Wilnsdorf/Siegen. Elfeinhalb Jahre muss der Mann ins Gefängnis, der im April in Wilnsdorf sein Opfer mit Dutzenden Messerstichen tötete – aber nicht wegen Mordes.

Die Kammer hat die Wahl gehabt, zwischen Freispruch, zwölf Jahren und lebenslänglich. So weit auseinander haben die Anträge der Prozessbeteiligten gelegen in der Tötungssache Tannenhof Wilnsdorf . Die Entscheidung: 11 Jahre und sechs Monate wegen Totschlags . Dazu kommen Zahlungen an die Witwe und die Kinder des Toten von insgesamt 50.000 Euro und weitere monatliche Renten, die der Verurteilte zu entrichten hat.

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Die ursprüngliche Mordanklage ist von keinem der Beteiligten mehr aufrechterhalten worden. Die Kammer selbst hat am Morgen – auf Anregung von Verteidiger Carsten Marx – einen entsprechenden rechtlichen Hinweis gegeben. Danach folgen die Schlussvorträge.

Staatsanwalt: Die Hintergründe der Tat am Wilnsdorfer Tannenhof weiter unklar

Für Staatsanwalt Fabian Glöckner ist die Anklageschrift „weitgehend bestätigt“ worden im Laufe der Hauptverhandlung. Er geht davon aus, dass der Angeklagte am 23. April 2020 mit einem „selbstgefertigten Messer“ zum Tannenhof gefahren ist, um sein Opfer zur Rede zu stellen und notfalls auch zu erstechen, wenn keine Einigung erzielt werden kann. Den gesamten Vortrag des Angeklagten über eine angebliche Erpressung durch den Geschädigten, verbunden mit Morddrohungen gegen ihn und seine Familie in Moldawien sowie eine dahinterstehende kriminelle Vereinigung betrachtet Glöckner als eine reine Schutzbehauptung mit zum Teil lebensfremden Darstellungen.

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Entscheidend ist für ihn, dass der Angeklagte nichts davon gegenüber der Polizei gesagt und vielmehr von selbst gefragt habe, ob er „das A…loch“ denn auch erstochen habe. Das vom Verteidiger geforderte Verwertungsverbot aufgrund fehlerhafter Belehrung weist er zurück. Insgesamt hat sich für den Anklagevertreter der Hintergrund des Geschehens allerdings nicht erhellt. Vor allem sei nicht nachweisbar, ob die Forderung über 20.000 Euro wirklich bestanden habe. Damit entfällt für ihn die Habgier als Tatmerkmal des Mordes. Glöckner fordert am Ende zwölf Jahre wegen Totschlags . Zumindest steht für ihn fest, dass der in bescheidenen Verhältnissen lebende Geschädigte schwerlich ein krimineller Arbeitsvermittler mit hohem Einkommen gewesen sein könne.

Nebenklage: Angeklagter fuhr voller Hass zum Tatort nach Wilnsdorf

Nebenklagevertreter Genadi Lewinski schließt sich der Beurteilung überwiegend an, sieht aber einen „schweren Fall des Totschlags “ und beantragt eine lebenslange Haftstrafe. Im Gegensatz zum sachlichen Plädoyer des Staatsanwalts argumentiert der Jurist aus Bielefeld deutlich emotionaler, geht von einem Angeklagten aus, der „mit Hass“ an den Tatort gefahren ist, im vollen Bewusstsein, sein Opfer zu töten. Dieses habe laut vernehmlich auf dem Parkplatz gerufen, „ich habe doch Kinder“, zu diesem Zeitpunkt wohl schon einige Stiche abbekommen und den tödlichen Ernst seiner Lage erkannt, sei dann später „in den Armen seiner Frau gestorben“. In diesem Moment sind im Zuschauerraum Schluchzgeräusche zu vernehmen, von dort, wo die Nebenklägerin und ihre Kinder Platz genommen haben und sich das Geschehen von einer Dolmetscherin übersetzen lassen.

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Das vorletzte Wort vor dem Urteil hat Verteidiger Carsten Marx. Der hält an der Darstellung seines Mandanten fest und fordert einen Freispruch, sieht eine klare Notwehrlage, höchstens einen Notwehrexzess. Ja, die Hintergründe hätten nicht wirklich aufgeklärt werden können. Aber im Zweifel sei da dem Angeklagten zu folgen, der gar nicht erst nach Wilnsdorf gefahren wäre, hätte nicht das Opfer in irgendeiner Form die Bedingung dafür gesetzt. Es müsse eine Beziehung zwischen den beiden Männern gegeben haben. Der Mandant habe im Gefängnis ein wenig Deutsch gelernt, damals aber so gut wie gar nicht in dieser Sprache kommunizieren konnte. Daraus folgt für Marx, dass die Situation bei der Verhaftung und den ersten Vernehmungen rechtlich nicht haltbar war, sein Mandant gar nichts verstanden habe.

Landgericht Siegen sieht keine Rechtfertigung oder Entschuldigung für Tötung

Der Anwalt übt dabei große Kritik an der Dolmetscherin, die im Gericht in keiner Weise zur Wahrheit hätte beitragen können. Sein Mandant habe Angst um sein Leben gehabt, sei vom Opfer angegriffen worden, habe „aus Furcht“ zugestochen, beim ersten Stich gar keine Reaktion gemerkt und dann einfach weitergemacht, „ohne zu zählen oder zu denken“. Hilfsweise beantragt Marx sieben Jahre Haft für den Fall eines Urteils wegen Totschlags . Da müssten viele mildernde Gründe zur Anrechnung kommen. Der Mandant schließt sich ohne weitere Erklärung seinem Anwalt an.

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Das Gericht folgt den Argumenten von Staatsanwalt und Nebenklage, sieht keine Gründe der Rechtfertigung oder Entschuldigung für die Tat. Objektive Hinweise auf einen Angriff durch das Opfer seien nicht gefunden worden. Dagegen stünden 34 Stiche, davon drei sogar von hinten. Die Motive der Tat „sind im Dunkeln geblieben“, bedauert Vorsitzende Elfriede Dreisbach, macht dabei deutlich, dass die Einlassung des Beschuldigten im Gerichtssaal wenig Gewicht gehabt habt. „Wir müssen nicht alles glauben, was uns erzählt wird“, bekräftigt sie in Richtung des nunmehr Verurteilten.

Verteidiger kündigt Revision an – Hauptaufgabe: „lebenslänglich verhindern“

Sie hält ihm vor, dass dieser nur über seinen Verteidiger habe erklären und keine Nachfragen zugelassen habe. Zur Glaubwürdigkeitsprüfung gehöre aber auch das Nachfragen und das Beobachten, wie sich der Angeklagte daraufhin verhalte. Ein Geständnis wie das vorliegende habe nur einen eingeschränkten Wert. Daneben habe er in anderen Belangen eindeutig gelogen. Er sei etwa im Frühjahr nicht obdachlos gewesen. Auch hatte er von Drohanrufen durch das Opfer am Abend vor der Tat berichtet, die sich auf beiden Mobiltelefonen aber nicht hätten nachweisen lassen.

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Verteidiger Carsten Marx kündigt eine Revision an. Allerdings sei es seine Hauptaufgabe gewesen, „ein Lebenslänglich zu verhindern“. Den Geldforderungen gegen seinen Mandanten sieht er gelassen entgegen. Zu holen sei da nichts. „Und ich habe ihm gerade erklärt, dass er in Deutschland für Geldschulden nicht ins Gefängnis muss!“

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