Siegen. Die Maßnahmen zum Schutz von Leben und Gesundheit sind vor allem eine politische Entscheidung, argumentiert Prof. Claus Wendt von der Uni Siegen.
Die Politik könnte unabhängig von der Coronakrise mehr tun, um Leben und Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger zu schützen. Darauf weist Prof. Claus Wendt, Inhaber des Lehrstuhls für Soziologie der Gesundheit und des Gesundheitssystems an der Universität Siegen, hin. Derzeit werde alles – Ökonomie, Bildung, soziales Miteinander – „dem bestmöglichen Schutz des Lebens“ untergeordnet“, wie es in einer Mitteilung heißt. Bei Themen wie Organspende, Impfpflicht, Zigarettenverbot oder Lebensmittelampel aber tue sich die Politik schwer, „der Gesundheit die höchste Priorität einzuräumen“.
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Realistisch betrachtet könne „nicht immer alles getan werden, um jedes Leben optimal zu schützen. Auch nicht in der Corona-Zeit“, sagt der Wissenschaftler. „Aber es ist sehr viel mehr möglich, um sich diesem Ideal anzunähern und die Gesundheit der Bevölkerung nachhaltig zu verbessern.“
Siegener Wissenschaftler: „Eine politische, keine ärztliche Entscheidung“
Es entspreche den Werten und Einstellungen der Menschen, dass dem Schutz des Lebens die allerhöchste Bedeutung zugemessen wird. Deshalb seien Gesundheitssysteme immer in Form einer Solidargemeinschaft organisiert. „Hier nähern wir uns jedoch der Grenze der politischen Verantwortung für den Schutz jedes einzelnen Lebens“, argumentiert Claus Wendt. „Es könnten sämtliche Mittel einer Volkswirtschaft für die Gesundheitsversorgung ausgegeben werden, und es wäre immer noch möglich, mit noch mehr Geld weitere Verbesserungen für die Gesundheit zu erzielen.“ „Das Ausmaß an Ressourcen für die Gesundheitsversorgung ist immer eine politische, keine ärztliche Entscheidung.“
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Aktuell werde in Deutschland und Ländern mit einer ähnlich starken Wirtschaft etwa jeder zehnte Euro für die Gesundheitsversorgung ausgegeben. Auch in der Vergangenheit hätten mit höheren Gesundheitsausgaben Patientinnen und Patienten besser versorgt werden können, heißt es weiter. Dabei gehe es aber auch nicht alleine um die Höhe der Ressourcen, so Wendt. In den USA fließe etwa jeder sechste US-Dollar in das weitgehend privat organisierte Gesundheitssystem, jedoch ohne dass die Amerikanerinnen und Amerikaner dadurch gesünder seien oder in der Corona-Krise besser geschützt würden.
Ressourcen und Gesetze stecken die Grenzen ab
„An der Begrenzung der für die Gesundheitsversorgung vorgesehenen Ressourcen ist zu erkennen, dass nicht immer alles Menschenmögliche getan wird, um jedes Leben zu retten“, sagt der Soziologe. Täglich fielen im Gesundheitssystem Entscheidungen für oder gegen lebensrettende Maßnahmen. Claus Wendt nennt das Beispiel Organtransplantation. Ein Vergleich mit anderen Ländern zeige, dass die geringe Anzahl an Organspenden in Deutschland nicht mit der geringen Spendenbereitschaft, sondern mit der gesetzlichen Grundlage zusammenhänge. „Mit einer Widerspruchslösung würden in Deutschland Organspenden steigen und Leben gerettet.“
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In der Coronakrise finde Deutschlands Vorgehen international Anerkennung. „Diesen Erfolg möchte Wendt auch auf keinen Fall in Frage stellen“, betont die Uni. „Aber gleichzeitig lässt sich an möglichen Public-Health-Maßnahmen das Potenzial einer Politik abschätzen, die die Gesundheit jedes Einzelnen immer in den Mittelpunkt stellt und nicht nur in Krisenzeiten. Für viele Verbesserungen sind nicht einmal finanzielle Mittel erforderlich. Nur gesetzliche Regelungen“, erläutert Claus Wendt.
Tempolimit, Rauchen, Lebensmittelampel
Die Frage des Tempolimits sei ein gutes Beispiel. „Einige der Politiker, die aktuell drastische Einschränkungen vornehmen, haben noch vor wenigen Monaten ein generelles Tempolimit auf deutschen Autobahnen verhindert“, sagt der Experte. Ein Tempolimit aber „schützt das Leben vieler Menschen, und die Verminderung der Luftverschmutzung beugt Atemwegserkrankungen vor.“ Ein anderes Beispiel sei das Rauchen. „Die Anzahl derjenigen, die an Lungenkrebs versterben, liegt Jahr für Jahr ein Vielfaches über der Zahl der Corona-Toten. Ein Werbeverbot und Einschränkungen beim Zugang zu Zigaretten würden sowohl die Raucherzahlen als auch die Lungenkrebstoten deutlich senken.“
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Auch beim Thema gesunde Ernährung könne die Politik Leben retten, indem „mit einfachen Strategien wie einer Lebensmittelampel der Verkauf ungesunder Lebensmittel eingeschränkt wird“, mahnt der Gesundheitsexperte. In Kindergärten und Schulen könne durch gesunde Ernährung und täglichen Sport die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen nachhaltig gestärkt werden. „Hierfür wären zusätzliche Gelder erforderlich. Sie stehen aber in keinem Verhältnis zu den staatlichen Mitteln, die aktuell für den Gesundheitsschutz aufgewendet werden“, sagt Claus Wendt.
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