Irmgarteichen. Heinrich Bruch sammelt alles, was ihm in die Finger kommt – denn viel Historie ist schon verloren gegangen: „Man hätte das alles aufschreiben müssen“.
Irgendwann hat er einfach angefangen. Zu Hause unterm Dach sammelt Heinrich Bruch Dorfgeschichte, Regale voller Aktenordner mit Zeitungsausschnitten und Schriftstücken, um die 22.000 Fotodateien auf dem Rechner. Irgendwann hat er die ersten Blätter herausgezogen, Bilder dazu gesucht, Zusammenhänge erforscht.
Beiträge über die Kirche, die Ereignisse im Dorf entstehen auf diese Weise, über Schulen und Vereine, Hauberg und Ernte. Um die 140 Seiten sind auf diese Weise zusammengekommen, die der 64-Jährige schon einmal unter der Überschrift „Begebenheiten aus dem Dorfleben“ zusammengebunden hat. Vielleicht wird daraus die Dorfchronik – denn nächstes Jahr steht die 750-Jahrfeier an.
Die Häuser
„Dienches“ ist der Hausname: Das kommt von Christine. Sie war die Ehefrau von Leonhard Schmitt, der das Haus Nummer 15 im Jahr 1928 gebaut hat. Leonhard hatte drei Söhne und eine Tochter, Anna, die Otto Bruch heiratete, die Eltern von Heinrich Bruch, die ihr ganzes Leben in dem Haus gewohnt haben, das später die Anschrift „Koblenzer Straße 33“ bekommen hat.
Heinrich Bruch hat ein Foto, das den Opa mit den Söhnen vor dem Haus zeigt. Die Frau oben am Fenster, die die kleine Anna auf dem Arm hält, ist Fräulein Holtkötter, die Lehrerin, die mit im Haus wohnte.
Die Geschichte von Dienches ist überliefert, weil Konrad Siedhoff, von 1928 bis 1966 Lehrer an der Volksschule, im Februar 1951 dem 8. Schuljahr die Aufgabe gab, alle Häuser im alten Ortskern zu beschreiben – Aufsätze dieser Art könnte es, wenn sie denn aufbewahrt worden wären, noch viele in Irmgarteichen geben.
Dorf feiert 750 Jahre
Höhepunkt der Irmgarteichener 750-Jahrfeier wird ein Festwochenende am 29. und 30. August 2020 sein. Eröffnet werden soll das Jubiläumsjahr am 29. Februar mit einem Konzert in der Pfarrkirche.
Familiengeschichte wird zur Dorfgeschichte. Denn Anna Bruch hat keineswegs nur die Zeitungsausschnitte hinterlassen. „Sie hat auch alle Totenbildchen gesammelt“, erzählt Heinrich Bruch. Und konnte noch im hohen Alter die Namen zu den Schulentlassbildern nennen: „Sie wusste, wer neben wem gesessen hat.“
Die Fotos
Störche auf dem alten Pfarrhaus. Heinrich Bruch hat sie 1965 fotografiert, als Zehnjähriger. Sein erstes Foto, die Kamera hat er sich vom Kommuniongeld gekauft. Und sie danach, wie Bruch heute bedauert, „ganz wenig benutzt“. Wenn der Vater – er war Schlosser bei Flender in Deuz – von der Arbeit kam, ging es meist aufs Feld.
Bis 1971 betrieben Bruchs die Landwirtschaft noch im Nebenerwerb. „Da war zum Fotografieren keine Zeit.“ Abgesehen davon: Damals, als der Film noch samt Kamera zum Entwickeln abgegeben wurde, war das Knipsen von Alltagsszenen noch Verschwendung. „Als die Kinder kamen, wurden natürlich mehr Fotos gemacht.“
So überwiegen in der Sammlung bei den Fotografien aus alten Zeiten die festlichen, einmaligen Motive. Dass da etwas fehlt, hat Heinrich Bruch früh gemerkt. Die letzte Ernte 1971 hat er dann doch noch dokumentiert, auch die letzte Hausschlachtung 1979. Und 1991 hat der Vater noch einmal Roggen im Garten angebaut. Nicht viel, aber genug, dass der Sohn die Erntefotos nachstellen konnte. In Farbe. Das Wohnhaus war da längst umgebaut.
Der Stall mit Abteilungen für Schweine und Hühner ist heute Wohnraum. Erzählen kann Heinrich Bruch noch, wie einmal das Schwein die Tür einrannte und es fast bis in die Küche schaffte. Und, dass der Bäcker aus dem hessischen Mandeln immer den Roggen bekam und mit zwei Broten in der Woche bezahlte. Fotos davon gibt es halt nicht.
Das Dorf
Irmgarteichen hatte ein Standesamt und eine Spar- und Darlehenskasse. Irmgarteichen hat die Musikkapelle – „da hat mein Vater Trompete gespielt.“ Und den Schützenverein Hubertus: „Mein Opa war Schriftführer.“
Heinrich Bruch ahnt, wie viel an Dorfgeschichte schon verloren gegangen ist, weil Dokumente nicht erhalten und Erinnerungen nicht aufgezeichnet wurden. „Man hätte das alles aufschreiben müssen, als die Leute noch lebten.“
Längst ist Heinrich Bruch nun immer selbst dabei, um Ereignisse im Ort mit der Kamera festzuhalten. Die Renovierung der Kirche und der Orgel, der Neubau des Pfarrheims und jetzt des Kindergartens, Wiederkehrendes wie die Prozessionen und der Weihnachtsmarkt.
Außergewöhnliches wie die Entdeckung des 31 Meter langen Luftschutzstollens unter Bruchs Garten und der Koblenzer Straße, der 2007 verfüllt wurde. Kurioses wie die nie verwirklichte Idee von 1997, auf der Gernsdorfer Höhe ein Windrad aufzustellen. Unglücksfälle wie das Feuer, das 2008 den Gasthof Ley zerstörte.
Ob das mit der Chronik für nächstes Jahr etwas wird, lässt Heinrich Bruch mehr als offen. Um das Werk komplett zu machen, „brauche ich mindestens noch zwei Winter“, sagt er. Und, dass er keine „halben Sachen“ macht. Jetzt hebt er erst einmal ab. Für aktuelle Luftaufnahmen.
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