Siegen. . Vor allem bei der Suche nach geeignetem Wohnraum für Flüchtlinge haben Ehrenamtler Probleme – ohne sie als Bürgen funktioniert es meist nicht.
- Flüchtlinge konkurrieren auf Wohnungsmarkt mit Studenten, Senioren, Hartz-IV-Empfängern
- Nicht selten werden Schrottimmobilien vermietet – die Behörden können das kaum prüfen
- Ehrenamt und Hauptamt besser verzahnen – von Willkommenskultur zu Willkommenstruktur
Die ehrenamtlichen Flüchtlingshelfer benötigen die Unterstützung der Bevölkerung, vor allem, wenn es um die Wohnungssuche geht. Flüchtlinge brauchen kleine Wohnungen und konkurrieren auf diesem Segment mit Studenten, alleinstehenden Senioren und Hartz-IV-Empfängern – vor allem in Siegen gibt es in diesem Bereich zu wenig Wohneinheiten. Der Appell von Wohlfahrtsverbänden und Kirchen an Bürger: Wohnraum zur Verfügung stellen. Ein weiteres Problem: „Profiteure der Krise“, wie Horst Löwenberg, Geschäftsführer Paritätischer Wohlfahrtsverband, es nennt, vermieten Flüchtlingen Schrottimmobilien, was die zuständigen Behörden nicht überprüfen.
Kleine zentrale Wohnungen fehlen
Die Situation auf dem Siegener Wohnungsmarkt ist nach wie vor angespannt; besonders was kleine, barrierefreie Wohnungen in zentraler Lage angeht. „Es sind nicht nur Studenten, die in diesem Segment stark nachfragen“, sagt Marco Karsten vom Deutschen Mieterbund Siegen und Umgebung, auch Hartz-4-Empfänger, drängten in die Innenstädte, Flüchtlinge und nicht zuletzt Rentner.
Häufig, so Karsten, möchten Senioren ihre großen Häuser in den ländlicheren Gebieten aufgeben und die besssere Infrastruktur mit Öffentlichem Nahverkehr und Einkaufsmöglichkeiten der Innenstadt nutzen. Auch den Anbietern von Eigentumswohnungen im Innenstadtbereich, so Karsten, falle es zunehmend schwer, die steigende Nachfrage zu bedienen.
Unter Studenten sei die Nachfrage nach Wohnheimsplätzen ungebrochen hoch, sagt Studentenwerksgeschäftsführer Detlef Rujanski. Er beobachtet eine Renaissance der Wohnheime: Man finde schnell Anschluss und Informationen, könne sich aber jederzeit zum Lernen zurückziehen – „die Wohnform wird immer attraktiver.“ Die Zahl der Studenten, die auf einen Platz in einem Wohnheim wartet, liegt derzeit bei 437 Personen.
Kein sichtbares Problem
„In der Regel haben die zur Zeit keine Chance, nachzurücken“, sagt Rujanski, erst mit der nächsten Auszugswelle zum Ende des Wintersemesters würden wieder Plätze frei. Das Problem: Der knappe Wohnraum unter Studierenden ist kein sichtbares, denn viele Studenten pendeln aus Richtung Rhein- und Sauerland nach Siegen ein, würden aber lieber vor Ort wohnen. „Die Enge wird durch Pendeln kompensiert“, sagt Rujanski. Das bestätigt auch Miriam Loos, Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit beim AStA der Uni Siegen. Und: Auch bei den privaten Wohnheimen gebe es einige Probleme, da diese entweder zu teuer oder zu weit abgelegen seien und – Stichwort Bürbacher Wohnheim – manche keine akzeptable Wohnsituation böten.
Immerhin zeigte der Aufruf von Rektor Holger Burckhart, dass Bürger ihren freien Wohnraum an internationale Studierende vermieten mögen, Wirkung: Wenigstens 50 Studenten aus dem Ausland konnten auf diesem Wege eine Wohnung finden, so die Schätzung der Abteilung für die Angelegenheiten internationaler Studierender (International Study Affairs, ISA).
