Siegen. Henning Trippe ist als Kind noch mit der Straßenbahn nach Siegen gefahren. Heute dokumentiert er die Geschichte des Busverkehrs im Siegerland.

Da war noch eine Lücke. 1895 fuhr der berühmte erste Linienomnibus der Welt von Deuz nach Siegen. Und dann erst wieder, seit den 1920er Jahren, von Siegen nach Freudenberg, Deuz, Wilnsdorf und Burbach? Henning Trippe ist das Foto in die Hand gekommen, das um 1910 entstanden ist und einen Benz-Omnibus auf der Strecke zwischen Freudenberg und Deuz zeigt. Innerhalb von zwei Tagen bringt er die zehnjährige Geschichte dieser Buslinie der „Kraftwagen Verkehrs Gesellschaft mbH Freudenberg“ zu Papier. Sein Archiv ist groß, „natürlich holt man sich ein paar mündliche Informationen“, erzählt Henning Trippe, „das fällt einem dann relativ leicht.“

Wie ein Bus-Geschichtler groß wird

Als Fünfjähriger von den Tanten in der Straßenbahn mitgenommen werden. „Das war natürlich etwas Besonderes“, erinnert sich Trippe an die Mitte der 1950er Jahre, „wann fährt man schon mal nach Siegen?“ Von Eisern aus nur ein paar Mal im Jahr, ansonsten hatte der Vater schließlich auch ein Auto. Für den Jungen war die Technik faszinierend: Wie die Straßenbahn an der Endstation in Eisern rangierte, der Motorwagen abgekoppelt wurde und für die Rückfahrt ans andere Ende des Beiwagens umsetzte. Oder später, nach 1958, als der Obus die Straßenbahn ersetzte und es in Eisern eine Doppel-Obuswende gab: die eine Wendeschleife für die Busse aus Wilnsdorf, die andere für die Busse aus Geisweid. Trippe erzählt vom Fahrdraht, der am Haus befestigt war und das Fachwerk zum Schwingen brachte: „Dann wurde man morgens von einem Surren geweckt, lange bevor der Bus kam.“

So sah der erste Omnibus aus, der zwischen Freudenberg und Siegen verkehrte. Das Bild dürfte in den ersten Betriebsjahren um 1910 aufgenommen worden sein.
So sah der erste Omnibus aus, der zwischen Freudenberg und Siegen verkehrte. Das Bild dürfte in den ersten Betriebsjahren um 1910 aufgenommen worden sein. © Privat

Wie sich die Neugier auf die Bus-Geschichte entwickelt

Henning Trippe kommt auf den letzten Drücker: Schon als er ins Gymnasium wechselt, ist die Straßenbahn abgeschafft. Zum Löhrtor nach Siegen fährt er mit dem Obus, in dem der Schaffner das Regiment führt. „Der hat uns auch mal gescheucht“, erzählt Trippe, „für uns Schüler war der Schaffner Respektsperson.“ Die Obusse verschwinden, weil die Leitungsmasten beim Straßenausbau stören. Die Anhänger werden abgeschafft, schließlich auch die Gelenkbusse. Henning Trippe, der nach dem Abi in Darmstadt Bauingenieurwesen studiert, beginnt mit dem Sammeln von Erinnerungen.

Wie eine Sammlung zur Busgeschichte entsteht

Eines der ältesten Souvenirs ist der rostige Schlüssel der Kleinbahn-Dampflok Nummer 10, die zum Verschrotten auf der Eintracht steht. „Da sind wir als Jungs reingeklettert.“ Deponiert hat er den Schüssel in einer mit Watte ausgelegten Schachtel – andere bewahrten so ihre Verlobungsringe auf. Viel später, da ist er schon Student, lernt er Gerhard Schäfer von der Freien Grunder Eisenbahn kennen, als er auf dem Pfannenberg einen Güterzug fotografiert. In Eisern selbst wohnte Ernst Becker, der seit den 1920er Jahren Kreisbahnbusse lenkte – „er konnte mir sehr viel erzählen.“ Zu Geschichten und Fotografien gesellen sich Fakten, nachdem er sich in die Geschäftsberichte der Kreisbahn eingelesen hat – und als später das Unternehmen aus der Emilienstraße auszog, hatten die Mitglieder des Siegerländer Heimat- und Geschichtsvereins freie Bahn, Materialien für die Nachwelt zu sichern. „Sammeln, was man kriegen kann“.

