Meschede / Hochsauerlandkreis. Patrick Sensburg ist Sicherheitsexperte im Hochsauerlandkreis: Wird der Ukraine-Krieg zum Atomkrieg? Sind Russlanddeutsche ein Sicherheitsrisiko?

Droht sich der Ukraine-Krieg zu einen Atomkrieg auszuweiten? Wer steckt hinter den Anschlägen auf Nord Stream? Sind Russlanddeutsche womöglich ein Sicherheitsrisiko? Die Einschätzungen dazu von dem heimischen Sicherheitsexperten und ehemaligem CDU-Bundestagsabgeordneten Dr. Patrick Sensburg aus dem Hochsauerlandkreis, dem Präsidenten des Reservistenverbandes der Bundeswehr.

„Putin wird die Nato nicht angreifen“

Haben Sie auch geschluckt, als Sie vom Raketeneinschlag in Polen hörten?

Nicht wirklich! Es macht militärisch für Russland keinen Sinn, auf ostpolnisches Territorium zu schießen, zumal hier keine strategisch wichtigen Strukturen zu finden sind. Putin wird die Nato nicht angreifen. Ich sehe keine Situation, in der es Russland einen Vorteil bringen würde, wenn es seinen Krieg auf einen Nato-Staat ausdehnt.

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Wie nah sind wir daran, in diesen Krieg hineingezogen zu werden? Kommt der Bündnisfall, bei dem wir reagieren müssten?

Nein, ich sehe das derzeit nicht. Da hat niemand Interesse daran. Deshalb auch die besonnenen Reaktionen aus Polen und den anderen Ländern nach dem Raketeneinschlag. Die Russen haben genug damit zu tun, sich irgendwie zu organisieren: Putin kann kein Interesse daran haben, noch eine weitere Front aufzumachen.

Russland versucht, die Ukraine zu zermürben

Ist ein Ende des Krieges absehbar?

Derzeit nicht. Ich habe es von Anfang an gesagt, ich rechne mit einem langen Stellungskrieg. Jetzt kommt die kalte Jahreszeit, in der sich wenig bewegen wird.

Prof. Dr. Patrick Sensburg: Der ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete im  Hochsauerlandkreis ist Oberst der Reserve und Präsident des Deutschen Reservistenverbandes.
Prof. Dr. Patrick Sensburg: Der ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete im Hochsauerlandkreis ist Oberst der Reserve und Präsident des Deutschen Reservistenverbandes. © Vincent Mosch

Ich denke, die Ukraine wird versuchen, russische Truppen von der Versorgung abzuschneiden und dann noch Nadelstiche zu versetzen.

Die Russen werden sich in Stellungen eingraben, die Ukrainer werden versuchen, sie zu verdrängen. Dabei gibt es einen deutlichen Vorteil auf ukrainischer Seite: Sie kennen das Gelände, sie werden mit Nachschub versorgt, sie haben in der Bevölkerung Rückhalt. Dagegen gibt es z. B. nicht viele Verkehrswege – in der Regel Straßen –, die die Russen in ihren Stellungen versorgen. Für Putins Truppen ist die Lage deutlich schwieriger.

Hat Putin überhaupt schon eines seiner Kriegsziele erreicht?

Nein. Außer natürlich: Er wird als Akteur auf der Weltbühne wahrgenommen, alle reden über ihn. Und die Welt würde vieles tun, damit wieder Frieden einkehrt. Da hat er ein Ass in der Hand: Man kommt um ihn nicht herum. Putin sieht das alles machtpolitisch und interessiert sich nicht für Menschenleben. Seine Macht ist seit Anfang an auf dem Blut von Menschen aufgebaut.

Wie endet dieser Krieg? Wird der irgendwann schlicht zu teuer?

Der Krieg ist schon jetzt für die ganze Welt wahnsinnig teuer. Derzeit hat Russland, was die Masse an militärischem Material betrifft, noch eine Überlegenheit. Russland wird noch einige Zeit zivile und militärische Strukturen bombardieren können. Aber auch die russischen Arsenale sind bald aufgebraucht. Russland versucht gerade, die Ukraine zu zermürben. Die Bombardierungen sind unmenschlich und grausam: Aber militärisch ist damit langfristig nichts zu erreichen.

„Atombomben transportiert man nicht in einem Lada irgendwohin“

Wer wird zum Friedensstifter?

Frieden kann nur von den beiden Ländern erreicht werden. Ich gehe davon aus, dass die Ukraine die Russen über den Winter bis ins Frühjahr sehr weit aus der Ostukraine hinausdrängen wird. Die Frage ist, wie reagiert Putin, wenn er konventionell nicht weiterkommt und sogar hinter die okkupierten Gebiete von 2014/15 zurückgedrängt wird.

