Netphen. Ehrenamtler besuchen mit Mini-Ponys die Einrichtung für demente Menschen. Es sollen Emotionen über den Kontakt zu den Tieren ausgelöst werden.

Marie (11) und Berta (3) stehen geduldig auf dem Flur und lassen sich betüddeln. Die Mähne der Mini-Ponys ist flauschig. Sie fühlen sich warm und weich an. Um sie herum sitzen die Bewohner von Haus St. Anna und genießen die Gaudi. Einige beobachten, andere trauen sich, die Tiere zu berühren oder zu striegeln. „Ich hatte auch mal einen Pferdehof“, sagt eine Bewohnerin. „Aber die Pferde durfte ich nie anfassen.“ Einrichtungsleiter Stephan Berres grinst und streichelt der Senioren beruhigend über den Arm. „Aber hier dürfen Sie das.“

Marie und Berta gehören der Anzhausenerin Anette Spies. Sie hat sich insgesamt drei Mini-Shetland-Ponys im Laufe des Jahres angeschafft. Eigentlich zum Spaß. Aber dann hat sie über Umwege davon erfahren, dass Therapiepferde in Pflegeeinrichtungen zum Einsatz kommen und sich genauer informiert. Eine tolle Aufgabe, die Menschen hilft und die Tiere fördert. „Ich habe dann die Ausbildung zur Heilpferdetrainerin gemacht“, sagt Anette Spies.

Heilpferde kommen in unterschiedlichen sozialen Einrichtungen zum Einsatz

Bei der Ausbildung lernte sie Simone Roolf aus Werl kennen, die den gemeinnützigen Verein Equus et Humanitas gegründet hat. „Der Verein hat es sich zur Aufgabe gemacht, Menschen zu besuchen, die selbst nicht mehr so wie früher am Leben teilhaben können“, erklärt Anette Spies. Dabei kommen die Heilpferde zum Einsatz. Egal ob im Hospiz, auf der Palliativstation oder eben im Haus St. Anna. Die Einsatzmöglichkeiten sind vielfältig.

Zwei Mitglieder des Vereins Equus et Humanitas sind mit ihren Ponys Marie und Berta zu Gast im Haus St. Anna an der Brauersdorfer Straße. Die dementen Bewohner der Einrichtung dürfen die Therapiepferde anfassen.
Zwei Mitglieder des Vereins Equus et Humanitas sind mit ihren Ponys Marie und Berta zu Gast im Haus St. Anna an der Brauersdorfer Straße. Die dementen Bewohner der Einrichtung dürfen die Therapiepferde anfassen. © WP | Jennifer Wirth

„Ich bin begeistert von der Idee“, sagt Stephan Berres. Es sei eine ganz tolle Sache, dass die Ehrenamtlerinnen mit den Tieren zu Besuch sind. Es sei die erste Aktion seit der Eröffnung des Hauses vor rund vier Monaten. 60 Plätze gibt es, etwa die Hälfte ist bereits belegt. „Es läuft sehr gut“, sagt Stephan Berres, der alles langsam aufbauen möchte, um niemanden zu überfordern – weder die Mitarbeiter, noch die dementen Bewohner. Er habe ein sehr gutes Team gefunden, sagt Stephan Berres. Im nächsten halben Jahr werden die weiteren Plätze vergeben. Zum Jahreswechsel geht die zweite Etage in Betrieb. Dort gibt es 14 Plätze für demente Menschen, die auf eine palliative Versorgung angewiesen sind.

Stoppersocken an den Hufen geben Halt

An den Hufen tragen die Ponys Stoppersocken – in Rosa mit Katzen und in Blau mit Pandas. Das sieht witzig aus, hat aber einen ernsten Hintergrund. Die Socken geben Halt und sorgen für einen festen Stand. „Hunde kann jeder“, sagt Andrea Hirsch vom Sozialdienst der Einrichtung. Eine ehemalige Kollegin habe das Team auf die Idee mit den Pferden gebracht. „Viele Bewohner hatten früher selbst Tiere“, erklärt sie.

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Menschen, die sonst eher verschlossen sind, nicht lächeln oder reden, stehen plötzlich lachend auf dem Flur. Ein Bewohner stimmt ein Lied an und klatscht vor Freude. Wieder andere führen die Ponys am Strick über den Flur oder schmusen mit ihnen. Pony Marie ist so entspannt, dass kurzerhand saftige Pferdeäpfel auf dem Flur landen. Das sorgt für Stimmung.

Gemeinsam andere Wege gehen

„Auch wenn nichts mehr geht: Sie erreichen Menschen mit Demenz mit Gefühlen. Tiere urteilen nicht“, sagt Stephan Berres. „Hier zählen manche Dinge nicht. Es müssen nicht alle Dinge hinterfragt werden.“ In der Pflege seien normalerweise alle Regeln klar vorgegeben, während im Haus St. Anna andere Bedingungen herrschten. „Wir müssen hier alles ausprobieren.“ Zu den Kochrunden würden beispielsweise auch viele Männer gehen. Es wird auch zusammen gebastelt – ob etwas Brauchbares rauskommt oder nicht, ist egal.

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Im Haus würden auch immer wieder Gegenstände umgestellt. „Da sehen Sie im Flur plötzlich Schuhe, in denen ein Gehstock steckt, damit man ihn nicht vergisst“, erklärt Stephan Berres. Alles kein Problem, niemand wird korrigiert oder zurechtgewiesen. „Das hier ist ihre Realität.“ Andrea Hirsch sagt: „Unser Ziel ist es, jedem hier täglich ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern.“

Möhrchen für Pferd und Mensch

Für Anette Spies’ Ponys ist es der zweite Einsatz als Therapiepferde. Sie und ihre Tochter Diana Scheach halten die Tiere fest und führen sie von Bewohner zu Bewohner. „Die Tiere müssen aufgeschlossen und ruhig sein“, sagt Diana Scheach, die sich ebenfalls ehrenamtlich engagiert. Pony Berta sei gut geeignet für den Job, weil die dreijährige Stute selbst ein Handicap in Form eines Unterbisses habe. „Es sieht aus, als würde sie lächeln. Das macht sie auf den ersten Blick sympathisch.“

Etwa eineinhalb Stunden sind sie zu Besuch. Zum Abschluss bekommen alle Bewohner Möhren für die Pferde. „Nicht essen! Die Möhren sind für die Pferde“, sagt Andrea Hirsch immer wieder grinsend. Noch während sie sich umdreht, naschen die ersten Senioren die Möhrchen und ernten dafür neidische Blicke von den Ponys. Die Betreuerin lacht. „Ich wusste es“, sagt sie und startet einen neuen Versuch...

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