Siegen.

In Berlin gibt es über hundert, in Siegen nur zwei, und eine davon ist inzwischen gescheitert: Baugemeinschaften. Beim Kochabend der schwulen Musiker Frank und Mick, zu dem sie Ludger, Althippie und Professor für Soziologie, und seine Frau Vera, PR-Frau einer Stiftung, eingeladen haben, geht der servierte Krabbencurry gründlich in die Hose. Aber die Idee zu einer Baugemeinschaft entsteht — Thema für „Richtfest“, das in der Inszenierung des Schauspielhauses Bochum am Wochenende zwei Mal über die Bühne des Apollo-Theaters ging.

Man baut zusammen ein Haus, in dem man dann auch gemeinsam wohnt. Und schnell kommen eine junge Familie — er Assistenzarzt, seine Frau im Mutterschaftsurlaub, —, der Finanzbeamte mit seiner Frau, die im Sozialbereich arbeitet und ihre noch minderjährige Tochter, eine in die Jahre gekommene ehemalige Wirtin und, welch Glück, der Architekt Philipp hinzu, der ausersehen wird, das Haus zu planen, die Finanzierung und den Bau zu organisieren. Dass ihre Träume über das erste Stadium nicht hinauskommen, ist zunächst nicht abzusehen. Noch freuen sie sich: „Wir werden in diesem Haus gemeinsam alt werden“ und „Endlich eine Familie, die wir uns selbst ausgesucht haben.“ Den erfahrenen Architekten beschleicht jedoch schon bald eine Vorahnung: „Wir werden Krach haben.“

Der kommt auch bald. Die alte Dame erweist sich als Messie der schlimmsten Sorte, was die beiden Musiker bei einem spontanen Besuch zu ihrem Entsetzen herausbekommen, und die junge Mutter wird zur Überraschung ihres Mannes erneut schwanger, was ihr Finanzierungskonzept gründlich durchrüttelt: „Eine Wohnung in dieser Lage ist schwerer zu bekommen als ein Kind.“ Noch dazu findet der Architekt Gefallen an der frühreifen Beamtentochter, nicht gerade zur Freude der Eltern: „Ich will wissen, ob der Mann, der das Haus plant, unsere Tochter missbraucht.“ Doch am schlimmsten für die Hausplanung: Aus der Baugemeinschaft entwickelt sich eine Sozialgemeinschaft. Und die will, dass das Haus nicht nach architektonischen Prinzipien entwickelt, sondern den Bedürfnissen aller Beteiligter angepasst wird. Also auch der jungen Familie mit zwei Kindern und der inzwischen durch einen Schlaganfall pflegebedürftig gewordenen alten Dame. Architekt Phillip resigniert: „Das wird ein Fuchsbau mit Bastelkeller.“

Die endgültige Katastrophe geschieht da, wo alles begann: beim Essen. Das Büffet bringt alles an den Tag. Der Professor empört sich: „Da steht mein Rotwein für 60 Euro neben eurem Zwei-Liter-Saft für 1,20.“ Seine Frau zur Beamtengattin: „Ich will euren Scheiß-Kartoffelsalat nicht mehr sehen. Haut endlich ab!“ Das tun dann auch alle, nicht ohne nach einer ordentlichen Rauferei am Boden zerstört zu sein und dann doch, ein letztes Mal gemeinsam, unter ihren durchnässten Bauplänen zu liegen. Da wirft auch der geduldigste Architekt die Flinte ins Korn: „All der Ärger für einen trockenen Schlafplatz und das Gefühl, nicht alleine zu sein. Lohnt sich das?“.

Lutz Hübner, der Autor des Stückes „Richtfest“, zu dem es letztendlich nicht kommt, hat ein untrügliches Gefühl für Themen, die sozusagen „auf der Straße“ liegen. Wie schon beim vor einigen Wochen auf der Apollo-Bühne gespielten „Frau Müller muss weg“ sind dies nicht große Dramen, sondern alltägliche Ereignisse und Begebenheiten. Jedem Besucher kommt schon nach wenigen Minuten der Gedanke: „Das kenne ich doch auch.“ und „Der Typ könnte unser Nachbar sein.“ Hübner, früher selbst Schauspieler, schrieb „Richtfest“ als Auftragsarbeit für das Schauspielhaus Bochum. Bei der Uraufführung im Dezember 2012 waren genau die elf Schauspieler dabei, die sich auch in Siegen als hervorragend eingespieltes Ensemble erwiesen und dem Publikum einen umjubelten Theaterabend boten.