Siegen. Guido Müller lädt wildfremde, ganz verschiedene Menschen ein, um bei Gin Tonic über Kommunalpolitik und die Wahl in Siegen-Wittgenstein zu reden.

Neue Wahlkampfformen braucht das Land, findet Guido Müller. Podiumsdiskussionen und Infostände gibt es, eingeschränkt, zwar auch in Corona-Zeiten, der FDP-Kreistagskandidat hat sich aber das Format „Gin & Tonic“ einfallen lassen, um mit Menschen in Kontakt zu kommen – und in Kontakt zu bringen, die sich sonst vielleicht nie unterhalten hätten: Über Kommunalpolitik.

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Während die Siegener Linke noch den Auftritt der Europaabgeordneten Özlem Demirel vorbereitet, sitzt Müller mit dem Siegener SPD-Bürgermeisterkandidaten Ingmar Schiltz und dem Freudenberger Matthias Seibel auf den Rathaustreppen. Seibel ist der Vorsitzende des Elternvereins Hammerhütter Schule und unverschuldet durch finanzielle Unregelmäßigkeiten mehr Arbeit am Hals, als ihm lieb ist. Seibel und Müller kannten sich nicht, aber als Seibel von „Gin & Tonic“ hörte, wollte er die Gelegenheit nutzen, über den Verein zu reden. Und über Politik.

Vielen jungen Wählern in Siegen-Wittgenstein fehlt ein Feuer-und-Flamme-Thema

Das will auch Jana Feindler aus Kreuztal. Sie hörte beim Rudelturnen des TV Jahn, wo Guido Müller Vorsitzender ist, dass es um Politik gehen sollte und wollte mitreden. „Mir fehlt ein Thema, das mich packt“, sagt die 26-Jährige, als sie die teils eng beschriebenen Seiten der Wahlprogramme durchblättert. Wer da am 13. September wofür gewählt wird, wie das kommunalpolitische System funktioniert – irgendwie wurde das bei allen in der Schule mal angerissen, aber so richtig zu Ende erklärt wurde es nicht.

Fünf Runden

Zu vier Gesprächen bei Gin und Tonic hat Guido Müller bereits eingeladen; neben Siegen bei einem Lagerfeuer in einem Eichener Garten, ein Balkon-Nachbarschaftstreffen mit Currywurst im Wenscht und ein Gespräch zur Gesundheitspolitik auf einem Balkon in Siegen.

Eine fünfte Gesprächsrunde in Wilnsdorf ist noch geplant.

Die Politik-Profis erklären. Warum sie denn zum Beispiel ihn als Bürgermeister wählen solle, fragt Jana Feindler Ingmar Schiltz und der kann auch prompt Antworten geben: Wohnraum, Klima, Radwege. Und erklärt dabei die teils komplizierten Prozesse, die hinter politischen Entscheidungen im Stadtrat stehen können. „Es ist schön, dass man im Kommunalen konkret was verändern kann“, sagt er.

Aber gepackt hat ein Thema Jana Feindler eben noch nicht. Sie findet Politik sehr wichtig, will definitiv wählen gehen, genauso Kumpel Luca, der inzwischen dazugestoßen ist und ihr ein Eis mitgebracht hat. „Mein Wissen ist ziemlich oberflächlich“, gesteht er, er fühle sich je nach Position auch bei verschiedenen Parteien heimisch, abhängig vom Thema eben. Demnächst will er sich als Crossfit-Trainer in Geisweid selbstständig machen.

Die Fronten verlaufen in der Kommunalpolitik eher nicht zwischen Parteien

Auch für Matthias Seibel sind parteipolitische Färbungen im Wahlkampf nicht ausschlaggebend. Man wählt, wer gute Arbeit macht und das tut seine Bürgermeisterin, findet er. Von diesem Amtsbonus profitiert im Grunde jeder Bürgermeister, aber die politischen Fronten verlaufen in den Städten und Gemeinden eben bei vielen Dingen nicht zwischen Parteien, sondern zwischen Kommune und Kreis, Stadt und Land, Westfalen und Rheinland.

