Siegerland. Lehrkräfte belastet, nicht genug WLAN für Streaming, Sorgen um Infektionen: Unterrichtsqualität in Siegen und Umland leidet, sagen Schulleiter.
So erfreulich es für die meisten ist, nicht mehr nur zuhause unterrichtet zu werden: So richtig glücklich sind die Siegerländer Schulen nicht mit dem Wechselunterricht. Als problematisch empfinden viele Schulleiter und Lehrkräfte nicht nur die mangelnde WLAN-Ausstattung, deren Upload-Leistung eine Online-Übertragung des Präsenzunterrichts an die Distanz-Gruppen nicht zulässt.
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Vor allem leide die Unterrichtsqualität für die, die nicht vor Ort in den Schulen sind – denn dort sind die Lehrer mit den Präsenzgruppen befasst und können sich weniger um die zuhause kümmern. Ein reiner Distanzunterricht, so die mehrheitliche Meinung, hätte insgesamt einen höheren Lernfortschritt erzielt. Persönliche Begegnungen seien zwar wertvoll – aber die Schulgemeinschaften treibt auch die Sorge vor dem Infektionsgeschehen um.
Die Schulen müssen selbst über Art des Wechselunterrichts entscheiden
Seit Montag dürfen die Schülerinnen und Schüler wieder in Präsenz unterrichtet werden (wir berichteten). Aber nicht alle auf einmal: Ein Teil kann in die Schulen kommen, ein Teil bleibt zuhause. Die Schulen können dabei selbst entscheiden, wie lange und wie die Schülerschaft geteilt wird und in die Schule kommt. Manche Einrichtungen teilen die Klassen, andere nach Jahrgängen.
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Die Schülerinnen und Schüler, die jeweils zuhause bleiben, müssen ebenfalls unterrichtet werden, irgendwie – die naheliegende Lösung, sie über die im Distanzunterricht etablierten Videokonferenzsysteme in die Klassenzimmer zuzuschalten und den Unterricht zu streamen, funktioniert aber nicht. Mangels ausreichender Upload-Kapazitäten. Die Schulen fangen diesen Mangel mit entsprechenden Unterrichtskonzepten auf.
An den Schulen im Siegerland wird der Lernfortschritt wohl langsamer werden
Gymnasium Stift Keppel, Hilchenbach: Die Hälfte der Lerngruppe, die nicht im Präsenzunterricht ist, kann keinen Distanzunterricht nach Stundenplan erhalten – die Lehrkräfte sind ja bereits im Einsatz, so Schulleiter Dr. Jochen Dietrich, „sie sind voll da, auch wenn nur die Hälfte ihrer Schüler vor ihnen sitzt.“ Ein Streaming derart vieler Präsenzunterrichte ist technisch „trotz der kreisweit vermutlich besten WLAN-Ausstattung und Netzanbindung nicht möglich“.
Auf Bedürfnisse zugeschnitten
Die Gesamtschule auf dem Schießberg in Geisweid geht einen mit der Schulgemeinde abgestimmten Sonderweg: Der Distanzunterricht funktioniere sehr gut, sagt Schulleiter Alexander Lisai, die Schule verfügt über eine leistungsfähige Gigabitleitung.
Dennoch bleibe man beim Distanz-Schwerpunkt, da unter der Aufteilung der Klassen die Unterrichtsqualität leiden würde. Der Präsenz-Anteil soll daher möglichst gering gehalten werden, alle Lerngruppen werden in vollem Umfang digital beschult, obwohl für den Präsenzunterricht, der jahrgangsweise durchgeführt wird, das doppelte Personal benötigt wird.
Jeder Jahrgang ist an einem Tag pro Woche vor Ort, die Lehrkräfte unterrichten aus der Schule und auch von zuhause aus.