Studierende aus dem Ausland hätten andere Startbedingungen, so Björn Bowinkelmann, stellvertretender Pressesprecher der Universität Siegen, da ihnen zum Beispiel die Möglichkeit fehle, vom Wohnort zur Uni einzupendeln. Und: „Internationale Studierende können sich die hiesigen Preise oft nicht leisten.“
Die Ziele
„Hundertprozentige Lösungen“, so Horst Löwenberg, „können wir zur Zeit nicht anbieten.“ Was helfen würde:
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Institutionalisierung des Ehrenamts, vielleicht eine Art Ausweis für Paten/Betreuer/Bürgen. „Eine Qualifizierung, eine Legitimation, um gegenüber Behörden oder Vermietern seriös auftreten zu können“, so Volker Gürke, Diakonie in Südwestfalen. „Ehrenamtler können keine rechtsverbindliche Beratung anbieten.“
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Anhebung des Freibetrags: Angemessene Wohnungen für 5 Euro je Quadratmeter zu finden, sei kaum machbar, so die Erfahrung. Eine 50-Quadratmeter-Wohnung für eine Person darf inklusive Neben- und Heizkosten in Siegen nicht teurer als 387,50 Euro sein, in Burbach nicht teurer als 337,50 Euro, alles darüber zahlen die Behörden nicht. Eine vierköpfige Familie muss eine Unterkunft für maximal 722,50 Euro finden.
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Verzahnung von Haupt- und Ehrenamt: Ohne ehrenamtliche Kräfte, die sich um die Flüchtlinge kümmern, funktioniert überhaupt nichts. Aber die Wohlfahrtsverbände, Kirchen und Kommunen können und wollen als eine Art Sicherheits-Backup zur Verfügung stehen, die Ehrenamtlichen beraten und schulen. Das Hauptamt könne Dolmetscher vermitteln, Helfer und Ansprechpartner bei Umzügen oder Behördengängen.
- Von der Willkommenskultur zur Willkommensstruktur: „Die Profis schlagen uns nicht in die Büsche, sondern stehen dem Ehrenamt weiter zur Seite“, sagt Volker Gürke. Für gelungene Integration sei eine konstruktive Zusammenarbeit in den Bereichen Bildung, Arbeit und Wohnungssuche nötig.
Die Paten
Als die ersten Flüchtlinge in das Wohnheim Am Dreesch einzogen, engagierten sich die Weinbrenners. „Da sind Leute, die brauchen Zuwendung“, sagt Christoph Weinbrenner, seine Frau Marlis gab Sprachkurse mit Händen und Füßen, man lernte sich kennen, irgendwann standen die Bewohner vor der Tür und baten um Hilfe. „Von Wohnkostenübernahme hatten wir ja auch noch nie gehört, das war uns total fremd“, sagt Christoph Weinbrenner. „Wir bekamen eine veraltete Liste mit Wohnungsgesellschaften“, erinnert sich Marlis Weinbrenner, sie klapperte die zuständigen Stellen mit ihren Schützlingen ab, füllte Bewerberlisten aus, hörte nie wieder etwas.
Dann durchforsteten sie private Annoncen, „es ist schon schwierig überhaupt Wohnungen in diesem Finanzrahmen zu finden“, sagt Weinbrenner, wenn ein Vermieter die Wahl habe zwischen einer deutschen Studentin und einem Afghanen – die Wahl sei meist eindeutig.
Betreuer als Türöffner
Wenn überhaupt, so die Erfahrung der Ehrenamtler, dann seien Leute bereit, auch Flüchtlingen eine Chance zu geben, wenn Menschen wie die Weinbrenners dahinterstehen, quasi als Sicherheit, wenn irgendetwas rund um die Wohnung geklärt werden muss. Finanzfragen sind dabei kein Problem – es gibt kaum zuverlässigere Mietzahler als die Sozialämter.
Und auch wenn die Wohnung gefunden ist – „dann geht die Arbeit richtig los“, sagt Marlis Weinbrenner, die derzeit vier Flüchtlinge „betreut“. Sie bekomme jeden Behördenbrief per WhatsApp, merke aber auch, dass sich die Interessen verändern. Häufig werde sie zu Themen gefragt wie deutsche Geschichte, Sitten, Bräuche und Kultur. „Wir sind bei der Integration ein gutes Stück weiter.“
>>INFO: Helfer gesucht
Künftig werden Siegen wieder 25 Flüchtlinge pro Woche zugewiesen. „Viele Ehrenamtler sind müde geworden, wir brauchen weitere Helfer, die uns unterstützen“, sagt Manfred Daub.
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