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Bürgermeister Steffen Mues schlendert mit einer Gruppe vorbei, Özlem Demirel hat ihre Rede beendet, die Helfer packen zusammen, Linken-Kreistagsfraktionschef Ullrich Georgi setzt sich für einen Moment dazu. Auf kommunaler Ebene funktioniert das Miteinander der Demokraten oft besser als im Bund. Man kennt sich, arbeitet zusammen, in der Sache. Wenn es um den Ausbau von Straßen geht, kommt man mit Parteiprogrammen meist nicht weit.

Aus gegebenem Anlass wird Party in der Siegener Oberstadt schnell Thema

Die Rathaustreppen sind auf Dauer schmerzlich unbequem zum Sitzen und der Regen macht es nicht besser, aber auflösen will sich die Gruppe nicht. Nach dem Umzug unter einen Baum in der Fissmer-Anlage ist man schnell beim Thema Party in der Oberstadt, aus gegebener Örtlichkeit sozusagen. Auch so ein Thema, das die Menschen beschäftigt und auf das die Kommunalpolitik antworten geben kann.

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Volker Hundt, Handwerker aus Alchen, kennt die Nikolaikirchengemeinde und ihren Küster gut und berichtet von dem Ärger durch Wildpinkler. Ob eigentlich die Uni beim Thema Oberstadt-Feiern mit im Boot sei, fragt Hundt, ein ruhiger, bedächtiger Mann. Nicht alle Feiernden seien Studierende, klar, aber mit mehr Fakultäten und Studierenden in der Stadt werde die Verantwortung der Hochschule auch in diesem Bereich noch wachsen.

Man muss mit der Realität umgehen – auch mit Wildpinklern in Siegen

Es geht dann um öffentliche Toiletten, die Geld kosten und damit eigentlich keine Probleme lösen; um Sammelstellen für Leergut, Siegen als Universitäts- und Großstadt mit entsprechenden Konsequenzen für den Publikumsverkehr, die Belebung der Oberstadt, die nun in der Corona-Krise manchen zu belebt ist. Auch Luca, der in der Oberstadt wohnt, findet die Feierei bis in die frühen Morgenstunden oft zu laut, aber dass im Zentrum Menschen unterwegs ist – damit muss man leben.

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Ingmar Schiltz ist der Ansicht, dass die Stadt öffentliche Plätze nicht dauerhaft sperren könne – auch nachts nicht –, sondern stattdessen dafür sorgen muss, dass sich die Menschen einigermaßen an die Regeln halten. Das braucht Personal und das kostet Geld – wenn nicht gerade Corona ist, gibt es in den Clubs und Discos ja auch Sicherheitspersonal. Jetzt wird eben draußen gefeiert.

Kostenlose öffentliche Toiletten kosten die Stadt Siegen Geld – lösen aber Probleme?

Auch kostenlose öffentliche Toiletten kosten Geld, aber es würde ein Problem gelöst, finden alle: Dann pinkelt nämlich kaum noch einer an die Nikolaikirche. Sicher, wer Geld für Alkohol hat, sollte auch ein paar Cent für die Toilette haben. Aber die Realität ist eben eine andere. Das ist wie mit den Appellen, volle Containerstandorte nicht noch weiter vollzustellen – wäre schön, wenn’s so wäre, klappt aber nicht, die Leute halten sich nicht dran. Irgendwann gibt Guido Müller den Satz „Notdurftverrichtung ist Aufgabe der öffentlichen Hand“ als zitierfähig frei. Der Gin...

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Und der beendet dann auch irgendwann, als die Dunkelheit hereingebrochen ist, die Runde. Themen gäbe es noch genug zu besprechen, noch viele interessante Gespräche zu führen. Aber es gibt keine kostenlose, öffentliche Toilette in Siegen. Der Gin drängt.

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