Rennofen-Experiment - auf Spuren der Kelten im Siegerland
•
Lesezeit: 7 Minuten
Siegen/Hagen. . Rennofen-Experiment im Freilichtmuseum Hagen: Archäologen wollen herausfinden, wie das Leben im Siegerland zur Eisenzeit aussah, um 300 vor Christus.
Rennofen-Experiment im Freilichtmuseum Hagen: Siegerland wurde bisher unterschätzt
Archäologen sehen in der Region das „Hinterland“ für blühende keltische Städte in Hessen
Mengen der Stahlerzeugung und des Holzverbrauchs lassen auf große, organisierte Produktion schließen
Menschenauflauf um den Rennofen* aus Lehm. Da, wo sonst im Hagener Freilichtmuseum nur der Kohlenmeiler vor der Holzmacherei auf die Geschichte der Siegerländer Industrie aufmerksam macht, ist Hightech eingezogen. Messsonden ragen aus der Kuppel, unter der das Erz bei 1400 Grad glüht. Wenn die Archäologen richtig liegen, wird am Ende des Experiments ein wenig klarer, wie das Leben im Siegerland zur Eisenzeit aussah, um 300 vor Christus. Im wichtigsten Montangebiet Mitteleuropas.
Wie sah das Siegerland damals wirklich aus?
Hintergrund — worum es eigentlich geht: Dr. Jennifer Garner, Montanarchäologin beim Deutschen Bergbaumuseum in Bochum, hat einen Verdacht: Im Siegerland wurde zur Eisenzeit viel mehr Stahl geschmolzen, als bisher angenommen wurde. „Wir finden ja immer nur die Ofenreste.“ Und ausgesprochen geplünderte Halden: Die Schlacke war noch so eisenhaltig, dass sie Jahrhunderte später im Mittelalter noch einmal verhüttet wurde. Oft, wie am Niederscheldener Gerhardsseifen*, an gleicher Stelle. Womit die eisenzeitlichen Spuren vernichtet waren. Und manchmal dann sogar ein weiteres Mal in den 1920er Jahren — die Niederscheldener Hütte ist nicht weit. Also: Wie viel Eisen haben die Kelten damals wirklich dem Erz entlockt? Und wie sah das Siegerland damals, 300 vor Christus, wirklich aus?
Die erste Verhüttung
Der Platz füllt sich. Um das Lager mit dem Buchenholz, das gemessen, gewogen und gespalten in die nächste Ofenfüllung wandert, kümmert sich keiner mehr. Dr. Manuel Zeiler, Archäologe beim Landschaftsverband in Olpe, hat sein Team um sich versammelt: Als erstes wird die Holzkohle* gesichert, die vorn im Ofen liegt. Und dann geht es auf die Suche nach der eisenhaltigen Luppe. „Ich bin echt mal gespannt“, sagt Zeiler. Und ist skeptisch: „Das war eindeutig viel zu kurz.“ Besser als 24 wären wohl 48 Stunden Verhüttungszeit gewesen. Ofenmeister und Schmied Steffan Roth sieht das auch so. „Ohne Gebläse war das zu wenig.“
Rückblende — wie es begann: In 13 Arbeitstagen bauen neun Studenten unter Anleitung von Heinz Hadem einen Rennofen* auf, in Handarbeit, ganz ohne Maschineneinsatz. Der Rennofenbau ist längst zur Passion geworden für den gelernten Materialprüfer, der in den 1980er Jahren erstmals auf die Archäologen des Landschaftsverbandes stieß: „Das hat in mir den Forscherdrang geweckt.“ Sieben Öfen hat der Niederscheldener bisher gebaut. Und nun diesen: „Der ist auch in der Lage, Holzkohle* herzustellen.“ Am 27. März ging es los. Am 5. August wird das hölzerne Stützgerüst im Inneren des Ofens verbrannt — jetzt ist er einsatzbereit.
