Siegen. Siegener Beiträge voller Anekdoten: Der Schülerinnenstreik, die Anti-NPD-Demo, der vergessene Brandanschlag aufs Katasteramt am Unteren Schloss.

Anekdoten. Die, wie Schüler die Kölner Straße mit Pausenbroten pflasterten. Die vom vergessenen Brandanschlag aufs Katasteramt am Unteren Schloss. Und Namen. Mehr als 100: Dr. hc. Wilhelm Jung, graue Eminenz der Stadt. Uli Kill, der aus dem CVJM flog, weil er sich einen Bart stehen ließ. Paul Breuer, der für den RCDS in den AStA wollte und dabei nicht an seiner Cousine und Gegenspielerin Marianne Demmer vom SDS vorbeikam. Alles aus der jüngeren Siegener Geschichte. Genauer: Aus den Jahren um 1968.

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Der Siegener Studentenpfarrer: Manfred Zabel als Schnittstelle zwischen den Parteien

Die 68er sind das Schwerpunktthema des neuen, 24. Bands der Siegener Beiträge und die Anekdoten und Namen stammen aus einem Interview mit Prof. Manfred Zabel, das Bernd D. Plaum und Ludwig Burwitz geführt haben. „Zabel ist ein denkbar geeigneter, authentischer Zeitzeuge“, sagt Burwitz: Er kam aus dem Ruhrgebiet von außen ins Siegerland, saß als Studentenpfarrer an der Schnittstelle zwischen den etablierten Kräften – auch kirchlich und freikirchlich – und den „aufmüpfigen“ Studierenden. „Er war eine Instanz als Berater von Kriegsdienstverweigerern und hat ein sagenhaftes Gedächtnis“, sagt Burwitz. Im Grunde hätten sie nur als Stichwortgeber fungiert, dann flossen die Namen und Anekdoten.

Manfred Zabel bei einer Diskussion: Er hatte als Studentenpfarrer Kontakt zu Hochschulkreisen und etablierten Kräften
Manfred Zabel bei einer Diskussion: Er hatte als Studentenpfarrer Kontakt zu Hochschulkreisen und etablierten Kräften © Geschichtswerkstatt

In der Tat ist das kurzweilige und absolut lesenswerte Interview ein Ritt durch Siegerländer Mentalität, streift Lokalprominenz und Zeitgeist. Zabel berichtet von längst vergessenen Demos; „für uns war überraschend zu erfahren, was alles passiert ist“, sagt Bernd D. Plaum, der wie Burwitz etwas zu jung war, um selbst aktiv dabei gewesen zu sein. „Es gab nicht nur die Demo gegen die NPD, die Studenten forderten schon vorher mehr Bildung.“ In 112 Fußnoten haben Plaum und Burwitz viele Personen und ihren Werdegang rekonstruiert, „als Siegener ist das unheimlich spannend zu lesen“, sagt Burwitz, „wo die Leute gelandet sind, wer mit wem in Kontakt stand.“

Die Siegener Schülersprecher: Christoph Bode und Harrie Müller-Rothgenger

Christoph Bode ist so einer: Der inzwischen emeritierte Professor für Anglistik war einer der fünf Schülersprecher des damaligen Jungengymnasiums, heute Löhrtor. Und er hat Tagebuch geführt, seit dem 1. Januar 1969. Das und Protokolle der damaligen Schülermitverwaltung geben Einblick, wie es wirklich war, zum Beispiel mit dem Schülerinnenstreik, der zum Rücktritt der Direktorin Dr. Ursula Erfurt führte. „Es wurde kolportiert, der Streik sei gelenkt worden, aber das stimmt nicht“, sagt Plaum. Die Mädchen holten sich ein bisschen Hilfe von den Jungs, beschreibt Bode. Wolfgang Leipold beispielsweise sei zwar kurz verhaftet worden, aber nur, weil er zum falschen Zeitpunkt ein Megafon in der Hand hielt. „Der Streik war eine eigenständige Aktion der Mädchen“, sagt Plaum.

Weitere Artikel

„1869 – Anfänge der Arbeiterbewegungs- und Genossenschaftsgeschichte“ von Bernd D. Plaum.

„Das Todesjahr von Gustaf Graf zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein – 1700 oder 1701?“ von Hans-Bernd Spies.

„Walzen und Stahlformguss in schwieriger Ortslage. Die Nachkriegs-Geschichte der Ed. Breitenbach GmbH in Siegen-Weidenau“ von Josef Wiesmann.

Prof. Christoph Bode liest übrigens am Donnerstag, 12. September, 18.30 Uhr im Stadtarchiv Auszüge aus seinem Zeitzeugenbericht.

Harrie Müller-Rothgenger war ebenfalls Schülersprecher zu dieser Zeit. In seinem Artikel rollt er episodenhaft, durchaus literarisch, persönliche Erinnerungen an die 68er aus, fängt die Stimmung der Zeit ein. Der spätere Studiendirektor im niedersächsischen Bildungsministerium „war wohl ein ziemlicher Aufrührer“, sagt Bernd D. Plaum amüsiert. Von ihm stammte wohl die Idee, die Schulhofmülleimer nach Pausenbroten zu durchsuchen, um damit an einem Adventssamstag die Kölner Straße zu pflastern, um auf den Hunger in Biafra im Zusammenhang mit dem nigerianischen Bürgerkrieg aufmerksam zu machen.

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Die Siegener Geschichtsforschung: Suche nach weiteren Zeitzeugen

„Wir haben das Thema nur angerissen“, sagt Ludwig Burwitz. Die Geschichtswerkstatt sucht nach weiteren Zeitzeugen: Aus dem AStA, der Hausbesetzerszene. Auch in Siegen fanden kleine und große politische Ereignisse ihren Niederschlag, heißt es in der Einleitung zum 68er-Schwerpunkt. Es gibt noch viele Geschichten aus der Geschichte.

Der 24. Band der „Siegener Beiträge“ ist für 16 Euro im Buchhandel erhältlich.

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