Die Lerngruppen erhalten tageweise Arbeitsmaterial, das in eigener Verantwortung bearbeitet werden und am gleichen Tag erledigt werden soll, um den vertrauten Rhythmus einigermaßen beizubehalten, so Dietrich. Individuelle Rückmeldungen zu den Arbeitsergebnissen seien nicht möglich: Die Lehrkräfte gäben Musterlösungen heraus und kontrollieren lediglich, dass ein Arbeitsergebnis eingereicht wurde – „ein relativ unbefriedigender Kompromiss“, findet der Schulleiter. Stift Keppel habe den Distanzunterricht gut hinbekommen, der Wechselbetrieb sei ein Rückschritt, der Lernfortschritt langsamer. Bislang habe es verlässlich Unterricht von morgens bis mittags für alle gegeben, nach Stundenplan, mit Kontakt zu Lehrkräften. Er habe beim Kreisgesundheitsamt, der Bezirksregierung Arnsberg und in Düsseldorf aus Sorge um die Gesundheit aller interveniert, „man lässt uns keine Spielräume!“
Schulleiter: „Lehrkräfte seit Wochen in der systematischen Überlastung
Die Rückkehr der Schülerinnen und Schüler sei politisch gewollt – immerhin der persönliche Kontakt sei positiv zu bewerten. Sorgen macht Dietrich, dass der Lernfortschritt insgesamt langsamer werde – der Lehrplan werde aber nicht angepasst, der gesamte Stoff müsse behandelt werden. „Das Kollegium arbeitet seit geraumer Zeit über das normale Maß hinaus“, sagt Dietrich – nun müssen sie erneut Unterricht für zwei Gruppen vorbereiten. „Sie sind seit Wochen in der systematischen Überlastung.“ Nicht nur im Unterricht – nun gebe es auch noch „absurde Vorstellungen über die Testaufsicht“, die Lehrkräfte dürften sonst Tee oder ein Pflaster an Kinder ausgeben – nun sollten sie medizinische Handlungen durchführen.
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Gymnasium Wilnsdorf: Ein Teil der Klasse wird zuhause, der andere Teil gleichzeitig in der Schule unterrichtet. Darunter werde der recht gut funktionierende Distanzunterricht sehr leiden, stellt Schulleiter Sören Leopold klar. „Wir werden uns bemühen, die Gruppen, die im Distanzunterricht im regulären Stundenplan sind, so gut es geht zu beschulen.“ Ein komplettes „Zuschalten“ der Distanz-Schüler sei aber auch hier aufgrund der nicht ausreichenden Internetanbindung der Schule nicht möglich.
Gymnasium Netphen: Die Schülerinnen und Schüler sind jahrgangsweise vor Ort, die Klassen werden zum Teil auf benachbarte Räume aufgeteilt, Sitz- und Raumpläne sind erstellt. Um die soziale Gemeinschaft zu stärken und der psychischen Gesundheitsvorsorge wegen werden in den Turnhallen Stuhlkreise ermöglicht für alle Mitglieder einer Klasse, die sich mit ausreichend Abstand versammeln kann. Durch Ausweitung des Präsenzunterrichts kommt es zwangsläufig zu mehr selbstständigen Arbeitsphasen ohne Videokonferenz, so Schulleiter Eckhard Göbel.
Für Lehrkräfte an der Siegener „Bertha“ sind kleinere Gruppen erstmal gut
Fürst-Johann-Moritz-Gymnasium, Weidenau: Die Klassen werden geteilt, die Gruppen wechseln täglich zwischen Präsenz- und Distanzunterricht. Zuhause erledigen die Schülerinnen und Schüler in erster Linie die Daltonaufgaben. Auch hier, so Schulleiter Rüdiger Käuser, ist ein Distanzunterricht via Videokonferenzform zunächst nicht mehr möglich.
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Bertha-von-Suttner-Gesamtschule, Siegen: Die Klassenhälften wechseln wöchentlich zwischen Präsenz und Distanz. Alle Lehrkräfte unterrichten vor Ort – es bleibt entsprechend wenig Zeit für die Betreuung des Distanzlernens, die Heimarbeit kann in der folgenden Woche in der Schule besprochen werden. „Das klappt ganz gut“, sagt Anja Siebert, Didaktische Leiterin. Für die Lehrkräfte sei es zunächst einfacher, kleinere Gruppen zu unterrichten, zumal alle die Sorge um das Infektionsgeschehen umtreibt. Auch an der technisch gut ausgestatteten „Bertha“ scheitert ein Streaming am WLAN, das Kollegium hat den Lockdown für Fortbildungen genutzt, derzeit läuft der Umbau jeder Klasse mit Beamern.
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