Siegen. 23-Jährige, geistig ein Kleinkind, leidet seit der Vergewaltigung sehr, schluchzt die Mutter im Siegener Gericht – und wisse nicht mal, warum.

Tag 3 im Verfahren gegen den Mann der am 12. September 2020 eine junge Frau mit geistiger Behinderung in der Siegener Innenstadt mitgenommen und sie vergewaltigt haben soll. Das mutmaßliche Opfer sagt aus, auch ihre Mutter sowie die Gutachterin, die über die Glaubwürdigkeit der jungen Frau entscheiden soll. Dazu werden Polizisten vernommen.

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Die mutmaßlich Geschädigte macht einen fast gut gelaunten Eindruck, bevor sie in den Saal gerufen und unter Ausschluss der Öffentlichkeit gehört wird. Nach 20 Minuten ruft die Vorsitzende den Angeklagten wieder herein, der im Beratungszimmer zuhören musste, weil seine Anwesenheit der Zeugin schaden könnte. Richterin Elfriede Dreisbach schildert ihm Antworten und Reaktionen der Frau, die äußerlich normal wirkt, aber laut ärztlichem Attest geistig einer Dreijährigen gleicht.

Mutmaßliches Opfer sagt: Die Polizei habe sie gerettet

Überwiegend in kurzen Sätzen und kindlichen Ausdrücken habe sie wiederholt, was sie schon am ersten Tag den Beamten erzählt hatte: Sie sei vom Angeklagten angesprochen, an der Hand zum Tatort geführt und dort von ihm vergewaltigt worden. Eklig sei gewesen, was er ihr auf dem Handy zeigte und dann auch mit ihr machte. Er habe sie ausgezogen, so die Vorsitzende.

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Die Polizei habe sie gerettet, hat die Zeugin mehrfach gesagt. Der Angeklagte hat den Ablauf ähnlich geschildert, aber die Vorwürfe gegen ihn seien falsch, die Zeugin habe nicht die Wahrheit gesagt. Auf Nachfrage der Gutachterin versichert die Mutter, ihre Tochter könne gar nicht lügen. Das Mädchen berichte, was es sehe, könne nichts ändern oder für sich behalten.

Mutter der jungen Frau macht sich schwere Vorwürfe

Die Mutter geht auch davon aus, dass ihre Tochter den wahren Hintergrund des Geschehens nicht erfasst habe. Sie leide seit der Tat unter Alpträumen, habe Angst vor fremden Männern und vor dem Einschlafen, stehe unter ständiger ärztlicher Aufsicht. „Meine Tochter ist ein Engel, so rein, mit Glück in den Augen“, sagt die Frau, immer wieder durch Tränenanfälle unterbrochen. Ein Teil dieser Unschuld sei verloren gegangen. Das Mädchen leide, wisse nicht einmal warum. Den Prozess wolle sie schnell hinter sich bringen, damit die schlechten Träume verschwinden, in denen jemand sie festhalte.

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Auch die Mutter leidet erkennbar, macht sich nach wie vor große Vorwürfe, der Tochter an jenem Tag gestattet zu haben, beim Einkaufen vor dem Geschäft zu warten und einer Tanzgruppe zuzuschauen. Sehr kurz nur sei ihr an der Kasse der Blick verwehrt gewesen. Dann sei die Tochter verschwunden. „Ich bin in die falsche Richtung gelaufen. Ich könnte mich umbringen. Sonst hätte ich sie noch eingeholt“, schluchzt die Zeugin. Ihre Tochter könne einfach nicht Nein sagen: „Ich hatte immer Angst vor einem solchen Vorfall.“

Opferschutzbeauftragte Polizei Siegen: Keine Vorstellung von Sexualität

Genau diese Einschätzung teilt auch die Opferschutzbeauftragte der Siegener Polizei wieder. „Ich habe noch nie jemanden gesehen, der weniger wehrfähig ist“, so die Beamtin, die ebenfalls emotional aufgewühlt wirkt. Sie ist überzeugt: Die junge Frau hat keine Vorstellung von Sexualität, sei zu keinem Zeitpunkt in der Lage gewesen, sich dem Mann zu widersetzen. „Mein Herz ist traurig“, habe die Betroffene zu ihr gesagt. Auch für sie „ein absolut unschuldiges Mädchen!“

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Ihre Kollegen, die den Angeklagten vor Ort antrafen und verhafteten, berichten übereinstimmend, sehr schnell auf den Zustand der Geschädigten aufmerksam geworden zu sein. Sie bewege sich kindlich und tapsig, wirke überhaupt nicht altersgemäß entwickelt.

Gutachterin hat keine Zweifel an Glaubwürdigkeit der jungen Frau

Verteidiger Jörn Menzel versucht offenbar, für seinen Mandanten eine Rechtfertigung zu finden, dass dieser den Zustand des Opfers und ihre Abwehrhandlungen nicht bemerkt haben könne. Sie selbst hat beschrieben, ihn geschubst, aber dafür nicht genug Kraft gehabt zu haben. Einmal habe sie „Aua“ gerufen. Letztlich kommt auch Psychologin Mia Lange zum Schluss, das Schubsen sei wohl eher eine Reaktion auf den Schmerz gewesen, weniger bewusste Abwehr. Nicht, weil es eine Einwilligung gab, sondern die junge Frau einfach nicht einordnen konnte, was da mit ihr geschah: „Außer, dass es unangenehm war.“

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Für die Gutachterin ist die junge Frau, die trotz 17 Jahren Schule weder Lesen noch Schreiben gelernt hat, geistig nicht in der Lage, eine falsche Aussage zu erfinden und zu machen. Sie habe aber seit dem Tag des Vorfalls sehr konstant – in den Grenzen ihrer Möglichkeiten – berichtet, insgesamt sogar mehr, als erwartbar gewesen wäre. Zweifel an der Zeugin und deren Glaubwürdigkeit hat sie nicht.

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