Meschede. Reichen Joggen und Radfahren für einen gesunden Körper? Nein, sagt der bekannte Physiotherapeut Stefan Orth beim Besuch in Meschede. Seine Tipps.

Als „Stefan the Physio“ ist er auch mit Podcasts, auf YouTube und Instagram unterwegs: Stefan Orth wirbt, wo er nur kann, für mehr Bewegung. Der 36-Jährige aus Albstadt in Baden-Württemberg bildete jetzt in der „Sportwerkstatt“ von Stephan Entian in Enste bei Meschede Physiotherapeuten und Trainer aus ganz Deutschland fort.

„Ich habe Rücken…“ Wie oft hören Sie das?

Ein paar Mal die Woche, aber das ist ja mein tägliches Brot. Die Leute gehen jetzt anders mit Rückenschmerzen um. Zu anderen Zeiten hatten die Leute auch Rückenschmerzen, aber es wurde nicht darüber geredet: Da hieß es, das ist doch normal, stell dich nicht an! Jetzt wird das nicht mehr einfach so abgetan.

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Was ist in der Regel die Ursache für „Rücken“?

Es gibt verschiedene Ursachen, und in den meisten Fällen kann die Ursache nicht auf einen Auslöser oder Grund zurückgeführt werden, oft sind es einige Faktoren, die zusammenkommen. In vielen Fällen spielt aber der Bewegungsmangel von vielen Leuten eine große Rolle, wobei dies allein keine Probleme auslösen muss, aber eben einen großen Einfluss haben kann.

Körper braucht Bewegung und Belastung

Ist körperliche Belastung wichtig?

Auf jeden Fall. Früher hatten die Menschen häufiger Probleme durch zu einseitige Belastung oder Überlastungsproblematiken. Heute ist das andere Extrem der Fall, es entstehen viele Probleme in unserer Gesellschaft durch Unterbelastung, also durch zu wenig Bewegung und zu wenig Belastung.

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Der Körper verlangt nach Anstrengung?

Richtig, der verlangt nach Bewegung und Belastung. Man fährt mit dem Auto zur Arbeit, sitzt dort dann acht Stunden am Schreibtisch und fährt wieder zurück: Wenn ich das immer mache, wird der Stoffwechsel in verschiedenen Strukturen schlechter. Viele Schmerz-Symptomatiken sind eigentlich eine Aufforderung des Körpers zu mehr Bewegung.

Warum Joggen oder Radfahren alleine nicht reichen

Wie viel Bewegung müsste sein?

Nach der Weltgesundheitsorganisation sind 150 Minuten moderate Ausdauer pro Woche, also Spaziergänge, oder 75 Minuten hochintensive Ausdauerbelastung und zweimal pro Woche Kraftsport das Minimum. Der Körper braucht wöchentlich einen gewissen Kraftaspekt – und der muss dann regelmäßig sein.

Dann sind das so beliebte Joggen oder Radfahren gar keine echte Alternative?

Naja, es ist eben nur ein Teil von dem, was ich brauche. Ich sage mal ganz drastisch: Nur mit Joggen oder Radfahren mache ich natürlich auch etwas sehr Gutes, aber ich bediene damit nicht das ganze Spektrum, was der Körper braucht. Wer nur eine Sache bedient, bei dem fällt etwas an anderer Stelle unter den Tisch. Es ist nachgewiesen: Alle Sportler profitieren von Krafttraining, auch wenn ihre eigentliche Sportart gar nichts mit Kraft zu tun hat.

Die Muskulatur insgesamt dankt es einem. Der Marathonläufer würde profitieren, wenn er eine bessere Rumpfstabilität hat, weil er dann ökonomischer und besser laufen kann.

Stefan Orth mit Partnerin Vanessa Maurer – und mit Stephan Entian (Mitte), Betreiber der Sportwerkstatt in Enste bei Meschede.
Stefan Orth mit Partnerin Vanessa Maurer – und mit Stephan Entian (Mitte), Betreiber der Sportwerkstatt in Enste bei Meschede. © Jürgen Kortmann

Wenn Radfahrer im Winter ins Fitnessstudio gehen, und ihre Beinkraft erhöhen, dann bekommen sie im Frühjahr mehr Druck auf die Pedale. Auch vom Fahrradfahren, vom Schwimmen oder Joggen allein wird mein Rücken nicht so stark, dass ich sagen kann: Jetzt brauche ich keine Angst um meinen Rücken zu haben, wenn ich zwei Sprudelkästen in mein Auto lade.