Wissenschaft geht auf Posten
Erica Hanning ist eingetroffen. Die Mitarbeiterin der römisch-germanischen Zentralmuseums in Mainz wird sich um die Analyse des Ofeninhalts kümmern. Dr. Nicole Boenke von der Bochumer Ruhr-Uni interessiert sich besonders für die Holzkohle*, die aus dem verbrannten Holz entsteht. Die Archäobotanikerin kann daraus Rückschlüsse auf das Alter des Holzes und auf Klima und Umgebung des Baums schließen, der da verfeuert worden ist. Hier in Hagen wissen die Forscher, was dabei herauskommen soll. Wenn’s passt, bestätigt das das Verfahren, mit dem die Forschung* bisher Geschichte aus Holz herausgelesen wird. „So eine Möglichkeit haben wir selten“, sagt Manuel Zeiler.
Siegerland — Hinterland: „Das waren keine rückständigen Typen, die in den Wäldern vor sich hinwerkelten.“ Manuel Zeiler ist sich sicher: Um die errechneten Eisenmengen zu gewinnen, musste Tonerde für die Öfen 40 Kilometer weit transportiert werden, zwei Tonnen pro Ofen — „das sind 60 bis 80 Packtiere.“ Außerdem Lehm und Erz. Und Holz. Um die Zeitenwende habe die Region dann unter einer „ganz massiven Entwaldung“ gelitten. Die Archäologen sehen sich auf der Spur einer komplex organisierten Industrie. „Das ist das Beeindruckendste.“
Rennofen-Experiment im Hagener Freilichtmuseum
1/50
Stahl und keine Städte?
So viel Stahl und keine Städte*? „Wir denken, dass das Siegerland Hinterland war“, sagt Jennifer Garner — für die keltischen Oppida in der fruchtbaren Wetterau und in der Pfalz: „Dort war die Zivilisation.“ Sollte es Spuren geben, die das Gegenteil beweisen, so sind diese zerstört: „Im Siegerland wurden die Täler zubetoniert, ohne dass Archäologen hinzugezogen wurden.“ Um das Jahr 0 war es mit dem blühenden Leben vorbei. Die Römer hatten die Kelten vertrieben, ihr Eisen gewannen sie in Österreich und Spanien. „Die brauchten das Siegerland nicht. Hier war erst einmal 800 Jahre nichts los.“
Der Ofen wird geöffnet
Die Ofenschnauze ist offen. Jennifer Garner lässt Licht herbeischaffen, legt sich bäuchlings vor den Ofen und fotografiert hinein. Dann geht es los. Erst die Holzkohle*, dann das erste Stück Schlacke, endlich die erste Luppe, die dem Schmied übergeben wird. Eimer für Eimer, Schubkarre für Schubkarre füllen sich mit den Proben. Steffan Roth trifft auf Widerstand. „Ich weiß nicht, ob wir den Klotz da rauskriegen.“
Zaungäste: Jürgen Sänger ist dabei. Der Niederscheldener Waldvorsteher hat angesichts der Vielzahl von Fundstellen regen Kontakt mit den Archäologen, auch der Gerhardsseifen* liegt in der Gemarkung. Da Niederschelden im Zentrum der Erzvorkommen liegt, „war klar, dass wir ein bisschen mehr tun mussten.“ Ohne solche Unterstützung vor Ort, sagt Jennifer Garner, wäre das Rennofen-Experiment nicht möglich geworden. Auch Gerhard Gläser ist auf den Spuren der Kelten: Der pensionierte Grundschullehrer aus Burbach war durch eine Fortbildung zu Schülerprojekten angeregt worden. Und blieb dabei: „Nicht graben, nur kartieren.“ Entdeckt hat er auch die beiden Tüllenkeile bei der Alten Burg in Burbach. Die ist, wie nun feststeht, auf jeden Fall auch keltisch.
Das Eisen für den Schmied
Manuel Zeiler ärgert sich über den festgebackenen Schlackeklotz im Schürkanal. „Das nächste Mal machen wir früher auf.“ Solange das Eisen noch flüssig ist. Nebenan wird Lehm angerührt, um die — zuvor natürlich ebenfalls vermessenen — Risse in der Ofenwand zu schließen, die beim Verhütten entstanden sind. Für den nächsten Durchgang. „Wir haben jetzt sehr viel gelernt“, sagt der Archäologe. Steffan Roth, der Ofenmeister, präsentiert die Ausbeute: „Das sieht doch gar nicht so schlecht aus.“
Lexikon zu den mit * markierten Stichworten
Forschung*
Um die 108 Gigabyte Daten werden bei dem Rennofen-Experiment erhoben,ein Team des Landschaftsverbandes dreht ein Video für das Archäologiemuseum in Herne, allein an dem Fachartikel über das Experiment arbeiten ein Dutzend Wissenschaftler als Autoren mit.
