Siegen. Im Siegener Stadtteil leben Menschen aus über 40 Nationen. Der Fall des getöteten Familienvaters wird instrumentalisiert, Hass und Hetze gesät.

Trauer gibt es, auch Wut. Der gewaltsame Tod des Familienvaters Michael B. lässt wohl kaum einen Menschen am Fischbacherberg kalt. Und auch sonst nur wenige. Der Hass, er kommt von außen; von denen, die nicht in der Siedlung leben, die einen furchtbaren Vorfall für ihre Zwecke nutzen wollen: Am 20. Juni stach ein 15-Jähriger mit einem Messer auf Michael B. ein, der wohl einen Streit zwischen dem Jugendlichen und seinem Kind schlichten wollte und mit dem Leben bezahlte.

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Heute wird Michael B. beerdigt, die Kerzen am Tatort, Bushaltestelle Grünberger Straße, sind mehr geworden. Nachbarn, Freunde, Angehörige haben Briefe abgelegt, Zeilen voller Trauer und Mitgefühl. „Ich hätte dich gern kennengelernt. Vom vielen Hören warst du ein fröhlicher und lieber Mensch“, schreibt eine Frau. Eine andere: „Du wirst immer Teil unseres Lebens bleiben! Ich werde dich sehr doll vermissen. Nichts ist mehr ohne dich wie es war.“

Menschen aus mehr als 40 Nationen

Statt Pietät und Mitgefühl dominierte bald nach der Tat Hetze gegen den mutmaßlichen Täter Teile der öffentliche Diskussion. Die Eltern des Jungen, der in Siegen geboren wurde, stammen aus dem arabischen Raum. Einmal mehr wurden die sozialen Netzwerke zum Katalysator für Ausländerhass. Eine rechtsextreme Partei nahm den Fall zum Anlass einer Kundgebung mitten in Siegen, auf mindestens zwei einschlägigen Facebookseiten wurde ein unverpixeltes Foto des minderjährigen Verdächtigen verbreitet. Inzwischen wurde es gelöscht.

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Die Polizei dämmte eine Kundgebung ein, verbot Plakate und jegliche politische Äußerung in diesem Kontext, hielt Gefährderansprachen. Schließlich setzte sich am Sonntag ein Trauermarsch durch die Siedlung in Bewegung, die den Angehörigen ihr Mitgefühl und Anteilnahme ausdrücken wollte (wir berichteten).

Der Fischbacherberg hat eine bewegte Geschichte. Hier, wo einst die belgische Garnison lag, leben auch heute Menschen aus mehr als 40 Nationen. Vor mehr als 20 Jahren war der Fischbacherberg das Siegener Problemgebiet schlechthin, wenn es um Jugendkriminalität ging. Aber, das sagen die Sozialarbeiter, von denen fast drei Dutzend im Stadtteil tätig sind, Straftaten und Gewalt, nicht einmal solche wie diese, sind kein Fischbacherbergproblem. „Wir haben die Probleme von vor 20 Jahren nicht mehr“, heißt es aus dem Netzwerk der sozialen Arbeit vor Ort. „Der Fischbacherberg bekommt es gut hin.“ In der polizeilichen Kriminalitätsstatistik liegt der Stadtteil einigermaßen im Durchschnitt. Von 100 Jugendlichen aus dem Stadtteil, die Sozialstunden ableisten müssen, sind 70 „Biodeutsche“. Was die, die eine Gewalttat zum Vehikel ihrer Zwecke machen, nicht interessiere.

Gewaltbereitschaft Jugendlicher steigt

Die Menschen sind entsetzt. Wie könnten sie das nicht sein. Darüber, dass so eine Tat passieren konnte, dass ein 15-Jähriger mit einem Messer unterwegs ist. Früher, vor 20 Jahren, erzählt ein erfahrener Sozialarbeiter, prügelten sich zwei Jugendliche und wer schließlich am Boden lag, hatte verloren. Vor zehn Jahren lag der Verlierer am Boden, bekam noch einen Tritt ins Gesicht. Heute liegt der Verlierer immer öfter mit einem Messer im Leib am Boden.

Natürlich gibt es nach wie vor Probleme. Viele Ethnien und Armut treffen aufeinander, es gibt Konflikte und es gibt auch rechtes Gedankengut. Das Wählerpotenzial für fremdenfeindliche Parteien ist hoch, das haben die letzten Wahlen gezeigt. Wenn ein Syrer nach anderthalb Jahren Deutsch gelernt, den Integrationskurs absolviert und eine Arbeit gefunden habe – da müsse sich kein Arbeitsloser beschweren, dass der Ausländer ihm den Job weggenommen habe, meint ein anderer Sozialarbeiter. Der Reflex sei aber trotzdem da. Viele Menschen am Fischbacherberg haben alle möglichen Gründe, unzufrieden zu sein.

Die Gefahr, dass Fälle wie die Tötung von Michael B. ausgenutzt werden, um die, die an der Schwelle stehen, in eine Richtung zu drängen, bestand und besteht. Dieses Bild, das schlechte Image des Fischbacherbergs als ein „Problemstadtteil“, hat sich festgesetzt in den Köpfen. Wenn dann ein Mensch getötet wird, kann die Realität damit nicht mithalten.

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