Eslohe. Schläger bestellt Taxi, Opfer vertraut sich dabei dann der Fahrerin an - sie fährt die Frau zur Polizei und auch ins Krankenhaus.
Es ist ein Fall von: Hinschauen, bloß nicht wegsehen. Was war das für eine Fahrt für Michaela Wälter. „Es gibt Immer mal Fahrten, wo man sich nachher denkt, das war aber grenzwertig – hier ging es darüber hinaus“, sagt die Inhaberin von Taxi Fabri in Eslohe. Es war aufwühlend, einen Fall von Gewalt zu erleben. Michaela Wälter reagierte sofort darauf.
Das Opfer fühlt sich schuldig
Spätabends erhält sie den Anruf eines Mannes, der – aufgebracht und wütend – im Esloher Gemeindegebiet ein Taxi für seine Freundin bestellt, und das möglichst schnell: „Damit die Alte hier wegkommt. Sonst raste ich noch total aus!“ An der Adresse steigt dann eine sichtlich verängstigte Frau ein, die direkt sagt, sie habe kein Geld, um das Taxi zu bezahlen. Michaela Wälter beruhigt, sie werde eine Rechnung schreiben.
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Bei der Fahrt fragt sie die Frau, ob alles in Ordnung sei – die antwortet, „nichts ist in Ordnung“. Ihr Gast erzählt, sie kenne den Mann seit sechs Jahren, sie hätten sich über eine Kontaktanzeige kennen gelernt: „Er ist nett, aber wenn er Alkohol getrunken hat, wird er böse.“ Michaela Wälter fragt, ob er sie geschlagen habe – ja, nicht zum ersten Mal. Sie sieht, dass das linke Auge der Frau geschwollen ist.
Die Frau fühlt sich schuldig, weil sie ihn vermeintlich provoziert habe: Sie hat ihm klar machen wollen, dass er besser nichts mehr trinke, weil er sie doch morgens nach Hause fahren wolle. Da wird er „böse“, schlägt zu. Dass sie dann eine Tür zuknallt, wobei die Scheibe kaputt geht, ist jetzt ihre größte Sorge. Sie sagt auch, letzte Woche habe er sie auch geschlagen, „aber man sieht nichts mehr“. Die Taxifahrerin fragt nach, ob das denn niemandem aufgefallen sei: „Doch, aber ich habe gesagt, ich wäre gefallen.“ Auch hier ist es die Umkehr der Schuld: Das Opfer nimmt den Täter sogar in Schutz.
Mitgefühl und Empathie gezeigt
Sie erfährt, die Frau sei psychisch krank, ihr Ehemann habe sich von ihr getrennt. Weil sie nicht allein sein wolle, bleibe sie bei ihrem Freund – auch wenn der sie schlage: „Er ist ja nur so, wenn er getrunken hat.“
Was macht man in dieser Situation, wenn man plötzlich damit konfrontiert wird? „Man erlebt schon mal, dass sich ein Paar im Auto streitet. Aber jemanden neben sich sitzen zu haben, der gerade verprügelt wurde, ist mir auch noch nicht passiert.“ Was also tun? Michaela Wälter zeigt Mitgefühl und Empathie: „Mir persönlich ist es immer wichtig, den Menschen zu sehen. So norde ich auch alle Kollegen und Kolleginnen ein.“ Sie fragt ihren Fahrgast also, ob es nicht sinnvoll sei, zur Polizei und ins Krankenhaus zu fahren – sie traue sich nicht, willigt aber ein.
Polizei zu wenig sensibilisiert?
Die Esloherin fährt die Frau also dahin, begleitet sie sogar in die Wache. Wälter wartet im Flur der Wache, bekommt aber alles mit, was dann geschieht. Nachher sagt die Taxifahrerin: „Optimal ist das nicht gelaufen.“ Ihr Fahrgast sagt dort dann auch, dass sie unter gesetzlicher Betreuung stehe – woraufhin ihr ein Polizist erklärt, sie könne nicht allein eine Anzeige erstatten. Die Frau sagt immer wieder, es sei ihre Schuld, dass der Mann sie geschlagen habe.
Michaela Wälter beschwert sich nachher, dass der Frau mit keinem Wort gesagt worden sei, dass sie niemals schuld sei, wenn der Mann schlage. Die Frau sei geduzt worden, es habe „kein ansatzweises Verständnis für ihre Angst und Überforderung gegeben“. „Das ist falsch gelaufen“, meint sie. Wälter erinnert an die #MeToo-Debatte: Die habe doch eigentlich gezeigt, wie schwer es Frauen falle, bei Übergriffen den Weg zu Polizei oder zum Arzt zu gehen – und überhaupt etwas selbst zu unternehmen. So sensibilisiert müsse auch die Polizei sein, meint sie.
In einer ersten Stellungnahme heißt es seitens der Polizei in Meschede: „Grundsätzlich wird die Polizei bei dem Verdacht einer Straftat tätig.“ Hier könnte sich der Verdacht einer Körperverletzung ergeben, die Polizei werde das prüfen. Sprecher Michael Schemme betont: „Wir sind des Öfteren mit Opfern in Kontakt und wissen daher genau, wie wir in der jeweiligen Situation miteinander umgehen.“ In Einzelfällen komme es vor, schon mal das „Du“ zu verwenden: „Das ist von Fall zu Fall unterschiedlich. Gerade im Umgang mit Opfern wirkt das stellenweise persönlicher.“
Rechnung geht an den Schläger
Im Krankenhaus rät eine Ärztin der Frau, besser für 24 Stunden hier unter Beobachtung zu bleiben. Das lehnt sie ab, sie will nach Hause. Michaela Wälter fährt sie weiter.
Drei Stunden dauerte für Michaela Wälter diese Fahrt und die Begleitung, die ihr in Erinnerung bleiben wird. Sie hat im Nachhinein erfahren, dass es ihrem Fahrgast wieder besser gehe. Der Schläger wird von ihr eine Rechnung erhalten: 257,69 Euro. Wenn er nicht zahle, werde sie Anzeige erstatten.