Forschung*
Für die Eisenzeit-Forschung des Bergbaumuseums und des Landschaftsverbandes ist das Siegerland seit 2002 wieder Schwerpunkt. Parallel dazu werden auch mittelalterliche Verhüttung und Bergbau in Kreuztal und Hilchenbach erkundet, der Nachweis des bisher ältesten Siegerländer Bergbaus im 13. Jahrhundert im Rosina-Stollen bei Littfeld ist ein Ergebnis.
Forschung*
Geschlagen ist aber auch die Brücke zur Eisenzeit: 2013 gelang der Nachweis, dass die Kelten nicht nur im Siegerländer Westen waren, sondern bis Müsen vordrangen — das Siegerländer Eisenzeit-Revier ist somit doppelt so groß wie bis dahin angenommen.
Gerhardsseifen*
Der Gerhardsseifen in Niederschelden gilt als Fundstätte von europäischem Rang. Er war in Eisenzeit, Mittelalter und Neuzeit Verhüttungsplatz — der Platz soll für Besucher erschlossen werden. Seit 2009 haben die Archäologen dort, vorher auch an der Quelle des Trüllesseifen in Oberschelden und — bereits um 2000 – in der Wartestraße in Niederschelden gegraben.
Holzkohle*
Holzkohle entsteht in dem Kuppelofen parallel zum Renneisen — so viel, dass sie hinterher auch zum Schmieden des Eisens ausreicht. Denn der Ofen wird in der Eisenzeit nicht etwa, wie in der mittelalterlichen und neuzeitlichen Verhüttung, mit Holzkohle, sondern direkt mit Holz beheizt. Was das große Volumen der Öfen erklärt. Und die Tatsache, dass nirgends neben den eisenzeitlichen Verhüttungsplätzen Meiler gefunden wurden.
Rennofen*
Im Rennofen wird Eisenerz zu Eisen verhüttet, die Schlacke „rinnt“ durch Öffnungen heraus. Erstmals verwenden Wissenschaftler nicht den zylindrischen Schacht-, sondern den größeren, birnenförmigen Kuppelofen. Diesen „Typ Engsbach“, sagt Heinz Hadem über den Grabungsort in Achenbach, „hat man da batterieweise gefunden.“
Rennofen*
Gebaut wurde der Rennofen mit einem Gerüst aus Hasel- und Weidenästen, die mit zwei Lagen Lehm ummantelt wurden. Zugeschlagen wurde kaolinhaltige Tonerde aus dem Westerwald. 1,7 Tonnen Lehm, 900 Kilo Sand, 50 Kilo Strohhäcksel, zwei Raummeter Holz, 530 Kilo Tonerde und 250 Liter Wasser stecken in dem Bau.
Rennofen*
Selbst gepresst wurden die Lehmziegel, die den Schürkanal verschließen, selbst gestaltet die Ofensau: ein stilisierter Eber, der den Ofen verziert. „Ofensau“ heißt auch der nach der Verhüttung übrig bleibende Schlackeklotz.
Städte*
Städte („Oppida“) gab es zur Eisenzeit im Siegerland nicht — auch Grabungen während der Restaurierung des Oberen Schlosses blieben ergebnislos. Die Hüttenarbeiter haben wohl in Weilern und kleinen Dörfern gelebt, vielleicht auch immer nur für einen Teil des Jahres. „Wohnpodien“ wurden zum Beispiel in Zeppenfeld und am Höllenrain in Wilgersdorf ausgegraben.
1/9
>>> Info
Am Sonntag, 27. August, 15 Uhr, stellt LWL-Archäologe Dr. Manuel Zeiler das Verhüttungsexperiment an Ort und Stelle im Hagener Freilichtmuseum vor. Hier gibt es Fotos und noch mehr Details.
Sie haben vermutlich einen Ad-Blocker aktiviert. Aus diesem Grund können die Funktionen des Podcast-Players eingeschränkt sein. Bitte deaktivieren Sie den Ad-Blocker,
um den Podcast hören zu können.