Siegen. Fahrdaten in Echtzeit via Handy-App, Kreis will digitale Anzeigetafeln massiv ausbauen: Es gibt erste kleinere Verbesserungen im gebeutelten ÖPNV

Schnelle Lösungen in Sachen Busverkehr sind kaum zu erwarten. Nach wie vor fehlen 40 Fahrer, auch wenn die Zahlen zu Ausbildung und Umschulung für Fahrpersonal vielversprechend seien, berichtet Landrat Andreas Müller im Siegener Rat zur aktuellen Situation des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) im Siegerland. Er ruft dazu auf, Schritt für Schritt gemeinsam Verbesserungen zu erarbeiten: „Wir geben uns nicht zufrieden. Nahverkehr ist ein Schlüsselthema für die Region.“ Für die Menschen, die darauf angeweiesen sind, für Ökologie und Klimaschutz, für die Lebensqualität in der Region insgesamt. „Jedes Auto weniger ist ein Gewinn.“

Die Situation: Mehr Buskilometer, zu wenig Fahrer, viele Baustellen

Über die Sommerferien, während derer sich die Situation mangels Schülertransport etwas entspannt hatte, sei keines der Probleme gelöst worden, so Müller. „Auf dem Papier haben wir das beste ÖPNV-Angebot seit Jahrzehnten“, sagt der Landrat – die 2016 im Nahverkehrsplan beschlossenen Verkehre könnten derzeit eben nicht zur Gänze erbracht werden: Das Angebot wurde ausgeweitet (um 1,3 Millionen Buskilometer), es fehlen allem voran Fahrer (aktuell 40, künftig 25 bis 30 pro Jahr), viele Baustellen, teils unter Vollsperrung, bremsen die Busse aus und machten einen fahrplantreuen Verkehr unmöglich – und die Situation ist rechtlich vertrackt.

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Denn: Der Kreistag definiert in Abstimmung mit den Kommunen die Verkehrsleistung, den Nahverkehrsplan. Die Konzession erteilt aber die Bezirksregierung. „Wir sind nicht Vertragspartner oder Aufsichtsbehörde der VWS“, betont Müller. „Wir können nicht kündigen oder keine Strafen verhängen. Das könnte nur die Bezirksregierung.“ Und hier haben die unterlegenen Bieter gegen die Konzessionsvergabe an die VWS geklagt, die Genehmigung ist nicht rechtskräftig, Rechtsmittel wurden nicht zugelassen, dagegen wiederum wurde Einspruch eingelegt. Es ist, wie so oft, kompliziert.

Mit dem sogenannten Baustellenfahrplan, der seit kurzem gilt, habe man erstmals eine Vereinbarung zwischen Zweckverband Personennahverkehr Westfalen Süd (ZWS) und VWS – und damit eine Sanktionsmöglichkeit. „Wir sind auch gewillt, die zu verhängen. Das führt aber auch nicht dazu, dass mehr Busse fahren“, sagt Andreas Müller. Fahrer fehlen trotzdem.

Die Busspuren: Freie Fahrt für Autos – oder Vorrang für Busse

Das Siegener Stadtgebiet sei im das Nadelöhr, „hier stehen die Busse zusammen mit den Autos im Stau“, sagt Müller. „Wenn es uns ernst ist, den ÖPNV zu stärken, brauchen wir Alternativen.“ Busspuren zwischen Geisweid und Siegen, zwischen Hainer Hütte und Schleifmühlchen, Kochs Ecke und Schleifmühlchen sowie Eiserfeld Bahnhof über die Siegtalstraße bis Niederschelden seien solche Alternativen. „Ich hoffe auf eine Diskussion darüber“, sagt der Landrat, „Die Menschen erwarten Taten.“

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Ihm sei bewusst, dass in den engen Tallagen wenig Platz für die unterschiedlichen Verkehre sei, „wir werden dem Auto Raum wegnehmen. Freie Fahrt für jedes Auto oder Vorrang für Busse. Beides geht nicht.“ Es gelte, eine Grundsatzentscheidung zu treffen, „die Zeiten, in denen dem Auto alles geopfert wurde, sind vorbei.“ Ohne Vorrang für Busse könne man leider auch nicht über deren Pünktlichkeit nachdenken.

