Netphen/Siegen. Die Verteidiger des 35-Jährigen, der unter anderem den Ortsbürgermeister von Eckmannshausen bedrohte, melden Zweifel an den Zeugenaussagen an

Eine Haftstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten, dazu die befristete Unterbringung in einer Entziehungseinrichtung: Das ist der Antrag von Staatsanwalt Moritz Faßbender gegen den Angeklagten aus Netphen, der im Sommer 2020 eine ganze Serie von Diebstählen beging. Außerdem machte er im Juli dem Ortsbürgermeister von Eckmannshausen das Leben mit zahlreichen Bedrohungsaktionen schwer. Die Verteidiger sehen das anders: Sie fordern maximal zwei Jahre und Bewährung, lehnen jede Form von Unterbringung ab.

Auch interessant

Seit dem 26. Januar haben sich die Beteiligten mit den Hintergründen auseinandergesetzt, zuletzt mit den Folgen des schweren Schädel-Hirn-Traumas, das der 35-jährige Angeklagte am 7. Juni 2020 bei einem Sturz erlitt. Dadurch entwickelte sich eine hirnorganische Psychose, die alle weiteren Taten beeinträchtigte, durch eine erhöhte Empfindlichkeit und Aggression vielleicht sogar bedingte. Die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten war nach Ansicht von Gutachter Dr. Bernd Roggenwallner erheblich beeinträchtigt, was auch den Staatsanwalt zur Senkung seiner Strafzumessung veranlasst.

Auch interessant

Angestellten in Siegener Kaufhaus in Kleiderständer gestoßen

Wobei Faßbender zugleich auf einen davor liegenden Vorfall verweist, bei dem der Angeklagte einen Kleiderdiebstahl in einem Weidenauer Kaufhaus unter erheblicher Gewaltanwendung begangen habe. Unter anderem hatte er einen Angestellten, der ihn am Diebstahl hindern wollte, zweimal heftig in einen Kleiderständer gestoßen. Die aggressive Grundstimmung sei also „nicht nur von der Gehirnblutung“ ausgelöst worden, argumentiert der Anklagevertreter. Dazu kam, dass der Mann bei fast allen Diebstählen ein Messer zumindest in der Tasche hatte, einmal auch eine Schreckschusswaffe.

Bei einer länger zurückliegenden Tat in der Siegener Diskothek Meyer unterscheidet Faßbender. Ein Vorwurf, nachdem der Angeklagte einem Zeugen eine Flasche über den Kopf geschlagen haben soll, sei nicht nachweisbar, daher müsse ein Freispruch erfolgen. Dass der Netphener kurz darauf mit einer Flasche in der erhobenen Hand auf einen Sicherheitsmitarbeiter zugestürmt sei, wertet der Staatsanwalt als versuchte gefährliche Körperverletzung.

Verteidiger werfen Ortsbürgermeister von Eckmannshausen Übertreibung vor

Da gibt es Widerspruch von Anwalt Daniel Nierenz. Der wundert sich über die Sicherheit der Zeugen, im Dämmerlicht einer Disko so gut gesehen zu haben und fordert hier ebenfalls einen Freispruch. Bei den anderen Taten betont er die Wichtigkeit, immer genau auf den einzelnen Vorwurf und die Verhältnismäßig zu achten. Alle Vorfälle seien vergleichsweise niedrig einzuschätzen. daher ein minderschwerer Fall immer möglich. Immerhin gelte die Strafvorschrift des Diebstahls mit Waffen auch für einen Banküberfall. Selbst die Bedrohungen gegen den Ortsbürgermeister betrachtet der Anwalt aus Netphen mit Vorsicht, sieht dessen Schilderungen als möglicherweise „aufgebauscht“ und überzogen, um das eigene Verhalten vor sich selbst zu rechtfertigen.

Für die Unterbringung in einer Entziehungseinrichtung fehlt dem Verteidiger der Nachweis für die Abhängigkeit der Taten von der Sucht. Die Hirnverletzung und damit die Psychose sei hingegen abgeklungen. Sein Mandant habe nicht die Absicht, „sich in nächster Zeit wieder den Kopf zu brechen“. Schließlich erinnert Nierenz noch an die acht Monate, die der Angeklagte bereits in Untersuchungshaft sitze. Co-Verteidiger Dr. Achim Lüdeke legt in einigen Bereichen noch nach. Er wirft dem – im Zuschauerraum sitzenden – Ortsbürgermeister ebenfalls Übertreibung vor, die womöglich von einer gewissen Eitelkeit herrühre. Dieser habe alles andere getan, als die Situation zu beruhigen.

Angeklagter aus Netphen bittet um Suchttherapie

Im gleichen Kontext weist der Anwalt die Vorwürfe des Anklagevertreters zurück, sein Mandant habe besonders brutal gehandelt, als er den Angestellten des Bekleidungsgeschäftes in die Ständer stieß. Da müsse sich zunächst jeder einmal selbst fragen, ob er denn unbedingt die Aufgabe der Polizei wahrnehmen müsse, stellt Lüdeke kritisch fest – und an dieser Stelle gewissermaßen den alten Grundsatz in Frage, dass Recht dem Unrecht nicht zu weichen braucht. „Ich sehe das alles genauso“, stimmt der Angeklagte abschließend seinen Anwälten zu. Dazu bittet er die Kammer, ihm im Falle einer Bewährung eine Suchttherapie als Auflage zu geben. Das Urteil ist für Freitag, 9. April, geplant.

Mehr Nachrichten, Fotos und Videos aus dem Siegerland gibt es hier.

Die Lokalredaktion Siegen ist auch bei Facebook.