Netphen. .
„Kann sich so etwas wiederholen?“, fragt Dr. Michaela Vidlakova. Diese Frage habe ihr bisher niemand beantworten können, sagt die 79-Jährige. Vidlakova, die 1936 in Prag zur Welt kam, überlebte den Holocaust. An diesem Morgen erzählt sie ihre Geschichte in der Aula des Gymnasiums Netphen. Sie berichtet von der Zeit mit ihrer jüdischen Familie im Ghetto Theresienstadt, von den Verbrechen der Nationalsozialisten. Rund 200 Neunt- und Zehntklässler der Realschule und des Gymnasiums hören nicht nur aufmerksam zu, sondern stellen auch Fragen.
Eine andere Generation
„Haben Sie keinen Hass auf die Deutschen?“, will eine Schülerin wissen. „Ihr seid eine andere Generation, aufgewachsen in einer Demokratie“, erklärt Vidlakowa. Sie „denke an Versöhnung und die Zukunft“. Wenn sie zurückblicke, stelle sie sich jedoch immer wieder dieselbe Frage: „Wie war es möglich, dass sie in einem zivilisierten, gebildeten und hochkulturellen Land damit begonnen haben, Juden zu vernichten?“
1933 hatten die Nazis in Deutschland die Macht übernommen. Sechs Jahre später marschierten die Truppen in Prag ein, die Tschechoslowakei existierte nicht mehr. „Schritt für Schritt hat man uns der menschlichen Rechte beraubt“, sagt Vidlakova. Juden durften nicht mehr ins Schwimmbad, mit dem Bus fahren oder Zeitungen lesen – nur einige der vielen Verbote, die die Nazis auferlegten. „Unsere Wohnung haben sie uns auch weggenommen, ein SS-Offizier hat sie dann bewohnt.“ Vidlakova wurde mit ihren Eltern schließlich ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. „Einst lebten dort 8000 Menschen, später 58 000“. Eine unvorstellbare Enge. Eine Folge der schlechten hygienischen Bedingungen waren Krankheiten.
„Ich hatte Bauchtyphus, Masern, Scharlach, doch es gab keine Medikamente.“ Sie kam auf eine Krankenstation, lernte dort einen Jungen aus Berlin kennen, von dem sie die deutsche Sprache lernte. Viele Menschen, vor allem ältere, hätten die Zeit in Theresienstadt in Elend und Hunger zugebracht: „Ich habe meine Suppe öfter einer Frau gegeben, weil sie mir so leid tat.“ Sie habe Menschen in dem Ghetto sterben sehen. Andere mussten in Züge steigen, die in Vernichtungslager fuhren, nach Auschwitz und Birkenau.
Sie und ihre Eltern dagegen überlebten diese Zeit. Ihr Vater galt damals als wertvoller Handwerker. „1945 sind wir mit der Familie nach Prag zurückgekehrt.“ Vidlakova zeigt aber auch Bilder von anderen Verwandten und Freunden, die umgebracht wurden.
Gegen Fanatismus
„Wie können Sie das alles erzählen, ohne zu zittern, bei solch schlimmen Erinnerungen?“, fragt eine Schülerin. „Ich empfinde es als eine Pflicht, darüber zu berichten und will eine Botschaft vermitteln“, sagt Vidlakova. Einen ausdrücklichen Rat gibt sie den jungen Menschen in der Aula noch mit auf den Weg: „Lasst euch nicht fanatisieren, sondern glaubt an die Demokratie.“.