Deuz. Bernhard Ott war wieder unterwegs. Diesmal ging es in zwei Etappen nach Bari – danach wurden die Tage zu kurz.
Vor gut einem Jahr war Bernhard Ott gerade aus der Bretagne zurück, 700 Kilometer war er dort gewandert, nachdem er schon über 1000 Kilometer dem Frühling in Gibraltar entgegengelaufen war. Marathon sollte es 2020 werden, vielleicht. Hat er vor einem Jahr überlegt. Wandern, nicht joggen, von Marathon nach Athen. Hat er das gemacht?
Der Deuzer, der in diesem Jahr 76 geworden ist, erzählt von seinem Spätsommer 2020. Er legt Landkarten auf den Tisch. Einige hundert Fotos, die er mit dem Smartphone gemacht hat, als Papierabzüge. Und das Heftchen, in dem er die Stempel von seinen Übernachtungsquartieren sammelt. Wer es noch nicht weiß: Für Bernhard Ott ist Wandern nichts Naturromantisches. Sondern einfach Sport. Er macht Strecke, ohne Umwege und Abstecher. Um die 50 Kilometer am Tag. „Hinter Bozen ist es eben. Und auf der Straße können sie mehr schaffen.“
Einmal über den Brenner und zurück
1. Etappe: Hessisches Fachwerk, die Bergstraße, Tabakfelder, Ulm und die Donau. Das „Hotel zur Goldenen Sonne“ bleibt als gestempelte Erinnerung, die „Blaue Traube“. Tag für Tag verändert sich die Landschaft. Die Häuser sehen anders aus, die Kirchen. Wenn man einfach fliegt, merkt man das gar nicht. „Aber wenn man 40 Tage geht.“ Die Voralpen tauchen auf, Kloster Ettal, Mittenwald, der Karwendel. Über den Brenner kommt Bernhard Ott nach Südtirol. Klausen, „ein wunderschöner Ort“. Schließlich Bozen. Am 15. August ist er in Deuz los gelaufen. Bis auf den einen oder anderen morgendlichen Nieselregen und ein Gewitter bei Frankfurt nur schönes Wetter. Um die 1000 Kilometer. Keine Handvoll Fotos aus Bozen. Die Attraktion des Ortes, den er am 4. September erreicht „hält sich in Grenzen“, findet er. Er steigt in den Zug und fährt nach Hause.
Nicht nur wandern
Es dürften jetzt um die 26.000 Kilometer sein, die Bernhard Ott, einst Personalleiter bei Thyssen-Krupp, in seinem Ruhestands-Leben als Fernwanderer zurückgelegt hat.
Zu Hause in Deuz ist Bernhard Ott dem SGV verbunden – allerdings: Den eigenen Ansprüchen genügen die Distanzen dort nicht. Sein Angebot, eine Wanderung über 50 Kilometer zu führen, stieß auf begrenzte Resonanz.
Bevor die Saison beginnt, wandert sich Bernhard Ott warm – über immer größere Distanzen, bis die Kondition wieder für die Fernwanderetappen reicht.
Fit hält sich Bernhard Ott beim Joggen. Oft war er beim Silvesterlauf um die Obernau dabei.
Bernhard Ott reitet auch. In diesem Frühjahr ist er schmerzhaft gestürzt – das Pferd war ausgerutscht.
