegangen, praktisch aber nur oberflächlich und zu keinem Zeitpunkt gefährlich gewesen seien. Es habe sich danach auch nicht um Stiche gehandelt, sondern um Schnitte. Der Mandant habe den Finger an der Schneide gehabt, damit schon einen Teil deren Länge unschädlich gemacht. Das vermeintliche „Tötungszitat“ sei ausschließlich vom nicht mehr auffindbaren Geschädigten gehört und angegeben worden, der aber kaum der deutschen Sprache mächtig sei. Der Angeklagte bestreite es. Für sie bleibt daher eine gefährliche Körperverletzung, für die der Mandant mangels Schuldfähigkeit freizusprechen sei.

Nicht auf freien Fuß

Das letzte Wort des Angeklagten wird erst am 14. Juni gehört. Auf freien Fuß kommt er bis dahin nicht.

Nach einer Pause kommt das Gericht dem Antrag der Staatsanwältin nach und lässt den 36-Jährigen vorläufig unterbringen. Dass es der Fachbereich Suchtbehandlung ist, kommt der Verteidigung entgegen.

Batz hält weiter die Einweisung in eine Suchtklinik für ausreichend. Werde die Sucht erfolgreich behandelt, ähnlich formuliert es anschließend auch noch ihr Kollege Himat Yousuf, entfalle der verstärkende Einfluss auf die Psychose, die ohnehin durch die aktuelle Behandlung gedeckelt sei. Das wiederum schließe eine künftige Gefährlichkeit des Mandanten aus, mache die Einweisung in die Psychiatrie unverhältnismäßig.

Angeklagter fühlte sich bedroht

Yousuf warnt zudem davor, die Aussagen des Angeklagten pauschal als Schutzbehauptungen abzutun. Der Zeuge, der beim ersten Vorfall verletzt wurde, lebe von Sozialleistungen, habe aber eine teure Lederjacke und eine entsprechende Mütze getragen. Das seien für ihn Hinweise, dass der Mann sein Einkommen nicht unbedingt auf legalen Wegen vermehrt habe. Auf Nachfrage hatte der Zeuge allerdings angegeben, für die Sachen gespart zu haben. Der Kreuztaler Anwalt sieht es als Bestätigung für die Geschichte seines Mandanten, der sich am 18. August 2020 ernsthaft bedroht gefühlt habe. Yousuf geht sogar von einer subjektiven Notwehrhandlung aus.

+++Die Lokalredaktion Siegen ist auch bei Facebook!+++