Siegen. Corona beschleunigt die Veränderungen des Einzelhandels. In Siegen ist im Hinblick auf die Zukunft der Innenstadt die Uni ein wichtiger Faktor

Selbst wenn der Strukturwandel im Einzelhandel sich beschleunigt, wird Siegens Innenstadt vermutlich nicht veröden. Grund ist der Umzug zweier weiterer Fakultäten der Universität Siegen in die Mitte, der dauerhaft eine Nutzung des Zentrums gewährleistet. „Da haben wir es besser als andere Städte, die keine Uni haben“, sagt Stadtbaurat Henrik Schumann. Die durch die Coronakrise beschleunigten Umwälzungen könnten mancherorts nämlich massiv die Innenstädte verändern – und das nicht zum Positiven.

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Kölner Straße in Siegen: Von A-Lage zur Leerstandsmeile

Die Eröffnung von Shopping-Malls in den 1990er und frühen 2000er Jahren zeigte in vielen deutschen Städten, wie empfindlich die Systeme reagieren. Der Abzug von Kundenströmen ließ etliche etablierte Einkaufsstraßen verkümmern. In Siegen traf es nach dem Start der City-Galerie am Bahnhof die Kölner Straße, die von der A-Lage zur Leerstandsmeile wurde und sich – trotz einiger positiver Ansätze in der jüngeren Vergangenheit – nie wieder wirklich erholt hat.

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In den vergangenen Jahren ist es der Online-Handel, der dem stationären Einzelhandel zunehmend Wasser abgräbt und der auch in der Coronakrise rund um die Uhr geöffnet hat. Noch ist nicht abzusehen, ob und wie sich die Gewohnheiten der Kundinnen und Kunden durch diese Gewöhnung langfristig verändern – und wie viele bestehende Läden wegen Lockdowns und Pandemie aufgeben müssen.

Uni Siegen in der Stadt erhöht Bedarf an Einzelhandel und Gastronomie

„Warum fahre ich denn in die Innenstadt, wenn ich nicht dort wohne?“, stellt Henrik Schumann die zentrale Frage. Antwort: „Weil ich dort einkaufen will.“ Jahrzehntelang waren die Begriffe Innenstadt und Einkaufen eine völlig selbstverständliche Einheit, die aber zunehmend bröckelt. Zwar ist nicht davon auszugehen, dass Innenstädte komplett einzelhandelsfrei werden. Aber: Was bleibt oder kommt, wenn der klassische Einzelhandel weniger wird?

Potenziale

In der Coronakrise könnte zumindest „eine kleine Chance“ liegen, hofft Stadtbaurat Henrik Schumann: „Dass die Ladenmieten wieder angemessener sind, weil die Immobilienbesitzer ins Grübeln geraten.“ Die Leerstände in der Kölner Straße liegen teilweise in Forderungen begründet, die potenzielle Mieterinnen und Mieter abschrecken. Und das schon seit Jahren.

Eine Umwidmung von Einzelhandelsflächen in Wohnungen so wie am Marburger Tor werde nicht auf weiterer Flur ins Auge gefasst. „Wir sind da eher restriktiv“, stellt Stadtbaurat Henrik Schumann klar. Nach derzeitiger Einschätzung gebe es in Deutschland zwar zu viel Einzelhandelsfläche, „bei uns geht es aber noch im Vergleich zu anderen.“

Die Stadt sei im Austausch mit einer Vielzahl von Akteurinnen und Akteuren, sagt Henrik Schumann – etwa mit der Industrie- und Handelskammer, der Uni, den Einzelhandelsvertretungen, dem Stadtmarketing und der Immobilien- und Standortgemeinschaft (ISG) Oberstadt. Wenn es um den Umzug der Uni in die Mitte geht, „sagen alle: Es ist ein Segen, dass eine Nutzung kommt“. Daran hänge ein Annex: Im Fahrwasser der Ansiedlung zweier weiterer Fakultäten schwimmen stärkerer Bedarf an Einzelhandel und Gastronomie mit.

Der Zusammenhang ist auf den ersten Blick simpel, weil mit tausenden Studierenden und Uni-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeitern Frequenz, Kaufkraft und Nachfrage ins Zentrum kommen. „Wir bekommen da aber auch eine ganz andere Klientel“, betont Henrik Schumann. „Junge Menschen beleben eine Stadt.“ Das Flair und die Atmosphäre, die dadurch entstünden, würden auf andere Altersgruppen – gerade auch auf die Generation 50plus – ebenfalls anziehend wirken und so zu einer vielversprechenden Mischung fühlen: „Zu einem attraktiven Stadtbild gehören alle dazu: Jüngere, ältere, Familien.“ Und alle zwischen „jünger“ und „älter“ natürlich auch.

Siegens Stadtbaurat: Inhaber geführter Einzelhandel wird Renaissance erfahren

Für den Einzelhandel in Siegen sieht der Stadtbaurat nicht schwarz, sieht aber die Notwendigkeit, sich veränderten Realitäten zu stellen: „Digitalisierung macht doch nicht vorm stationären Einzelhandel Halt. Nach wie vor gibt es da aber bei vielen eine Verweigerungshaltung.“ Auch in puncto Zusammenarbeit gebe es Luft nach oben, etwa, wenn sich Geschäftsleute für Aktionen zusammenschließen oder Straßenzüge sich gemeinsam ein besonderes Image geben sollen – so wie es früher beispielsweise lange in der Marburger Straße Praxis war: Dort gab es den Slogan „Straße mit Herz“, es gab Einkaufstüten mit einem gemeinsamen Logo und sogar eine eigene Weihnachtsbeleuchtung. In der Branche sei dererlei aber zu wenig verbreitet, „da ist in der Gastronomie mehr Veränderungsbereitschaft.“

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Inhaber geführter Einzelhandel, da ist Henrik Schumann sicher, „wird wieder eine Renaissance erfahren“ und sich halten. Die Entwicklung der Einzelhandelslandschaft „können wir als Stadt flankieren, indem wir dafür sorgen, dass der öffentliche Raum attraktiv ist. Da sind wir ganz gut dabei.“ Das Bemühen darum sei längst eine interdisziplinäre Aufgabe, an der unter anderem Wirtschaftsförderung, Stadtmarketing, Bau- und Kulturakteure beteiligt seien, um in der Innenstadt „ein Erlebnis zu schaffen, das jenseits vom Einkaufen liegt“, hebt der Baurat hervor. „Beim Einkaufen einen Kaffee trinken, flanieren, Leute sehen und gesehen werden: Das bietet mir im Onlinehandel niemand.“

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