Siegen. Mit Lutz Hübners „Gretchen 89 FF“ bringt das Projekttheater der Uni Siegen ein Stück ins Lyz, in dem das Theater sich selbst spielt.

Lutz Hübner steht wie kein zweiter Autor für Bühnenkunst auf höchstem Niveau, ist seit Jahren der meistgespielte Dramatiker an deutschen Theatern.

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Sein Schul-Thema „Frau Müller muss weg“ hat vor Jahren das Apollo-Publikum begeistert und es auch als Spielfilm in die Kinos geschafft. Schön, dass das Projekttheater der heimischen Uni in seinem Jubiläumsprogramm Hübners „Gretchen 89 FF“ auf die Bühne des kleinen Lyz bringt, ein Stück, in dem das Theater sich selbst spielt.

In zehn Szenen wird Theaterleben hinter den Kulissen aufs Korn genommen, werden dessen Charaktere humorvoll in die Gegenwart katapultiert und persifliert.

Manchmal auch mit einem wunderbaren Schuss Gnadenlosigkeit. Und immer geht es nur um eine Szene: Gretchens Monolog „Es ist so schwül und dumpfig hie…“ aus Goethes „Faust“ – und was Regisseure, Intendanten, Dramaturgen und Bühnenbildner, aber auch die verschiedenen Schauspielerinnen aus diesen knapp zwei Minuten machen.

„Nach dem Krieg war Theater am schönsten“

Etwa der frustrierte Provinz-Regisseur, wild und psychopathisch herumschreiend wie weiland Klaus Kinski. „Wirf dich auf den Boden. Dabei bekommt das Abo-Schwein so richtig eins auf die Jacke.“ Der Freudianer mit Lederjacke und lüsternem Blick, immer auf der Suche nach der Urmutter, aber umgeben von einer Geliebten aus dem Ballett des jeweiligen Hauses.

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Oder der alte Haudegen, früher Schauspieler, heute Regie führend. Zumindest es versuchend. Ein Untoter, der schon bei Gründgens gespielt hat: „Nach dem Krieg war Theater am schönsten. Hamlet in ausgebombten Häusern.“ Oder auch „der Streicher“, für den Theater nicht länger als anderthalb Stunden dauern darf.

Dramaturg scheitert am Intendanten

Auch die Akteure auf den Brettern bekommen auf die Mütze. Etwa das alte Tournee-Pferd, Moschusduft und Hang zu Cognac, der wie ein kolumbianischer Drogenbaron auftritt und gerne junge Kolleginnen abfüllt: „Du bist noch so jung, Schatzerl.“

Menschliches und Unmenschliches hinter Theatermauern

Auch ganz Menschliches geschieht in „Gretchen 89 FF“ hinter Theatermauern: Verrisse von Kritikern, die Schauspielern so richtig unter die Haut gehen und ihnen den Tag versauen. Oder Ablästern: „Diese Schnapsnasen vom Förderverein.“

Aber es geschieht auch Unmenschliches: Eine Schauspielerin, die sich vor den Anzüglichkeiten des Regisseurs kaum retten kann. (Anmerkung: Autor Lutz Hübner schrieb das Stück 1997. Zu dieser Zeit galt Harvey Weinstein noch als unantastbarer Filmproduzent)

Natürlich die Diva, ständig empört über die Rollen, die man ihr gibt, aber noch mehr über die Rollen, die man ihr nicht gibt, und sich immer als Opfer eines Komplotts sehend. Einen unerfahrenen Regisseur wickelt sie um den Finger: „Ich mach das so, wie ich es mir vorstelle. Schau’n Sie es sich mal an.“

Dann wäre da noch der Dramaturg: Er sucht die überflüssigen Texte für die Programme, hat aber ein Problem: keinen Stallgeruch, scheitert mit seinen Vorschlägen am Intendanten. Sein Traum: ein Faust-Projekt mit arbeitslosen Schauspielern, die ansonsten in Kneipen zapfen. Seine besondere Idee: Gretchen wird von einem Mann gespielt, aber geschlechtsneutral.

Begeisternd und unterhaltsam

André Barz, Professor für Theaterpädagogik an der Uni Siegen, Gründer des Projekts, Regisseur und Souffleur, hat mit seinem Team seit September eine begeisternde, unterhaltsame Bühnenproduktion geschaffen: Mit Stephanie M. Klein, die als Moderatorin mit den Attitüden einer nicht ganz unbekannten Siegener Theaterfrau die Fäden in der Hand hält.

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Mit Schauspielerpaaren, die in verschiedene Rollen schlüpfen: Oliver Reichert und Annika Dietermann – alter Haudegen und junge Schauspielerin –, Thomas Ziel und Jasmin Darband – Freudianer und sich dagegen Auflehnende – und Carl Christian Griese und Hanna Giebeler – junger Regisseur und Diva.

Das machen sie großartig. Carl Christian Griese, der Jüngste des Teams, sagt am Ende: „Man muss verrückt sein in dem Beruf.“ Um nach einigen Momenten zu ergänzen: „Theater ist einfach toll.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.

„Gretchen 89 FF“ wird letztmalig am Freitag, 10. Januar, 20 Uhr im Kleinen Lyz aufgeführt.

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