Eversberg. Bei Schützenfesten im Sauerland wird oft geböllert. Jetzt sind Flüchtlinge aus der Ukraine hier. In Eversberg wird die Tradition daher vermittelt.

Vor drei Jahren schoss Albert Zeeb den Vogel in Eversberg im Stadtgebiet Meschede ab. 181. Schuss. Ein sommerlicher Tag, ein rauschendes Fest. Seitdem regiert er mit seiner Frau Natalie die Eversberger St.-Johannes-Schützen. Und regiert. Und regiert. Ihre Regentschaft geht in die Geschichte ein, geprägt von der Corona-Pandemie und nun auch privat vom russischen Krieg gegen die Ukraine. Denn Albert und Natalie Zeeb sind in Belarus aufgewachsen. In dem einzigen Land, das Putin zur Seite steht. Für ihre Familie hat sich seitdem einiges verändert.

Das Königspaar vor der Kulisse der Pfarrrkirche in Eversberg.
Das Königspaar vor der Kulisse der Pfarrrkirche in Eversberg. © Privat

Seit wann leben Sie in Deutschland?

Natalie Zeeb: Seit April 1997. Es sind also genau 25 Jahre. Wir hatten schon mit 19 Jahren geheiratet und wanderten dann aus.

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Albert Zeeb: Wir wohnten zuerst in Freienohl und haben uns dann viele Dörfer und Wohnungen angeschaut. In Eversberg haben wir uns sofort verliebt und wollten unbedingt hierhin ziehen. Wir haben es nie bereut. Wir haben nie eine schlechte Erfahrung hier gemacht.

Wie gehen Sie damit um, dass der Präsident Weißrusslands auf Putins Seite steht?

Albert Zeeb: Wir stehen für Demokratie und Freiheit. 2020, als Lukaschenko die Proteste gegen ihn zerschlagen hat, habe ich bei uns zu Hause eine Fahne mit den Farben der Opposition gehisst. Damals fing es an. Aber ich hätte mir nie vorstellen können, dass es zu diesem Krieg kommt. Niemals. Es tut mir richtig weh. Familie und Freunde, die zum Schützenfest kommen wollten, dürfen nun nicht ausreisen.

Natalie Zeeb: Wir haben überall Familie in Belarus, Moldawien und in der Ukraine. Es ist für uns unvorstellbar. Derzeit wohnen auch meine Cousinen mit ihren Kindern bei uns. Die Männer sind in der Ukraine.

Wie gehen Sie mit Verwandten um, die sich Pro-Putin positioniert haben?

Natalie Zeeb: Das ist sehr schwierig für uns. Einen Onkel und einen Cousin musste ich blockieren, weil ich ihre Aussagen nicht mehr ertrage.
Albert Zeeb: Jeder, der diesen Krieg akzeptiert, passt nicht mehr zu uns.

Sie haben Familienmitglieder aufgenommen und helfen auch im Ort als Dolmetscher. Gab es Vorbehalte, weil Sie aus Belarus kommen?

Natalie Zeeb: Nein, gar nicht. Die Frauen, in Eversberg leben größtenteils ukrainische Frauen mit Kindern, sind einfach nur dankbar. Wir haben vorgeschlagen, eine WhatsApp-Gruppe zu bilden und dort können sie in russischer Sprache schreiben, weil nicht alle Englisch können. Es geht dann um verschiedene Themen, zum Beispiel um Kindergartenplätze.

Warum sagen Sie russische Sprache und nicht Russisch?

Albert Zeeb: In den Staaten der ehemaligen Sowjetunion ist es die vorherrschende Sprache. Auch in meiner Schulzeit hatte ich beispielsweise fünfmal pro Woche Russisch-Unterricht, aber nur einmal in belarussischer Sprache.

Natalie Zeeb: Nicht jeder, nur weil er die russische Sprache beherrscht, ist automatisch Russe. Das können Menschen aus allen Ecken der ehemaligen Sowjetunion sein.

Wie geht es Ihren Cousinen?

