Hilchenbach. Andreas Müller ist archäologischer Zeichner. Er zeigt, wie es am Altenberg in Müsen oder auch am Gerhardsseifen früher ausgesehen haben könnte.

Männer drehen an der Haspel, andere drücken Erdreich durch ein Sieb, schleppen Holzbalken über das Gelände. Da sind Schächte, dort wird Erz aufbereitet, ein Reiter kommt den Hauptweg entlang, Schweine lassen sich füttern, Müßiggänger zielen mit Kugeln auf Kegel.

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1. Ein neues Bild vom Müsener Altenberg

Andreas Müller hat eine kleine Stadt gezeichnet, mit gemauerten Häusern und Fachwerkhäusern, Schuppen und Unterständen, einem alles überragenden Wehrturm und einem Galgen ganz am Rand. So sieht sie aus, die Bergbausiedlung Altenberg auf der Höhe zwischen Müsen und Littfeld, im 13. Jahrhundert.

Die Details für die Zeichnungen stimmt Andreas Müller mit den Archäologen ab. Historische Genauigkeit, durch Funde belegt, ist entscheidend.
Die Details für die Zeichnungen stimmt Andreas Müller mit den Archäologen ab. Historische Genauigkeit, durch Funde belegt, ist entscheidend. © WP | Steffen Schwab

Alles Phantasie? Ganz und gar nicht. Andreas Müller ist der archäologische Zeichner im Team der Archäologen, die von Olpe aus für den Landschaftsverband arbeiten. Er ist nicht der Erste, der den Altenberg gezeichnet hat. 1983 gab es schon einmal ein so genanntes Lebensbild. Das, so sagt Dr. Manuel Zeiler, ist heute überholt. Auf dem Altenberg standen keine Hütten ärmlicher Bergleute, sondern „repräsentative Großbauten reicher Menschen“. Die Archäologen wissen das, weil sie seit 2015 wieder intensiv dort forschen: Die Kellermauern waren viel stärker, als dass sie nur ein Geschoss getragen hätten. Kegel und Kugeln zum Spielen deuten auf Wohlstand hin, der „sündhaft teure“ Kachelofen aus Keramik auf ein repräsentatives Gebäude.

2. Von der Skizze zum Wimmelbild

Das alles weiß Andreas Müller, wenn er zu zeichnen beginnt. Er bekommt Fotos vom Gelände und den ausgegrabenen Gegenständen, „dann besprechen wir die einzelnen Fundobjekte“. Klar ist, wo die 19 Häuser standen, die die Siedlung bildeten und alle schon bei der ersten großen Grabung von 1969 bis 1986 gefunden worden waren. Mit Bleistift entstehen erst Ideenskizzen, dann Zeichnungen einzelner Szenen. Wo es eine Haspel gab, müssen auch Männer daran gedreht haben. Wo es Kegel gab, hat auch jemand gespielt. „Ich versuche, da ein bisschen Leben reinzubringen.“ Wie die Werkzeuge aussahen, wissen die Archäologen aus den eigenen Fundobjekten. Wie ein spätmittelalterliches Schwein (mit Rückenkamm) sich von dem heutigen Hausschwein unterscheidet, ist auch längst erforscht.

Zur Person

Andreas Müller ist auch als „Ander“ bekannt. Der studierte Grafik- und Produktdesigner malt, zeichnet, radiert und stellt seine Arbeiten aus: Landschaftsmalereien, Druckgrafiken, Zeichnungen, Bildsatire.

1983 kam er von Münster nach Olpe zu den LWL-Archäologen, erzählt der heute 63-Jährige – „mehr oder weniger zufällig“.

Das Gesamtbild entsteht aus den Skizzen, die Müller einscannt und auf dem Bildschirm platziert. Heute bekommen sie dort auch erst ihre Farbe, den Altenberg hat er vor zwei Jahren noch auf dem Büttenkarton aquarelliert. So könnte es gewesen sein. „Das ist immer eine idealisierte Vorstellung“, stellt der Zeichner klar. Aber eine, die ein Bild vermitteln kann von dem, was Archäologen herausfinden. Regelrechte Wimmelbilder, die sich in gedruckten Veröffentlichungen oder in Schautafeln wieder finden. „Das weckt das Interesse an Archäologie“, hofft Müller, „wenn man das nur als Schmuckwerk verstünde, wäre das ein bisschen wenig.“

