Hilchenbach. Von Berufung zum Beruf: Angestellte der Doreafamilie Hilchenbach reden über den Zustand der Pflege. Was es für dauerhafte Verbesserung braucht.

Hoher Arbeitsdruck, Überstunden, an freien Tagen einspringen: Schon vor dem Ausbruch des Coronavirus stand die Pflegebranche vor großen Herausforderungen. In Zeiten der Corona-Pandemie bekunden viele Menschen nun Anerkennung und Respekt für die geleistete Arbeit der Pflegerinnen und Pfleger. Von den Balkonen der Republik applaudieren sie als symbolische Geste. Die Krise verdeutlicht, dass der Beruf systemrelevant ist.

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Daniela Meißner sieht in den Aktionen nur einen temporären Effekt. „Das war mal ganz kurz so, damit das System weiter funktioniert“, sagt die Pflegedienstleiterin des ambulanten Dienstes der „Doreafamilie Siegerland“, ehemals Abendfrieden in Hilchenbach.

Pflege: Standortleiter Doreafamilie Hilchenbach kritisiert Rahmenbedingungen

Fast zwei Jahrzehnte arbeite sie nun in der Branche, erzählt sie. Seitdem gehe es immer um die gleichen Themen, viel verändert habe sich nicht. Pflege sei anstrengend – körperlich und geistig, betont sie. „Da kommt viel zusammen. Wenn ich das mit anderen Berufsgruppen vergleiche, dann passt das einfach nicht.“ Was sie damit meint? Arbeitsbedingungen und Bezahlung müssten verbessert werden.

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„Die politischen Maßnahmen reichen bei weitem nicht, um die Rahmenbedingungen sichtbar zu verbessern“, kritisiert Standortleiter Oliver Hürtgen. Das private Unternehmen Doreafamilie sei hier exemplarisch für viele Einrichtungen in Deutschland gewählt. Er könne einer Pflegefachkraft nicht mehr bezahlen, wenn das nicht refinanziert werde, so Oliver Hürtgen.

Leistungen des Pflegeheims zahlen die Pflegekassen als Kostenträger

Die Leistungen des Pflegeheims werden von den Pflegekassen als Kostenträger und den damit verbundenen Pflegeversicherungen der Bewohnerinnen und Bewohner bezahlt. Hier habe der Arbeitgeber nur bedingt Einfluss. In der Politik, „hat die Pflege nicht wirklich eine Stimme“.

Die Doreafamilie ist Mitglied im Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste, der Interessensvertretung von Pflegeeinrichtungen in privater Trägerschaft. Der Hilchenbacher Standortleiter Oliver Hürtgen könnte sich parallel dazu auch eine Pflegekammer als Interessenvertretung für die Pflegekräfte vorstellen, die unter anderem berufliche Standards definieren soll - ähnlich wie die Industrie- und Handelskammer.

Pflegekammer in NRW geplant – Gewerkschaft verdi kritisiert diesen Schritt

Einen entsprechenden Gesetzesentwurf für die Gründung einer landesweiten Kammer für die knapp 200.000 Pflegefachkräfte in NRW hat Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) für 2020 angekündigt: eine Mitgliedschaft soll für alle examinierten Pflegekräfte verbindlich sein und die Kammer sich über einen Zwangsbeitrag finanzieren.

Das Angebot der Doreafamilie Siegerland

230 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt der private Pflegeanbieter Doreafamilie Siegerland, ehemals Abendfrieden.

Zwei stationäre Einrichtungen, das Haus Abendfrieden und die Wohninsel für Menschen mit Demenz, sowie eine Tagespflege und einen ambulanten Pflegedienst bietet das Pflegeunternehmen in Hilchenbach-Helberhausen an.

Dazu kommen vier Wohngemeinschaften, unter anderem in Kreuztal-Eichen und Freudenberg-Alchen.

Die Gewerkschaft verdi sieht eine Gründung kritisch. Bei den wichtigen Fragen zur Bezahlung und den Arbeitsbedingungen würde die Einführung einer Pflegekammer nichts bewegen, da die Tarifautonomie in den Händen der Gewerkschaften und Arbeitgeber liege, schreibt sie auf ihrer Homepage.

Doreafamilie Hilchenbach bildet neue Pflegerinnen und Pfleger aus

Seitens der Politik habe sich in den vergangenen Jahren einiges getan, so Oliver Hürtgen. Doch für die von Jens Spahn angekündigten 13.000 Stellen, die in der stationären Altenpflege geschaffen werden sollen, müssten Konzepte entwickelt werden, um qualifiziertes Personal für den Beruf zu begeistern. „Das muss sich die Politik bewusst werden, an dem Personalgerüst muss gearbeitet werden“, fordert er.

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Doch wie lassen sich neue Pflegerinnen und Pfleger für den Beruf gewinnen? Die Branche steht auch bei dieser Aufgabe vor einer Herausforderung: dem Fachkräftemangel. 24 Pflegerinnen und Pfleger bildet die Doreafamilie derzeit in Hilchenbach aus. Doch die Bewerbungen seien rückläufig, so die Pflegedienstleiterin Daniela Meißner. „Das hat nichts mit Abendfrieden als Pflegeheim zu tun, sondern mit dem Berufsbild.“

Pflege: Doreafamilie Hilchenbach arbeitet in einem Drei-Schicht-Betrieb

In den vergangenen Jahren hätten schon viele eine Ausbildung gemacht, aber wer nicht mit Herzblut dabei sei, der sei nach drei bis fünf Jahren nach dem Examen wieder weg. Warum sie geblieben ist? „Bei mir war es so, dass ich nach Hause gegangen bin und das Gefühl hatte, ich habe etwas sinnvolles getan.“ Von den Patienten und Angehörigen bekomme man viel Dankbarkeit zurück.

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In den Einrichtungen in Hilchenbach arbeiten sie in einem Drei-Schicht-Betrieb. Kein Tag ist planbar. „Wir versuchen alle Wünsche der Mitarbeiter im Dienstplan zu erfüllen“, sagt die Pflegedienstleiterin. Das Team werde in die monatliche Planung einbezogen. Dennoch könne es passieren, dass die gewünschten freien Wochenenden bei einem Krankheitsfall kurzfristig ausfallen. Eine Work-Life-Balance, wie viele junge Menschen sie heute wollen, ist dabei eine Herausforderung auf dem Weg von Berufung zum Beruf.

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