Die Bus-Serie

Wie ein Sammler ans Schreiben kommt

Es war wieder so ein Besuch an geschichtsträchtiger Stelle: die Buschhüttener Wagenhalle, wo Heinz Krenz arbeitete und Henning Trippe eine Fotosammlung anvertraute, unter anderem mit dem Turmwagen, auf dem Arbeiter zwischen Eichen und Krombach an der Oberleitung bauen – 1953 haben die Autos noch schwarze Nummernschilder mit weißer Schrift, die Nummern beginnen noch nicht mit „SI“, sondern mit „21“. Bei der Witwe von Heinz Krenz meldet sich irgendwann Friedrich Reuter, der eine Obus-Geschichte schreiben will. Sie bringt ihn mit Henning Trippe zusammen, der Ähnliches plant, nachdem er bereits in einer Fachzeitschrift einen Aufsatz veröffentlicht hat. Gerhard Moll, der Lokführer und Eisenbahnchronist aus Vormwald, kommt dazu. 2004, genau zum 100-Jährigen der Kreisbahn, erscheint ihr erster blauer Band über Straßenbahnen und Obusse im Siegerland. Mit Dr. Rolf Löttgers, der noch dazustößt, formiert sich ein Autorenquartett, das bis 2013 drei weitere Bände über die Kleinbahn Weidenau-Deuz, die Freien Grunder- und die Eisern-Siegener Eisenbahn herausbrachte. „Da war schon ein stringenter Zeitplan.“

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Was man beim Recherchieren so alles herausfindet

Karl Otto aus Nauholz ist nicht Karl Otto aus Nauholz. Der Mann am Lenker des ersten Motor-Omnibusses der Welt war ein Angestellter der Firma Benz und hat auf vielen Werksfotos Modell gesessen. „Das hat mir der Archivar des Mercedes-Benz-Museums berichtet“, erzählt Henning Trippe. Dort hatte er um Erlaubnis gefragt, das Foto für das Kleinbahn-Buch verwenden zu dürfen. Dass das populäre Foto, das dem Bus mit der Beschriftung „Siegen-Netphen-Deuz“ zeigt, eine Montage ist und auf dem Original tatsächlich „Hotel National“ steht, war schon länger bekannt. Nur waren die Heimathistoriker davon ausgegangen, dass wenigstens der Fahrer echt war – der ja zum Fahrunterricht nach Mannheim gekommen sein könnte.

Drei Tage Jubiläumsfest

Vor 125 Jahren fuhr der erste Motor-Linienomnibus der Welt von Deuz nach Siegen. Mit Korso, Fest- und Heimatabenden und einer Zukunftsmeile wird das Jubiläum vom 20. bis 22. März drei Tage lang in Netphen und Siegen gefeiert. Unsere Serie beleuchtet Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des öffentlichen Nahverkehrs im Siegerland.

Welche Busgeschichte nicht mehr erforscht werden muss

Henning Trippe, der viele Jahre das Umweltamt des Kreises geleitet hat und inzwischen Pensionär ist, ist sich ziemlich sicher: Der Omnibusbetrieb von 1909 bis 1920 zwischen Siegen und Freudenberg ist der einzige, der sich zwischen dem Experiment von 1895 und der Aufnahme des Postbus- und Kreisbahn-Linienverkehrs in den 1920er Jahren etablieren konnte. „In Freudenberg saßen die reichen Gewerken.“ Die hatten keine Zeit, immer über Kirchen mit dem Zug nach Siegen zu fahren. Und Geld, um 80 Pfennige für den Busfahrschein zu bezahlen – bei Schnee war die 45-Minuten-Fahrt übrigens keine Alternative. Weil der Winterdienst erst erfunden werden musste, legte die Freudenberger Busgesellschaft stets bis März Winterpause ein. Und die anderen Verbindungen? Die waren bedient: Nach Kreuztal fuhr seit 1904 die Straßenbahn, nach Netphen seit 1906 die Kleinbahn, und im Süden sorgte die Freien Grunder Eisenbahn von Herdorf aus für die Anbindung an das Eisenbahnnetz.

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Welche Busgeschichte noch geschrieben werden könnte

„Es fehlt der Omnibusverkehr der Kreisbahn“, sagt Henning Trippe. Also das, was in den 1920ern begann und nach der Abschaffung von Straßenbahn und Obus übrig blieb. „Dazu bin ich noch nicht gekommen.“ Die Verkehrsbetriebe Westfalen-Süd (VWS) übrigens, zu denen Kreisbahn und Kraftverkehr Olpe verschmolzen sind, sind am 1. Januar 50 Jahre alt geworden. In aller Stille.

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