Mit der Sonne im Rücken an die Adria
2. Etappe: Um die vier Wochen Pause hat Bernhard Ott sich gegönnt, bevor er am 2. Oktober am Bozener Bahnhof da weiterläuft, wo er aufgehört hat. „Ich mache das relativ korrekt.“ Vor ihm liegt nun eine „reine Straßenwanderung“, wie er erzählt. Keine Klettertour über den Apennin mit Hütten-Übernachtungen. Zum Ausruhen gönnt sich der 76-Jährige Hotel-Komfort. Jede Übernachtung hat der gebürtige Heidenheimer, der bei Thyssen Krupp in Kreuztal Personalleiter war, vorab gebucht – und von jeder Zwischenstation weiß Ott auch längst vorher, in welchem Laden er abends noch Proviant kaufen kann. Es geht den Etsch hinunter, an den Caldonazzosee, durchs Brentatal und die Poebene. 28 Grad hats da auch Mitte Oktober noch, „fast an der Obergrenze des Angenehmen“, findet Bernhard Ott – Wälder, die Schatten spenden, findet er hier nicht. Dafür blendet ihn die Sonne nicht, die hat er auf dem Weg in den Süden im Rücken. Andere Wanderer trifft er hier nicht. Den einen oder anderen, der ihn mit dem Auto überholt, sieht er im nächsten Dorf wieder. Beim Caffè kommt man ins Gespräch, der wandernde alte Mann macht neugierig. „Die wollten immer gleich die ganze Geschichte hören.“ Wahrscheinlich kriegen sie nur die Kurzfassung. Bernhard Ott hat einen Zeitplan. „Hier und da schaue ich mir eine Kirche an“, sagt er. Mehr ist nicht. „Das ist ja keine Kulturreise.“
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Triest, Padua, Ravenna, Rimini, Ancona, Pescara, Foggia – Sehnsuchtsorte aus der Zeit, in der die Deutschen das Reisen lernten. Die Hotels heißen hier Centrale, Minerva, Miramare. Palmen auf den Fotos, Olivenernte, ein Schatten auf dem Weg – „das einzige Bild, auf dem ich zu sehen bin“. Ein Wanderland lernt Bernhard Ott nicht kennen. Eher ein Autoland mit sehr entspanntem Verhältnis zur Vermüllung seiner Stadtränder. Die letzten Fotos der Etappe: der Sarg des Heiligen Nikolaus in Bar. Und ein Caffè. Bari. Hier ist am 24. Oktober nach weiteren 1000 Kilometern Endstation.
Reiten ist auch eine Alternative
3. Etappe? Die findet nicht statt. Von Bari wäre es mit der Fähre rüber nach Igoumenitsa gegangen. Von dort über Marathon nach Athen. „Ich wollte die Marathonstrecke wenigstens mal gehen.“ Es ist einfach zu spät im Jahr, je weiter er in den Süden kommt, desto früher wird es dunkel. Im März ist Otts Ehefrau Margarete gestorben. Das Wandern ist auf einmal gar nicht mehr wichtig. Bernhard Ott ist Sportler, kommt mit Joggen über den Winter – da ist man für dieselbe Strecke kürzer draußen.
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Bernhard Ott hat aber auch durchaus Zeiten, in denen es nicht darum geht, Entfernungen zu überwinden. Im vorigen Herbst war er schon einmal da unten, hat sich Bari, Tarent, Pompeji, Herculaneum angesehen. Mit dem Zug war er unterwegs. „Um die Landschaft zu sehen.“ Fliegen ist für ihn keine Alternative: „Da habe ich Angst.“
Beim Laufen kommen einem Gedanken. „Wer früher nach Rom wollte, musste auch zu Fuß gehen“, stellt Bernhard Ott fest, „und kam nach einem halben Jahr zurück. Die sind nicht gefahren worden.“ In Otts ewigem Wanderkalender würden die Pilgerorte einen vorderen Platz haben. Einmal Rom, mehrfach Santiago de Compostela. „Nach Jerusalem wollte ich auch mal.“ Mit Religion hat Ott nichts am Hut – die Pilgerwege sind halt gut erschlossen und bieten Infrastruktur.
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Nächstes Jahr also Jerusalem? Das hält Bernhard Ott für unmöglich. „Ich traue mich im Augenblick nicht, durch die Türkei und durch Syrien zu gehen.“ Er zeigt den Weg in dem Atlas von 1983: „Den habe ich zum 40. Geburtstag geschenkt bekommen.“ 2020 also? Man wird sehen. Er reite auch ganz gern, sagt Bernhard Ott noch.
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