Siegen. Seit dem 1. Januar 2020 gilt die Belegausgabepflicht: Es muss ein Kassenzettel über die Theke gehen – egal wie niedrig der Kaufbetrag auch ist.
Und wenn es nur ein paar Cents waren: Für jeden Kauf müssen Händler mit elektronischen Registrierkassen seit 1. Januar Kunden ungefragt einen Bon aushändigen. Gegen die sogenannte Belegausgabepflicht wehren sich Verbände und Händler. Ihre Argumente: Bürokratie, Ressourcenverschwendung, Generalverdacht.
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Das Gesetz: Der Staat will Steuerhinterziehung erschweren
Die Belegpflicht reiht sich ein in einer Reihe von Verordnungen, um Steuerhinterziehung zu begegnen. Schätzungen zufolge entgehen dem Fiskus jährlich mindestens Millionenbeträge. Anforderungen an die Kassenführung wurden in den vergangenen Jahren vom Gesetzgeber bewusst teils erheblich verschärft, um das Führen von schwarzen Kassen zu unterbinden, erklärt Hans-Peter Langer, zuständiger Geschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) Siegen. „Das ist auch völlig richtig und in Ordnung.“
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Ab September sollen die Kassen zudem mit technischen Sicherungseinrichtungen versehen werden, um gebuchte Vorgänge unverrückbar im System festzuhalten. Allerdings kann ein Vorgang schon jetzt kaum noch gelöscht, sondern nur noch storniert werden – der ursprüngliche Kauf verschwindet dabei nicht. Die neuen Kassen sollen das noch stärker absichern – und hätten eigentlich ebenfalls seit dem 1. Januar im Einsatz sein sollen. Weil die Systeme aber noch nicht so weit waren – so fehlte etwa die Zertifizierung – wurde den Händlern Aufschub gewährt.
Die Kritik: Bürokratie, Ressourcenverschwendung, Generalverdacht
Nicht in Ordnung sei es allerdings, wie dieses Ziel in der praktischen Umsetzung erreicht werden soll. „Das ist völlig undifferenziert“, kritisiert Hans-Peter Langer, Nebenwirkungen der neuen Verordnung träfen vor allem kleine Firmen. Für ein 35-Cent-Brötchen einen Bon auszudrucken sei unpraktikabel und völlig unzeitgemäß – „und wozu etwas ausdrucken, wenn man etwas abspeichern will?“, fragt Langer. „Das macht man doch zuhause auch nicht.“ Ohnehin habe der Kunde grundsätzlich immer ein Recht auf einen Beleg – „der Händler weiß ja vorher nicht, ob ein Bon benötigt wird, deswegen wird der Vorgang auch immer verbucht“, sagt Langer.
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Die Belegpflicht reiht sich ein in Maßnahmen gegen Steuerhinterziehung – und in immer mehr bürokratische Regelungen, mit denen Händler umgehen müssen. „Man verliert da irgendwann den Überblick.“ Der Gesetzgeber sei über das eigentlich hehre Ziel hinausgeschossen. Es gebe zwar die Möglichkeit für Ausnahmen – die aber nicht im Ermessen der örtlich zuständigen Behörden liege. Wie etwa mit Kontrollen umgegangen werde, müsse sich in den nächsten Tagen und Wochen zeigen.
Appell an Abgeordnete
Der Einzelhandelsausschuss der IHK hat einen Appell an die heimischen Abgeordneten verabschiedet, um die Mandatsträger für das Thema zu sensibilisieren und auf die Bundesregierung einzuwirken, bei der Regelung nachzubessern.
Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) lehnt die Belegpflicht ab, Finanzminister Olaf Scholz (SPD) hält daran fest.
Was IHK und Händlerschaft am meisten stört: „Es wird den Geschäftsleuten pauschal unterstellt, dass sie Steuern hinterziehen.“ Das sei ein fatales Signal an die Kaufleute, die ohnehin mit vielen Belastungen leben müssten.
Die Stichprobe: 17 Käufe in Siegen – bei 9 gibt es einen Kassenbon
17 Käufe, neun Kassenbons. Das ist das nicht repräsentative Ergebnis von mehr oder weniger wahllosen Testkäufen der Redaktion in Siegener Geschäften.
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Für Unverständnis sorgt die neue Bonpflicht in einer Bäckereifiliale in der Siegener Innenstadt. Häufig werden die kleinen Zettel von den Verkäuferinnen selbst in den Müll geworfen – oder Kunden lassen den Beleg auf der Ladentheke liegen. Bewusst nach einer Quittung fragt niemand. Die neue Dokumentationspflicht sorge bislang nur für Ärger, störe den Arbeitsrhythmus und erzeuge unnötig Papiermüll, beschwert sich eine Mitarbeiterin. Auch bei Kunden sorgt die Bonpflicht für Kopfschütteln. Für zwei Brötchen brauche er doch keinen Bon, sagt ein älterer Mann und verlässt die Bäckerei ohne Beleg. Eine Mindestmenge an verkauften Backwaren gibt es nicht. Schon bei einem verkauften Milchbrötchen muss ein Bon gedruckt werden. „Ich bin gespannt, wie schnell sie das wieder abschaffen“, sagt eine Verkäuferin süffisant und lacht. Dann ist der nächste Kunde dran.
In einem Lebensmittelmarkt dreht sich die Verkäuferin nach dem Kassieren sofort weg, ehe sie pflichtbewusst doch nachfragt, ob der Kunde einen Bon möchte. Verzichte der Kunde jedoch ausdrücklich auf einen Beleg, dann drucke sie auch keinen aus, sagt die Verkäuferin – der Umwelt zuliebe. In einem Kiosk wird der Beleg für Zigaretten ausgedruckt und sofort weggeworfen, im Dönerimbiss gar nicht erst gefragt.
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