Siegen. Das Antares-Projekt der Uni Siegen will Rauchern beim Aufhören helfen. Eine Trainings-App soll den automatisierten Griff zur Zigarette aushebeln.

In den Fingern juckt’s, die Schachtel liegt bereit. Ein kurzer Moment, kein bewusstes Nachdenken und die nächste Zigarette ist angezündet. Diesen automatisierten Griff zur Kippe will ein Team der Universität Siegen mit einem App-Training aushebeln, das den Nutzern wertvolle Sekunden zum Überlegen schenkt, bevor der nächste Glimmstängel einfach angezündet wird. Für die Studie werden noch Probandinnen und Probanden gesucht.

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Das Antares-Projekt

Antares“ ist der handliche Name für das Projekt „Breitenwirksame Substanzabhängigkeitstherapie in der digitalen Gesellschaft mittels Virtual Reality-basierten Systemen“. Der vollständige Titel geht zwar nicht ganz so geschmeidig über die Lippen, macht das Prinzip aber klar: Training in der virtuellen Realität (VR) verändert das Verhalten im analogen Leben – in diesem Fall soll es bei der Rauchentwöhnung helfen. Das Antares-Team erforscht zwei Varianten: Die Studie zum VR-Training ist abgeschlossen, nun steht das App-Training im Zentrum des Interesses.

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Universität Siegen: Virtual-Reality-Training, um mit dem Rauchen aufzuhören

– Die Ergebnisse der ersten Runde stimmen optimistisch, wie Dr. Alla Machulska, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Antares-Projekt am Lehrstuhl Klinische Psychologie bei Prof. Tim Klucken, erläutert. Von 108 Teilnehmern habe die Hälfte nach dem Training den Zigarettenkonsum reduziert, fast 30 Prozent hätten sogar aufgehört – „was erfreulich ist, weil das mit relativ wenig Aufwand gelang“. Ziel des Projektes ist zwar, dass die Teilnehmer komplett vom Zigarettenkonsum wegkommen, wie die Wissenschaftlerin betont. Da das aber bekanntermaßen für viele nicht einfach ist, sei schon eine Reduktion ein Erfolg, weil mit jeder Zigarette weniger die gesundheitliche Belastung sinkt.

Der Ablauf des Programms: Innerhalb von zwei Wochen kam jeder Proband sechs Mal für jeweils eine Viertelstunde zum Training an die Uni. Die Aufgabe: Im virtuellen Raum Objekte, die mit dem Rauchen in Verbindung stehen, von sich wegschieben und andere zu sich hinziehen.

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Weg von den Zigaretten: Projekt der Uni Siegen nutzt grundlegende Prozesse

– Das Prinzip klingt simpel, ist aber trotzdem nicht trivial – es setzt nämlich bei einem simplen, aber ungemein einflussreichen Aspekt der menschlichen Psyche an: Es gibt einerseits rational-bewusste und andererseits impulsiv-unbewusste Prozesse, die das Verhalten steuern und gerade bei Sucht eine wichtige Rolle spielen. Wer im virtuellen Raum trainiert, rauchaffine Reize bewusst als solche wahrzunehmen und dann zu überlegen, wie damit umzugehen ist – der gewinnt auf Grundlage dieser Erfahrung im Alltag vielleicht vor dem Griff zur nächsten Zigarette die eine Sekunde dazu, in der sich die rational-bewusste Seite einschaltet und sich gegen die Kippe entscheidet. Wenn das gelingt, „entfallen die unbedachten, automatisierten Zigaretten“, sagt Alla Machulska. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass dieses Training bei etlichen Probanden geholfen hat.

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– Die Vorteile des VR-Trainings: „Es ist aufregend, und das erhöht die Trainingsmotivation“. Einige hätten auch deshalb mitgemacht, weil sie Virtual Reality kennenlernen wollten.

Die Nachteile liegen in verschiedenen Faktoren begründet, wie die Expertin erklärt. „Die Teilnehmer sind für das Training an einen Ort gegangen, an dem sie noch nie geraucht haben.“ Die Uni, das Labor, „verbindet man nicht mit seinen täglichen Risikosituationen“. Außerdem sei das Programm auf die sechs Einheiten in 14 Tagen begrenzt gewesen, zuhause fortführen lasse es sich aufgrund der erforderlichen technischen Ausstattung nicht – obwohl fortgesetztes Training positive Effekte haben dürfte. „Studien zeigen, dass Raucher eine Reduktion oft nicht dauerhaft halten können. Das erfordert Selbstkontrolle, und die ist keine unbegrenzte Ressource“, sagt Alla Machulska. Ein jederzeit und überall wiederholbares Training könnte da unterstützend wirken.