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3. Das erste Bild vom Niederscheldener Gerhardsseifen

Gerade arbeitet Andreas Müller am Gerhardsseifen: Die Ausgrabungsstätte bei Niederschelden, die durch einen Schutzbau und eine museale Aufarbeitung zum Lern- und Präsentationsort wird und die deshalb so besonders ist, weil dort sowohl in der Eisenzeit als auch im Mittelalter Eisen verhüttet wurde und im 17. Jahrhundert ein Köhler gearbeitet hat. Die Kulisse ist das Tal mit dem Gerhardsseifen, nur wenigen Bäumen, weil die Zeitgenossen ihren Wald verfeuert haben. Und mit Baumstümpfen, die keineswegs so glatt sind wie heute: Dafür gab es damals gar kein Werkzeug.

So könnte es am Gerhardsseifen bei Niederschelden im Mittelalter ausgesehen haben.
So könnte es am Gerhardsseifen bei Niederschelden im Mittelalter ausgesehen haben. © Steffen Schwab

Dr. Manuel Zeiler gibt Andreas Müller jede Menge Skizzen an die Hand: wie ein Haus zusammengesetzt, wie das Dach mit abgeschälter Eichenrinde gedeckt, wie ein Verhüttungsofen konstruiert war. „Das ist ein Versuch“, kommentiert Müller seine Arbeit, „aus den Beobachtungen ein lebendiges Bild zu machen.“ Da gehören natürlich Menschen und Tiere dazu. Müller nimmt sich die Freiheit, zu dem „staunenden Hund“ (so die Anweisung) auch einen Typen zu zeichnen, der seinem Kollegen Zeiler aus dem Gesicht geschnitten ist. „Archäologie soll ja auch Spaß machen.“

Jede Figur, jede Szene, jedes Element hat eine eigene Ebene in der Bilddatei, kann bewegt, verschoben oder auch wieder entfernt werden. Es gibt immer Alternativen. „Da liegen ja einige hundert Jahre dazwischen“, erinnert Andreas Müller, „die waren ja weiter – wie viel Wissen haben wir verloren?“ Für den Gerhardsseifen spielen zum Beispiel die Verhüttungsversuche über zwei Sommer in einem im Hagener Freilichtmuseum nachgebauten Ofen eine Rolle. Die Forscher fanden Neues über die Art des Ofens, die Produktionsweise, den Holzverbrauch heraus. „Mit jeder neuen Erkenntnis kann man so ein Bild vervollständigen.“

Andreas Müller zeichnet erst einzelne Szenen. Später setzt er diese am Computer zusammen und koloriert sie.
Andreas Müller zeichnet erst einzelne Szenen. Später setzt er diese am Computer zusammen und koloriert sie. © WP | Steffen Schwab

4. Ein Beruf mit Leckerchen und Tagesgeschäft

Altenberg und Gerhardsseifen, aber auch seine vor Ort ausgestellte Visualisierung des Krombacher Schlags am Kölschen Heck sind Beispiele für „Leckerchen“, stellt Andreas Müller klar. Das Tagesgeschäft ist ein anderes: Grabungsfunde grafisch aufbereiten, Fundorte kartieren, einzelne Details an den Artefakten, die nur durch Berühren erkennbar werden, buchstäblich sichtbar machen. Jede Schraffur, jeder Strich ist eine Legende, die die Abbildung lesbar macht. „Ein Maximum an Erkenntnis herausholen“, sagt Müller. Für Phantasie ist da kein Platz. Nur für die Kopfbandlupe.

Noch einmal zurück in die Bergbausiedlung, die keine hundert Jahre bestanden hat und der Sage zufolge mit einer vernichtenden Feuersbrunst für die Habgier ihrer Bewohner bestraft wurde: Rad und Galgen fallen auf dem zweiten Blick am Rande des Wimmelbilds auf – die könnten tatsächlich zur Infrastruktur gehört haben. Und schließlich noch eine Gruppe, die sich um einen verletzt am Boden Liegenden schart. Für einen der Betrachter ist der Anblick zu viel. Er übergibt sich. „Ich hab’s einfach mal angetestet“, sagt Andreas Müller mit verschmitztem Grinsen. Geht doch.

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