Er sei nicht grundsätzlich gegen Busspuren, merkt Bürgermeister Steffen Mues an – aber, das habe man prüfen lassen, sie würden den Innenstadtverkehr fast zum Erliegen bringen. Würde jeweils eine von derzeit zwei Fahrspuren pro Richtung für Busse freigemacht, der Autoverkehr auf eine Spur konzentriert, würden Linksabbieger erheblichen Stau verursachen.

Rad- und Fußwege müssten womöglich auch verknappt werden, warnt Stadtbaurat Henrik Schumann davor, Verkehre „gegeneinander auszuspielen“. Die Stadt arbeite an einem Konzept, damit Busse elektronisch Vorrang an Ampeln schalten können.

Die Lösungsansätze: Bürgerentscheid über Rekommunalisierung möglich

Der Rücklauf der Bürgerbefragung – die Verwaltung wertet die Antworten derzeit aus – sei überaus zufriedenstellend: 98 Prozent der Rückmeldungen seien äußerst konstruktiv, die Antworten hätten eine hohe inhaltliche Qualität. Wiederum: „Diese Verbesserungen können wir nur umsetzen, wenn wir mehr Fahrer gewinnen können“, sagt Müller.

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Das System brauche mehr Geld. „Land und Bund sind in der Pflicht“, fordert Müller, „ÖPNV rechnet sich nicht. Nicht in Großstädten und erst recht nicht bei uns im ländlichen Raum.“ Gleichheit der Lebensbedingungen überall im Land herzustellen sei Aufgabe des Bundes. Der Kreis will sich so bald wie möglich als Modellregion mit entsprechenden Fördermitteln für ein 365-Euro-Ticket bewerben, es brauche Mittel, um die Fahrpreise attraktiv zu machen. „Das schaffen wir als Region nicht allein.“

Siegen-Wittgenstein bekommt zwölf Mobilstationen, jede Kommune eine, Siegen zwei. Damit sollen die verschiedenen Verkehrsträger Bus, Bahn, Auto, Fahrrad besser verknüpft werden.

Das Familienticket, kostenfreie Fahrt auch für Eltern, dauert noch. Müller bittet „um etwas Geduld“. Die Mehreinnahmen daraus seien im Übrigen nicht für die Verbesserung des Angebots bestimmt, sondern um die bestehenden Verkehre weiter finanzieren zu können.

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Damit rückt die Rekommunalisierung wieder nach vorn: „Wir haben einen eigenwirtschaftlichen Nahverkehr, wenden aber trotzdem hohe Summen auf“ – den Rückkauf der VWS werde er prüfen lassen, mit allen Konsequenzen, sagt Müller. Im Frühjahr sollten alle Zahlen auf dem Tisch liegen, „dann ist der Zeitpunkt, die Weichen in die eine oder andere Richtung zu stellen.“ Die Rekommunalisierung sei seiner Ansicht nach ein Thema für einen Bürgerentscheid am Tag der Kommunalwahl 2020.

Die Neuerungen: Live-Daten via Smartphone anzeigen lassen

2005 verkaufte der Kreis die Verkehrsbetriebe Westfalen-Süd (VWS) – mitsamt aller Infrastruktur. „Uns gehört nichts mehr, auch nicht die dynamische Fahrgastinformation“, sagt Müller. Zum Jahreswechsel übernimmt der Kreis aber die digitalen Anzeigetafeln von der VWS, „wir werden das massiv ausbauen“, kündigt er an, „an immer mehr Orten“.

Ab Mitte Oktober werden Fahrdaten in Echtzeit in verschiedene Apps eingespeist, so dass Fahrgäste live sehen können, wann der Bus kommt. Das betrifft sowohl den DB Navigator, der die meisten VWS-Fahrpläne schon enthält, es werde aber auch eine eigene App auf den Markt gebracht. „Das ist ein großer Schritt nach vorne.“

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