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Und, wird Putin dann zur Atombombe greifen?

Ich glaube das nicht. Er kann keine Atombomben einsetzen, wo seine eigenen Truppen sind. Er kann auch keine in Kiew oder nah an der Grenze zu Nato-Staaten zünden. Je nachdem, wie der Wind weht, könnten mehrere EU-Staaten konterminiert werden. Wir haben dies bei der Nuklearkatastrophe in Tschernobyl 1986 erlebt.

Es gibt auch keine handlich-kleine Atombomben, die man mit begrenztem Schaden irgendwo als Warnung detonieren lassen kann.

Ukrainische Truppen in der Ostukraine auf dem Weg zur Front.
Ukrainische Truppen in der Ostukraine auf dem Weg zur Front. © AFP | Anatolii Stepanov

Atombomben sind hochkomplex und ihre Wirkung ist extrem schwierig zu kontrollieren. Und auch das müsste militärisch ja Sinn machen. Man muss eine Atombombe schon an den richtigen Ort bekommen – die transportiert man ja nicht in einem Lada irgendwohin. Wenn Putin dennoch meint, Atombomben einsetzen zu müssen, wird es eine sehr harte Antwort der Nato geben. Die Nato ist hierauf vorbereitet und ich würde Putin dringend vor solchen Überlegungen abraten.

„Wir könnten unser Land derzeit nicht ansatzweise selbst verteidigen“

Beim Blick nach Deutschland: Sehen Sie eine Rückkehr zur Wehrpflicht kommen?

Das ist durch den Bundespräsidenten mit seiner Idee einer Dienstpflicht gefördert worden. Die Wehrpflicht wäre ein Teil. Wir brauchen die Wehrpflicht für unsere Landesverteidigung. Wir sind allein flächenmäßig ein großes Land: Wie wollen wir Deutschland denn im Falle eines Falles verteidigen? Die Wehrpflicht war früher dafür da, um Bundesbürger an der Waffe auszubilden und sie notfalls einsetzen zu können.

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Eine Mobilmachung aktuell ist nicht möglich, weil man kaum noch Reservistinnen und Reservisten mobil machen kann und es werden jedes Jahr weniger! Man muss realisieren: Wir könnten unser Land derzeit nicht ansatzweise selbst verteidigen. Wir machen uns einen schlanken Fuß bei der eigenen Landesverteidigung: Wir hoffen darauf, dass alle anderen uns zur Hilfe kommen! Übrigens diskutieren wir umgekehrt, ob wir unseren Beitrag zur Sicherung der Nato-Ostflanke leisten können und wollen. Das passt noch nicht zusammen.

Russlanddeutsche auch unter Reichsbürgern und Prepper

Sind Russlanddeutsche in der Bundeswehr ein Sicherheitsrisiko?

Per se nicht. Wir haben viele, die damals insbesondere unter Helmut Kohl nach Deutschland gekommen sind, und die sehr treu in den Sicherheitsbehörden ihren Dienst leisten – nicht nur in der Bundeswehr, sondern auch z.B. in der Polizei. Aber selbstverständlich muss man auch hinschauen, ob es in der Community eine Beeinflussung durch Russland gibt: Wer lässt sich zum Beispiel von Russia Today oder noch staatsgeleiteten Medien beeinflussen? Wer einen Migrationshintergrund hat und noch Russisch spricht, ist für Russia Today leichter zugänglich, als wenn diese Beziehungen nicht bestehen.

Wir haben auch in Reichsbürger- oder in Prepper-Kreisen einen nicht nur kleinen Anteil von Spätaussiedlern oder Übersiedlern. Das bereitet schon Sorgen und wir müssen hier intensiv in den Dialog kommen. Diese Mitbürgerinnen und Mitbürger waren nämlich viele Jahre eine wesentliche Stütze unserer Sicherheitsbehörden und ich finde, so soll es auch bleiben. Man muss aber wachsam sein, wo möglicherweise ausländische Nachrichtendienste Propaganda betreiben und deutsche Strukturen unterwandern wollen. Dies ist für uns nicht akzeptabel.

Nord-Stream: Fragile Infrastruktur

Wen vermuten Sie hinter den Anschlägen auf die Nord-Stream-Leitungen?

Es gibt viele Möglichkeiten. Von allen erscheint mir aber Russland als wahrscheinlichster Urheber. Es scheint als deutliches Signal gedacht gewesen zu sein: Wir zeigen, wie fragil eure Infrastruktur ist, wie angreifbar ihr seid. Diese Machtdemonstration ist wichtig für Putin. Russland hatte auch keinen Schaden dadurch, da die Leitungen ja eh leer waren.