. Fritz-Busch-Musikschule und Bluebox bieten Kindern und Jugendlichen in einem gemeinsamen Projekt Instrumental-Unterricht an. Nachfrage ist groß.

Ein Dutzend Geigen spielen in dem kleinen Raum in der Bluebox durcheinander. Angelika Braumann erklärt einem Jungen etwas, zeigt ihm, wie er das Instrument halten muss. Die übrigen Jugendlichen üben unterdessen weiter Melodien, manche allein, andere in Grüppchen. In diesem Geigenunterricht stehen die Instrumente nie still. Niemand ist hier, weil er muss. Jeder ist hier, weil er will.

Es begann 2016 als Projekt unter dem Namen „Musikunterricht für Flüchtlinge“. Längst ist es ein offenes Angebot für alle Kinder und Jugendlichen, die die Bluebox besuchen – und ein Selbstläufer. Die Fritz-Busch-Musikschule der Stadt Siegen gibt in Kooperation mit dem Jugend- und Kulturzentrum an der Sandstraße Gruppenstunden für Gitarre, Klavier und Violine. Für letztere ist die Nachfrage so groß, dass jüngst eine vierte Gruppe gebildet werden musste. Mehr als 30 Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind insgesamt bereits dabei, das Mitmachen ist kostenlos möglich. „Jede Woche kommen ein bis zwei Neue hinzu“, sagt Musikschulleiterin Angelika Braumann.

Eins

Tschaikowsky, Schwanensee – unverkennbar. Die erste Gruppe an diesem Mittwoch übt Stücke aus dem Programm des Mittelstufenorchesters der Musikschule. Einige der Jugendlichen aus der Bluebox werden beim nächsten Konzert mitwirken, obwohl sie erst seit weniger als einem Jahr dabei sind. Viele lernen hier sehr schnell. „Den Ton“ – Angelika Braumann macht ihn während einer kurzen Unterbrechung vor – „müsst ihr finden.“ Die Schüler probieren es, es klappt.

Gesucht: Neue Instrumente

Die vierte Gruppe ist eine Mädchenrunde und probt montags.

Wegen der großen Nachfrage nach dem Angebot gehen der Musikschule die Übungsgeigen aus. Wer ein ungenutztes Instrument zu Hause hat und es spenden möchte, erreicht die Musikschule unter 0271/404-14 35

Es ist kein traditioneller Unterricht, wie er in der Musikschule die Regel ist, sagt die Leiterin. Aber er funktioniert. Die Kinder und Jugendlichen „lernen überwiegend nach Gehör und durch Vor- und Nachspielen“, erläutert Braumann. Auf dem Unterrichtsplan steht auch Notenlehre, aber der Hauptzugang zum Erlernen des Instruments ist ein anderer. Die Begeisterung ist in jedem Moment spürbar, die Teilnehmer unterstützen sich gegenseitig, spornen sich an, helfen einander ungeachtet eventueller Sprachgrenzen. Die Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die die Geigenstunden besuchen, kommen aus mehr als zehn Herkunftsländern. In vielen davon spielt Musik eine besondere Rolle, in vielen Familien hat sie hohen Stellenwert. Für die Lehrkräfte ist es eine Herausforderung, weil sie in einem kleinen Raum den Überblick über die Leistungen vieler Schützlinge behalten müssen. Aber es bedeutet für sie auch „die Erfahrung einer ganz anderen Lehrerrolle, als sie das aus der traditionellen Musikschularbeit kennen“, sagt Braumann.

Zwei

Gruppe Nummer zwei ist da, die Acht- bis Elfjährigen. Während Angelika Braumann jedem die Geige stimmt, legen die anderen schon los. Beethovens 9. ist immer wieder zu hören, „Freude schöner Götterfunken“. Ein neuer Junge ist dabei, er bekommt eine Geige. „Du guckst ein bisschen bei mit ab – und spielst mit“, sagt die Lehrerin. Kurz darauf stehen alle im Kreis. „Jeder darf etwas erfinden“, beschreibt Braumann die nächste Übung. „Ich spiele vor, ihr antwortet. Und dann reihum.“ Wenn die Kinder dran sind, überlegen sie kurz, entlocken ihren Instrumenten dann spontan eine kurze Tonfolge. Die anderen machen es nach. Bei einem Jungen wird es länger. „Ganz genau aufpassen“, sagt Braumann, „der Klaus hat etwas Kompliziertes erfunden“. Doch auch das gelingt.

Es war als Projekt für junge Flüchtlinge angelegt, aber mitmachen kann jeder, der in die Bluebox kommt. Offene Angebote entsprechen dem Konzept der Einrichtung, außerdem ist Offenheit Grundlage für Integration. Der Umgang der Schülerinnen und Schüler miteinander ist auffallend freundlich. Die gemeinsame Leidenschaft verbindet.

Drei

Die älteren Jugendlichen sind da, Gruppe drei will anfangen. Viele der Kinder aus Gruppe zwei möchten aber eigentlich gar nicht gehen – und sie möchten auch nicht aufhören, zu spielen. Irgendwann steht Angelika Braumann aber doch nur noch mit den Älteren in der Runde. Pop steht an, „Perfect“ von Ed Sheeran. Passagenweise arbeitet sich die Gruppe voran, am Ende spielen alle zusammen eine längere Sequenz.

Die Schüler bringen oft Liederwünsche mit, präsentieren den Lehrern Youtube-Videos oder Soundfiles von Songs und Melodien, die sie nachspielen möchten. Streichinstrumente sind nicht auf Klassik abonniert; mit Stars wie David Garrett hielt die Geige prominent Einzug in die Popkultur, in beispielsweise der türkischen Popmusik sind Streicher ein häufiges Element. Das steigert natürlich die Motivation junger Leute.

Kurz nach 19 Uhr. Angelika Braumann packt zusammen. Sie wirkt zufrieden, lächelt. Kommenden Mittwoch geht es weiter. Bestimmt wieder mit ein bis zwei Neuen.

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