Ziel ist der App-Store

Das interdisziplinäre Projekt Antares läuft noch bis 2021. Es wird vom Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen gefördert.

Außer dem reinen Training gibt es ein Einführungsgespräch. Die Gesprächsanteile sind aber deutlich geringer als in der Standardtherapie. Diese spricht den rationalen Teil der Betroffenen an. Antares erweitert diesen Ansatz um die Hinzunahme der unbewussten Dimension, die das Rauch-Verhalten steuert.

Ziel ist, die Trainings-App im Falle eines Erfolgs im App-Store verfügbar zu machen. Das Prinzip, ist Dr. Alla Machulska zuversichtlich, ließe sich in jeweils angepasster Form auch in anderen Bereichen anwenden: etwa bei Zwangserkrankungen oder Ängsten.

Das App-Training zur Rauchentwöhnung im Antares-Projekt der Uni Siegen

Die nächste Stufe soll durch Verlagerung des Trainings in eine App dem erfolgversprechenden Prinzip einen alltagstauglicheren Rahmen geben. Die App-Training-Studie ist ebenfalls für jeden Teilnehmer auf zwei Wochen angelegt, um die Vergleichbarkeit zur VR-Variante herzustellen. In dieser Zeit trainieren die Probanden vier mal täglich für je fünf Minuten mit ihrem Smartphone oder Tablet. Die Aufgabe ist ähnlich wie im virtuellen Raum: Bilder mit Rauchthematik – sie sind nach rechts gekippt – sollen nach oben weggewischt werden, also etwa Zigaretten, Aschenbecher, Feuerzeuge. Motive, die nichts mit dem Rauchen zu tun haben – sie sind nach links gekippt – zieht der Nutzer zu sich hin. In der zweiten Kategorie gibt es etwa Naturaufnahmen, Tierbabys, Fotos von fröhlichen Runden, in denen nicht geraucht wird. Es gehe nicht nur darum, durch die Fortwisch-Bewegung eine Abwehrhaltung gegen die Rauchutensilien aufzubauen, wie Alla Machulska unterstreicht, sondern auch um angenehme Gegenbilder, darum „Alternativen zum Rauchen zu entwickeln, indem wir positive Assoziationen bereitstellen“. Unterstützt wird das jeweils durch eine eindeutige physische Bewegung: „Weg damit“ oder eben „Her damit“.

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App-Training der Uni Siegen nutzt Rauchern in ihrem Alltag

Die Vorteile liegen auf der Hand. „Mit der Handy-App kann man in genau den Situationen trainieren, in denen das Suchtgedächtnis angetriggert wird“, sagt Alla Machulska – es ist also dichter an der alltäglichen Lebensrealität als das VR-Training. Außerdem sind die Probanden flexibler und können frei bestimmen, wann es an der Zeit für die nächste Einheit ist.

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Die Nachteile könnten – aber das ist eine Typfrage beziehungsweise abhängig von den individuellen Interessen – in einem geringeren Anwendungs-Reiz als bei der VR-Variante liegen. „Wir sind allerdings überrascht, wie gut die App schon jetzt bei den Teilnehmern ankommt“, sagt die Wissenschaftlerin. Die App ist hübsch aufgemacht, der Startbildschirm erinnert an ein Spiel. Das Training selbst sei recht klassisch gehalten, so Alla Machulska. Am Einbau spielerischer Elemente werde aber überlegt, um die Attraktivität der Nutzung über den praktischen Zweck hinaus zu erhöhen.

Die Teilnehmer

70 Menschen nehmen an der App-Studie bereits teil, weitere 80 werden gesucht. Mitmachen kann – unabhängig vom Alter – jeder, der raucht und davon loskommen möchte. Wer Interesse an der Teilnahme hat, kann sich per E-Mail an oder bei Dr. Alla Machulska, 0271/740-27 36, informieren.

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