Natalie Zeeb: Am Anfang konnten die beiden über nichts anderes sprechen. Sie träumen davon, in ihre Heimat zurückzukehren. Jeden Tag. Aber wir befürchten, dass es noch lange dauern wird.

Albert Zeeb: Aber wir geben die Hoffnung nicht auf.

In Eversberg gab es einen kleinen Empfang für die Ukrainer. Dort ging es auch um das Schützenfest. Wie haben Sie das Fest erklärt?

Albert Zeeb: Wir haben vorab zu allen Familien aus der Ukraine, die derzeit in Eversberg wohnen Kontakt aufgenommen. Bei dem Empfang haben der Ortsvorsteher und weitere Eversberger die Familien willkommen geheißen. Wir haben erklärt, welche Traditionen es gibt. Ein Schwerpunkt war das Schützenfest. Ich habe erklärt, dass wir jetzt drei Jahre nicht feiern konnten und dass alle auf den Beinen sein werden. Dass es Prozessionen gibt, dass Menschen in Uniform durch den Ort laufen. Dass Kapellen spielen und dass wahrscheinlich auch geböllert wird. Es ist wichtig, die Frauen zu informieren, damit sie den Kindern erklären können, dass es zu einem Fest gehört und sie keine Angst haben müssen.

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Wie waren die Reaktionen?

Albert Zeeb: Sie waren ganz angetan und möchten, dass wir alles so machen wie bisher. Viele möchten auch am Dorfleben teilhaben und kommen zum Beispiel auch zur Spielplatzeröffnung am Sportplatz am 14. Mai.
Natalie Zeeb: Eine Frau hat während des Empfangs geweint. Aus Dankbarkeit. Sie und alle anderen sind überwältigt, wie herzlich sie aufgenommen werden, wie viele Menschen sich in dem Dorf kümmern und es den Deutschen nicht egal, was mit ihrem Land passiert. Es ändert natürlich nichts an der schrecklichen Situation in der Heimat, aber es hilft, damit klarzukommen.

Vor drei Jahren: Albert Zeeb hatte mit dem 181. Schuss den Vogel in Eversberg aus dem Kasten geholt. Mit ihm freuten sich seine Frau Natalie und die Söhne Sven und Steven.
Vor drei Jahren: Albert Zeeb hatte mit dem 181. Schuss den Vogel in Eversberg aus dem Kasten geholt. Mit ihm freuten sich seine Frau Natalie und die Söhne Sven und Steven. © Ute Tolksdorf | Ute Tolksdorf

Auch wenn die weltpolitische Lage so dramatisch ist: Wie sehr freuen Sie sich nun auf das Schützenfest, auf Ihr Schützenfest?

Natalie Zeeb: Meine beiden Kleider hängen schon seit zwei Jahren im Schrank. Ich habe sie zwischendurch immer mal wieder rausgeholt zum Anschauen, Lüften – und auch anprobiert. Ich freue mich sehr darauf, sie endlich tragen zu können.
Albert Zeeb: Wir freuen uns riesig mit den Eversbergern und allen Gästen zu feiern. Wir hatten drei Jahre eine so tolle Unterstützung von allen. Wir sind einfach sowas von bereit. Es wird Zeit.

>>>HINTERGRUND

Natalie und Albert Zeeb haben zwei erwachsene Söhne.

Sie arbeitet als Filialleiterin der Woolworth-Filiale in Brilon, er ist Busfahrer bei Knipschild Reisen. Auf seinem Bus steht seit drei Jahren: Alberts Königskutsche.

Natalie Zeebs Mutter ist Belarusin, der Vater Deutscher. Ihre Großeltern wurden nach dem Zweiten Weltkrieg als Deutsche nach Sibirien zwangsumgesiedelt, wo sie unter unmenschlichen Zuständen arbeiten mussten. In den 1980er-Jahren zogen die Großeltern dann mit Erlaubnis nach Usbekistan. Natalie Zeeb verbrachte ihre Jugend schließlich in Belarus.