Eisern. Die Nord-Hälfte der Talbrücke Siegen-Eisern wird am Sonntag per Sprengstoff und Schwerkraft zu Boden gebracht. A 45 ab Mitternacht voll gesperrt.

Eine Brücke zu sprengen hat viele Vorteile – und auch Nachteile. Nach der Sprengung der Rälsbach-Talbrücke vor etwa drei Jahren ist nun in Eisern die nächste Talbrücke auf Siegerländer Gebiet an der Reihe: Das nördliche Bauwerk – die Brücke besteht aus zwei getrennten Fahrbahnen mit je eigenen Pfeilern – wird Sonntag, 18. Oktober, durch exakt berechnete Sprengsätze zur Seite gekippt.

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Von Mitternacht bis etwa 13 Uhr wird die A 45 dazu voll gesperrt.

Die Spreng-Technik für die Talbrücke Eisern

Sprengen biete sich immer dort an, wo etwas sehr hoch ist, erklärt Michael Schneider, Sprengmeister der Firma Richard Liesegang. Er hat auch schon die Rälsbach-Brücke zu Fall gebracht. Moderne Großbagger könnten solche Höhen zwar erreichen, so der Experte – aber die Anbauwerkzeuge, riesige Zangen und Hämmer, wiegen etliche Tonnen. Das ist wie einen Wassereimer am ausgestreckten Arm tragen, sagt Schneider – man braucht viel Kraft, die fürs Betonzerkleinern dann fehlt, weil der Hebel so groß ist. Also wird die Brücke zu Boden gebracht und dort zügig zerkleinert. Die Baustelle soll so kurz wie möglich dauern. Weil die Sprengvorbereitungen im laufenden Betrieb möglich sind, kann der Verkehr quasi bis zur Zündung über die Brücke fließen.

Die Sprengmäuler sind bereits in die innen hohlen Pfeiler geschnitten. Dort detoniert der Sprengstoff, den Rest erledigt die Schwerkraft.
Die Sprengmäuler sind bereits in die innen hohlen Pfeiler geschnitten. Dort detoniert der Sprengstoff, den Rest erledigt die Schwerkraft. © Hendrik Schulz

Anders als bei der Rälsbach-Brücke, wo die Pfeiler per „gefaltet“ wurden, damit die Brücke gerade nach unten fällt (Kollaps-Sprengung), kommt bei der Talbrücke Eisern eine Fallrichtungssprengung zum Einsatz: Die 12.300 Tonnen schwere Nord-Brücke stürzt von ihrem südlichen Pendant weg. „Bei diesen Hohlkastenpfeilern bietet sich das an“, sagt der Sprengmeister. In jede der fünf Stützen werden Sprengmäuler in Kipprichtung geschnitten (siehe kleines Bild), das verbliebene Material wird dann weggesprengt. „Das Kippen selbst übernimmt die Schwerkraft“, erklärt Michael Schneider, „unser Job ist es nicht, die Sprengmittelindustrie reich zu machen.“ So wenig Sprengstoff wie möglich – in Eisern 61,5 Kilo verteilt auf 515 Bohrlöcher – an statisch relevanten Punkten reicht aus. Bis auf Schönheitsblessuren darf der Bestandsbrücke nichts passieren – der Verkehr muss ja dort weiterfließen.

„Das Projekt ist besonders interessant“, sagt Marco Gräb, neuer Leiter der Netphener Außenstelle der Autobahn GmbH des Bundes, die das Projekt ab 2021 von Straßen NRW übernimmt. „Bundesweit ist Straßen NRW weit vorne bei fortschrittlichen Verfahrensweisen, um solche Bauvorhaben zu beschleunigen.“ Denn Talbrücken in solchen Dimensionen zu sprengen, sei alles andere als alltäglich – „erst recht nicht so nah an der Bestandsbrücke und der Bebauung.“ Gräb kommt vom Straßen NRW-Pendant Hessen Mobil, „die haben eher eine konservative Herangehensweise.“

Der Ablauf der Sprengung der Talbrücke Eisern

1. Vorbereiten. „Der Sprengmeister hält nicht vor Ort den Daumen in den Wind und drückt den Zünder“, sagt Michael Schneider. Wo wieviel Sprengstoff detoniert, wird genau berechnet, drei Jahre hat die Vorbereitungszeit gedauert, fünf Wochen an der Brücke selbst. Das Bauwerk muss geleichtert werden: So viel wie möglich wird abgeschnitten, um das Gewicht zu verringern, auch weil Erschütterungen beim Aufprall Gebäude beschädigen können – wie zum Beispiel die Nachbarbrücke. Außerdem ragt die Fahrbahn so weit nach außen, dass sie beim Umkippen wie ein Messer in den Untergrund schneiden und dort womöglich Leitungen und Straßen zerstören würde – da hilft auch das bis zu fünf Meter dicke Fallbett nicht. Das natürlich auch angelegt werden muss. Zudem muss die Brücke von den Widerlagern, den Aufliegepunkten im Gelände, gelöst werden. Die würden sonst wie ein Schraubstock wirken. Beton und Stahlbewehrung werden per Sprengsatz gelockert – nicht getrennt –, die stürzende Brücke zieht dann das gesamte Bauwerk sozusagen aus dem Hang.

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2. Absperren. Neben den vielen Vorteilen des Sprengens ist der „Sprengstreuflug“ ein Nachteil: Betonbrocken in der Größe zwischen Staub und Faust werden mit sehr hoher Energie umhergeschleudert, was große Sicherheitsabstände und teils auch Evakuierungen erfordert (in Eisern betrifft das auch Pferde und Schafe aus einer nahen Gartenanlage). Mehr als 40 Posten mit Funkgerät sorgen dafür, dass niemand den Gefahrenbereich betritt, parallel dazu wird dieser per Spezialdrohne aus der Luft live überwacht – erstmals auch mit Wärmebildkamera.

Nach der Sprengung muss die Talbrücke Eisern beseitigt werden

3. Sprengen. Um 10.45 Uhr wird die Straße Wolfsbach per Fanfarenton als letzte gesperrt, um 10.58 erfolgt das zweite Sprengsignal. Um Punkt 11 Uhr will Michael Schneider zünden.

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4. Aufräumen. Große Mengen Schutt liegen nach der Sprengung auf 327 Metern quer im Tal. Gutachter prüfen direkt nach der Sprengung das verbliebene Bauwerk – inklusive die Hohlkästen von innen – und wenn zusammen mit den Werten hochpräziser Messgeräte alles gut aussieht, kann der A45-Verkehr wieder über die südliche Brücke fahren. So schnell es irgendwie geht müssen die Rettungswege wieder frei sein, die Obersdorfer Straße/L909 soll ab 2. November wieder befahren werden können. Nach zwei Monaten zerkleinern und aufräumen sollen alle Reste beseitigt sein. Parallel werden bereits die alten Fundamente zurückgebaut und mit den Arbeiten für die neuen Pfeiler begonnen.

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