Probleme, weil Ältere Muskelmasse verlieren

Folgerichtig müssten dann auch Ältere mehr trainieren?

Krafttraining wird immer bedeutender für die Leute: Sie sagen, ihnen geht es besser, sie haben keinen Tennisarm mehr, sie haben keine Rückenbeschwerden. Wenn wir uns aus physiotherapeutischer Sicht die älter werdende Bevölkerung anschauen, dann sind viele Probleme darauf zurückzuführen, dass Ältere massiv Muskelmasse verlieren.

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Die wenigsten Älteren können deswegen nicht laufen, weil sie eine schlechte Ausdauer haben, sondern weil sie keine Kraft haben, vom Stuhl aufzustehen. Sie gehen nicht nach draußen, weil sie sich scheuen, die Treppe im Haus runterzugehen. Aufs Alter bezogen wird es immer schwieriger, Muskelmasse aufzubauen. Es macht Sinn, früh genug damit anzufangen, um ein gewisses Maß an Lebensqualität zu erhalten.

„Es gibt kein richtiges oder falsches Sitzen“

Ist Sitzen per se schlecht?

Nein. Es gibt auch kein richtiges oder falsches Sitzen. Ob ich acht Stunden lang gerade oder krumm sitze, ist egal: Am Ende ist das für die Strukturen des Körpers gleich schlecht. Schlecht wird es, wenn man keinen Ausgleich für die Strukturen schafft. Der Körper passt sich nur an Belastungen an: Wenn ich etwas nicht nutze, fragt sich mein Körper: Warum soll ich dieses System erhalten, wenn es doch nicht gebraucht wird? Also reduziert er Knochenmasse und ich bekomme Osteoporose, oder ich verliere Muskelmasse und bekomme Sarkopenie.

So entsteht ein Teufelskreislauf: Jetzt habe ich Muskelmasse verloren, deswegen sinkt meine Lebensqualität und die Verletzungsgefahr steigt – denn wenn ich dann hinfalle oder stolpere, bin ich eventuell nicht in der Lage mich aufzufangen. Habe ich dann noch Osteoporose dazu, bricht mir der Schenkelhals. Wenn ich dann bettlägerig im Krankenhaus liege, dreht sich die Spirale immer weiter nach unten.

Kraft und Ausdauer abdecken

Zu welchem Sport raten Sie?

Als erstes muss es den Leuten Spaß machen, damit sie dabeibleiben. Unabhängig von der Sportart, die ich betreibe, sollte sie ein breites Spektrum von Kraft und Ausdauer abdecken. Man braucht beides. In der breiten Masse beliebter ist das Ausdauertraining, weil man das ja schnell für sich selbstständig machen kann, wenn man zum Beispiel einfach losläuft. Krafttraining dagegen muss man erlernen. Dafür sollte man sich Hilfe holen, in Fitnessstudios zum Beispiel.

>>> HINTERGRUND <<<

Stefan Orth hat 2012 das Deutsche Staatsexamen in Physiotherapie gemacht, dazu Fortbildungen, er hat in Salzburg Sportphysiotherapie studiert. Seit 2019 ist er selbstständiger Physiotherapeut mit eigener Praxis.

Sportlich kommt er selbst aus dem Bereich Kraftsport, er machte Judo, Selbstverteidigung, Crossfit und Kraftdreikampf. Er sagt über sich schmunzelnd: „Ich bin ein Allrounder im Sport, überall mittelmäßig, was völlig in Ordnung ist für mich.“

In seiner Praxis hat er zum Beispiel einen Ultraläufer, der sich auf einen 250 Kilometerlauf in Griechenland vorbereitet. Der hatte Knieprobleme: Durch Kniebeugen und strukturiertes Krafttraining waren die in den Griff zu bekommen.

Mit seiner Partnerin Vanessa Maurer hat er die „Sport Science School“ für Weiterbildungen und Online-Konsultationen gegründet.