Siegen. Der Angeklagte bestreitet nicht, dass es zum Sex kam – und dass die Frau ihn versuchte, abzuwehren. Aber ihre Aussage wirft Fragen auf.

Die Anklage lautet auf Vergewaltigung, wie so oft steht Aussage gegen Aussage. Offensichtlich haben die Angaben des Opfers Amtsrichter Witte und seine Schöffen nicht völlig überzeugt: Sie wollen ein aussagepsychologisches Gutachten einholen, die Verhandlung wird ausgesetzt.

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Es ist fast zwei Jahre her, dass der Angeklagte (25) sein mutmaßliches Opfer zum Sex gezwungen haben soll. Die beiden hatten ein Date am 22. Oktober 2018, in der Wohnung, die er sich mit seiner Schwester teilte. Zuvor hatte es bereits ein Date und diverse Chats gegeben, wo auch über sexuelle Dinge gesprochen wurde. Eine Beziehung wollten die beiden nach seiner Aussage nicht. Sie arbeiteten damals zusammen.

Der Angeklagte bestreitet nicht, dass es zum Sex kam

Der Mann bestreitet nicht, dass es zum Sex kam und bestätigt auch, dass die Frau ihn mehrfach abwehrte oder sich wegdrehte. Allerdings aus seiner Sicht nicht so nachhaltig, dass es nicht trotzdem zu Zärtlichkeiten kam. „Sie hat meine Küsse erwidert. Und nicht nur kurz“, versichert er.

Erst später, als sie weinend aus dem Bad kam, sei ihm klargeworden, dass er wohl etwas falsch verstanden habe. „Ich habe sie verletzt“, schrieb er ihrem Ex-Freund, als dieser ihm Vorwürfe machte. Eine Zeit habe er sich Vorwürfe gemacht, inzwischen sei er aber wieder überzeugt, in der Situation nichts falsch gemacht zu haben.

Die Zeuginnen zweifeln an der Glaubwürdigkeit des mutmaßlichen Opfers

Das mutmaßliche Opfer wird unter Ausschluss der Öffentlichkeit gehört. Danach sagen zwei zwei frühere Freundinnen aus, die neben dem Ex-Freund zuerst von der angeblichen Tat hörten. Die Frau hatte ihnen erzählt, gegen ihren Willen Sex gehabt zu haben. Beide Zeuginnen hätten ihr damals geglaubt. Heute gebe es kaum noch Kontakt zu ihr .. und erhebliche Zweifel. Sie erzählen, dass die frühere Freundin noch an ihrem Ex-Freund gehangen, deshalb möglicherweise ein schlechtes Gewissen gehabt habe, „aber andererseits wollte sie es auch, wie ich sie kenne“.

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Schon wenig später habe sie von weiterem sexuellen Kontakt zu einem anderen Mann erzählt. Sie habe immer wieder kleinere Lügen erzählt. „Ich kann mir tatsächlich nicht vorstellen, dass er sie absichtlich vergewaltigt hat“, sagt eine der Zeuginnen. Die junge Frau war bereits vor der Tat in psychologischer Behandlung, laut einer Zeugin habe es schon mit einem anderen Partner ungewollte sexuelle Handlungen gegeben.

Das Gericht will einen Gutachter hinzuziehen

Der Vorsitzende lehnt den Versuch einer Einigung ab. Nach der Aussage des Angeklagten versucht der Richter zunächst, eine Vernehmung des mutmaßlichen Opfers zu vermeiden. Das ginge bei einer Verständigung, wenn er gesteht. Staatsanwalt und Nebenklagevertreter stimmen zu. Anwalt Carsten Marx spricht mit seinem Mandanten, lehnt danach aber in dessen Namen ab. Der sei sich darüber klar, dass er möglicherweise einen Fehler gemacht habe, „aber er sieht sich nicht als Vergewaltiger“. Das könne er nicht vor sich selbst vertreten.

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„Trauma oder Vorerfahrung“, diese Frage möchte das Gericht vor einem Urteil geklärt haben, betont Richter Witte. Immerhin will die Frau ihre Ablehnung deutlich gemacht haben. Der Gesetzgeber habe klar „Nein bleibt Nein“ im Sinn gehabt – kein Freispruch, so der Vorsitzende. Der Staatsanwalt fordert zweieinhalb Jahre Gefängnis für den Angeklagten.

Verteidiger fordert vom Siegener Richter eine Entscheidung

Der Verteidiger hält seinen Mandanten „für authentisch“, hat ihn in öffentlicher Verhandlung ziemlich intime Dinge erzählen lassen. Er sieht genug Zweifel für einen Freispruch und lehnt das Gutachten zunächst vehement ab. Wenn das Gericht zweifle, solle es nicht Gutachter beauftragen, sondern, als dessen ureigenste Aufgabe, selbst über den Wahrheitsgehalt von Aussagen entscheiden. Wenn es auch wegen der problematischen Aussage der jungen Frau nun Zweifel gebe, müsse sein Mandant erst recht freigesprochen werden. Der Richterberuf schaffe sich praktisch selbst ab, wenn solche Entscheidungen immer nur in die Hand von Gutachtern gelegt würden, so Marx. Als Verteidiger sei er bei einem Gutachten zu Gunsten der vermeintlich Geschädigten ohnehin geschlagen.

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Für einen solchen Fall gebe es Rechtsmittel, so der Richter, dieser Fall sei ungewöhnlich genug für eine Expertise. Der Anwalt wird an der Auswahl des Gutachters beteiligt oder er bekommt Einspruchsrecht. Der Verteidiger stimmt der Verfahrensaussetzung zu.

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