Siegen. Das Bruchwerk Theater streamt klassisches Theater. Christian Fries bringt den Zuschauern Leben und Sterben des Schriftstellers Jakob Lenz nahe

In der Livestream-Reihe des Bruchwerk Theaters in Siegen folgte auf das Gegenwartsschauspiel „Beben“ und eine Diskussionsrunde nun ein klassisches Theaterstück: „Lenz“ nach einer Novelle von Georg Büchner.

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Jakob Lenz

Jakob Michael Reinhold Lenz wurde 1751 als Sohn eines Pfarrers geboren, studierte Theologie, wollte aber Schriftsteller werden. Um seiner Karriere Zucker zu geben, meinte er, nach Weimar ziehen zu müssen, um dem großen Goethe nahe zu sein. Doch genau mit diesem verkrachte Lenz sich, so dass er schon vor Jahresfrist sozusagen vom Weimarer Hof gejagt wurde.

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Psychisch schwer angegriffen suchte er neuen Halt, den er in der Schweizer Bergwelt im Hause des Pfarrers Oberlin zu finden hoffte. Zwischen dem Pfarrer („er hat ein würdiges, ernstes Gesicht“) und Lenz entwickeln sich Sympathien. Er begleitet den Seelsorger bei Wanderungen durch das Hochtal, zeichnet viel, liest die Bibel. Doch die Religion ist für Lenz mehr Quälerei als Trost. Er wird Zeuge des freudlosen Lebens der Menschen, erlebt den Tod eines Kindes mit, meint es wiedererwecken zu können. Auch macht ihm das gestörte Verhältnis zu seinem Vater zu schaffen. Zerrissen zwischen Glauben und Aberglauben, unglücklich über seine Unfähigkeit, mit Frauen Beziehungen aufzubauen, verlässt er das Pfarrhaus und zieht nach Straßburg.

Christian Fries

Christian Fries verwandelt sich über 90 Minuten in die Person des unglücklichen Jakob Lenz. Mit kleinen Einschränkungen, denn Fries ist bisweilen auch Beobachter. Dann greift er zum Mikrofon und übernimmt mit Reporterstimme die Rolle eines Nachrichtensprechers. Ansonsten stellt Fries mit aller Eindringlichkeit nicht nur den unglücklichen Lenz dar, er ist es auch. Sogar mit seiner Musik, indem er etwa das alte Volkslied „Oh du stille Zeit“ gesanglich und mit seinem Flöten-Torso wie durch eine Kreissäge zerfetzt, perkussive Geräusche produziert, indem er mit den Händen auf seinen Körper schlägt. Und sein Gesicht.

Bruchwerk Theater ist online gut gefüllt

Georg Büchner, geboren 1813, wurde wegen seiner sozialen revolutionären Aktivitäten („Friede den Hütten, Krieg den Palästen!“) steckbrieflich gesucht. Mit seinen Dramen („Dantons Tod“) war er ein Vorläufer des Literarischen Realismus. Büchner starb im Exil als 23-Jähriger an Typhus.

Zu Beginn hatten sich 72 User eingeschaltet, im Laufe des Stückes waren es im Schnitt etwa 60. Damit wären die Plätze des Bruchwerk Theaters gut gefüllt gewesen.

Die Vorankündigung versprach, man sähe das Weiß im Auge des Akteurs. Man sieht noch viel mehr. Jede Gesichtsfalte, jeden Pickel, jedes Barthärchen, jede Strähne, jeden Schweißtropfen. Der Zuschauer ist mit Christian Fries und damit Jakob Lenz auf Du und Du. Er sitzt ihnen gegenüber. Die beiden Kameras, die häufigen Perspektivwechsel und die schnellen Umschaltungen machen es möglich.

Das Ende

„Allein“ ist das häufigste Wort des Abends. Allein ist neben Christian Fries auf der Bühne auch Jakob Michael Reinhold Lenz in seinem jämmerlichen Leben.

Die Einsamkeit wird auch der einzige Begleiter seines weiteren, nur noch kurzen und von immer stärkerer Schizophrenie geplagten Daseins sein. Immer wieder reiste er in die Schweiz, auch nach Riga und Petersburg. Nach vergeblichen Versuchen zur Gründung einer gesicherten Existenz starb er im Alter von 41 Jahren einsam und verarmt in Moskau.

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