Siegen. Zwei Violinquartette, hervorgegangen aus dem Geigenprojekt in der Bluebox Siegen, treten bei Jugend musiziert an. Besuch bei den Rainbow Strings.
Es geht ein wenig chaotisch zu. Die Jungs laufen herum, reden laut miteinander, verständigen sich über zu besorgende Snacks und Getränke. Mindestens eine Geige ist immer zu hören. Parallel dazu versucht Musikschulleiterin Angelika Braumann, via Handy logistische Probleme zu klären – weil der Großteil des zweiten Violinenquartetts für die Probe in der Realschule Am Häusling noch fehlt. Dann sammeln sich vier Jungen in der Mitte des Raums, setzen die Geigen an und fangen an zu spielen: Telemanns Konzert für vier Violinen in D-Dur.
Die „Rainbow Strings“ bereiten sich auf den Regionalwettbewerb „Jugend musiziert“ vor, am morgigen Samstag werden sie in Bad Fredeburg vor der Jury auftreten. Das Ensemble ist aus dem Geigenprojekt der Fritz-Busch-Musikschule und der Bluebox heraus entstanden. Seit Anfang 2016 können Kinder und Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund zu offenem Gruppenunterricht ins Jugendzentrum kommen. Wer kein eigenes Instrument hat, kann eines leihen. Nun hat Angelika Braumann aus dem regelmäßigen Teilnehmerkreis zwei Quartette formiert, die beim Musikwettbewerb antreten werden und deren Mitglieder seit minimal zwei, höchstens drei Jahren Geige lernen – also erst relativ kurzer Zeit. „Was die bereits geschafft haben, das ist schon hammermäßig“, sagt die Lehrerin.
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Füreinander
Die vier Jungs spielen Telemann durch. Angelika Braumann macht ein Video, „dann ist es, als wäre Publikum da“. Der Durchgang läuft, dann steht der Wechsel zum zweiten Stück, Astor Piazzollas „Libertango“ an. „Schnell“, spornt Angelika Braumann an, „dass muss auch am Samstag schnell gehen!“ Jason, der jüngste der Gruppe, findet seine Notenblätter nicht ad hoc. Die Lehrerin hilft, greift zielsicher seine Exemplare aus den im Raum verteilten Sachen heraus und lacht: „Deine Knicke kenne ich.“
Zum Selbstläufer entwickelt
Das Projekt begann 2016 unter dem Namen „Musikunterricht für Flüchtlinge“. Dazu gehörten auch Gruppenstunden für Gitarre und Klavier. Die Nachfrage nach Geige war aber so groß, dass im Laufe der Zeit mehrere Gruppen eingerichtet wurden und die Leihgeigen zur Neige gingen.
Die Konzentration auf Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene mit Fluchtgeschichte rückte in den Hintergrund, weil sich der Unterricht in der Bluebox rasch zu einem offenen Angebot für alle Besucher entwickelte. Die Teilnehmer hatten auch schon bei mehreren Gelegenheiten Auftritte.
„Libertango – das ist echt total schwer zu spielen“, sagt die Expertin. Der Wunsch dazu kam von einem der Jugendlichen. Mit Telemanns Komposition aus dem 18. Jahrhundert und Piazzollas Stück von 1974 ist die Wettbewerbsvorgabe erfüllt, zehn bis 20 Minuten mit Beiträgen aus zwei Epochen zu gestalten. Die Quartette – mit sieben Jungs und einem Mädchen zwischen 9 und 14 Jahren – treten in der Altersgruppe III beim Wettbewerb an. Alle haben einen Migrationshintergrund, alle sind mit vollem Elan bei der Sache.
Durcheinander
Die zweite Gruppe ist immer noch nicht vollzählig. Musikschullehrerin Annette Rudek ist unterwegs, um die drei Fehlenden mit dem Auto in Kreuztal abzuholen. „Das Problem haben wir häufiger – dass Leute an irgendwelchen Bahnhöfen gestrandet sind“, erzählt Angelika Braumann nach einem weiteren Koordinationsversuch per Telefon. In den vergangenen Wochen mit dem erhöhten Probenpensum, teilweise mehrere Stunden am Tag, sei sie deshalb reichlich mit dem Auto auf Tour, „bei 300 Kilometern habe ich aufgehört zu zählen“. Die Quartett-Mitglieder wohnen nicht alle in Orten mit idealen ÖPNV-Anbindungen, Improvisation und Talent für schnelle Organisation sind unerlässlich. „Aber eine Gelegenheit wie die Teilnahme am Wettbewerb darf man denen nicht wegnehmen.“
Der Libertango ist selbst für den Laien als schwieriges Stück zu erkennen, Hintergrund und Hauptmelodie greifen virtuos, aber eben auch kompliziert ineinander. Viele der Kinder und Jugendlichen, die sonst am Wettbewerb teilnehmen, üben seit fünf oder sechs Jahren, sagt Angelika Braumann; ihre Schützlinge erst halb so lang. Es komme zwar immer wieder vor, dass Kandidaten und Kandidaten sich schon nach so kurzer Zeit für „Jugend musiziert“ anmelden – die Regel seit das aber nicht. Und die meisten Starter im Wettbewerb hätten zudem andere Voraussetzungen, vor allem Einzelunterricht, teure Instrumente, Elternhäuser mit anderen finanziellen Möglichkeiten der Förderung. Gerade das macht die Leistungen der Rainbow Strings so besonders.
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Miteinander
Die Jungs können sich einzelne Passagen wünschen, in denen sie noch unsicher sind und die sie gezielt wiederholen möchten. Sie helfen einander. Angelika Braumann spielt mit, gibt weitere Orientierung. „Ah….“, ruft sie, als das Ensemble aus dem Tritt gerät. „Mein Fehler!“ – „Macht nichts“, sagt einer der Jungs. Und ein anderer ergänzt freundlich: „Das passiert auch bei Lehrern.“
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