Freienohl. Borderliner leiden unter extremen Stimmungen. Der Mescheder Rolf Klauke leitet die Selbsthilfegruppe HSK. Was er während Corona beobachtet.
Masken tragen - wenn auch unsichtbare und Kontakte vermeiden - das kennen Boderliner zu genüge. Die Corona-Pandemie ist für sie Fluch und Segen zugleich. Rolf Klauke aus Freienohl ist selbst Betroffener und Leiter der Selbsthilfegruppe „Borderline - Persönlichkeitsstörung Sauerland“. Er hat in den letzten Wochen und Monaten viele Anrufe von Angehörigen und Betroffenen gehabt. Darunter auch viele verzweifelte Eltern, die Angst um ihre Kinder haben.
Borderliner befinden sich immer in einer extremen und zudem schwankenden Gefühlswelt. Wie geht es ihnen in einer Zeit, in der schon offensichtlich „psychisch gesunde Menschen“ an ihre Grenzen kommen.
Rolf Klauke: Vor allem fehlen die sozialen Kontakte und der Austausch mit anderen. Borderliner leben so schon zurückgezogen, haben meist nicht viele soziale Kontakte. Jetzt in der Pandemie werden sie noch mehr isoliert. Einige sprechen von „Vereinsamung“ und „dem ewigen Kampf mit den inneren Dämonen“.
Ein großes Thema sind Stimmungsschwankungen und Aggressionen gegen sich und andere, die ein Borderliner nur schwer in den Griff bekommt. Wie geht es damit?
Depressionen verstärken sich, Stimmungsschwankungen werden stärker und häufiger, Aggressionen gewinnen überhand. Sogar von Suizid-Gedanken, die Jahre nicht mehr da waren, erzählen Betroffene. Allein mit sich und den kreisenden Gedanken zu sein, zieht die Stimmung in den Keller. Sie reden von dem „schwarzen Loch“, in das sie Angst haben zu fallen. Auch Selbstzweifel werden verstärkt: Mache ich alles richtig? Maske tragen, Desinfektionen und Abstand halten? Sie möchten ja nichts falsch machen. Und da machen es die ständig wechselnden Hygiene- und Kontakt-Regeln auch nicht einfacher.
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Normalerweise hilft der Austausch in der Gruppe, der Sport, um sich abzulenken und den Tag zu strukturieren.
Ja, all das fehlte lange. Dann fällt es Borderlinern schwer, sich selbst zu motivieren und Alternativen anzugehen. Außerdem fehlte der Austausch in der Gruppe, um die negativen Gedanken und Gefühle mal los zu werden. Online-Treffen sind da keine Alternative. Nur im persönliche Gespräch kann man Mimik und Gestik richtig deuten.
Das hat auch Folgen für Job und Familie?
Betroffene haben oft mit aufsteigenden Aggressionen zu kämpfen. Menschen im Kundenkontakt berichten, dass sie ihrem Gegenüber manchmal „an den Kragen gehen“ möchten. Borderliner sind sowieso schon emotional instabil und müssen nun zusätzlich das gereizte Verhalten anderer aushalten. Da möchte mancher am liebsten ausrasten oder gleich gar nicht mehr zur Arbeit gehen.
Auch wenn die Nerven blank liegen und die Situation sehr belastend ist, es gibt Borderliner, die Positives an der Situation finden?
Einige sagten, „die Pandemie stört mich nicht, als Borderliner lebe ich eh in einem Ausnahmezustand. Und hinter der Maske kann man sich super verstecken. Außerdem brauche ich keine Ausreden mehr zu erfinden, wenn ich nicht rausgehen will. Alle sind ja zu Hause.“ Andere genossen diese entschleunigte Zeit, da sie sonst immer unter hohem Druck stehen, alles sofort zu erledigen. Ich selbst habe die Pandemie genutzt, um meine Trainings-Angebote für Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen auf den neuesten Stand zu bringen.
Sie müssen auch vermehrt Angehörige coachen, die mit der Borderline-Diagnose ihrer Kinder überfordert sind?
Es ist schon erschreckend, wie durch die Pandemie Auffälligkeiten von Jugendlichen zum Vorschein treten. Seit Dezember 2020 haben sich die Anrufe von Eltern fast verdoppelt. Gleichzeitig halbierte sich das Alter der Betroffenen. Es liegt jetzt zwischen 11 und 15 Jahren. Zwar gibt es vor dem 18. Lebensjahr meist noch keine genaue Diagnose. Aber es gibt Anmerkungen, dass eine Persönlichkeitsstörung, Bindungsstörung oder soziale Phobie vorliegen könnte.
Eltern und Kinder hockten enger aufeinander. Was berichten die Eltern?
Dass ihre Kinder an Depressionen und Angstzuständen leiden, sehr zurückgezogen sind und wenig reden. Oft werden auch selbstverletzende Verhaltensweisen beschrieben, was die Not der Kinder zeigt und den Eltern natürlich Angst macht. Dazu kommt noch, dass viele therapeutische Angebote reduziert wurden. Aber da möchte ich Mut machen, sich Hilfe zu holen: Es gibt viele Beratungs- und Anlaufstellen im Hochsauerlandkreis. Informationen erteile ich gern.
>>>Hintergrund
Bei der Borderline-Störung handelt es sich um eine Persönlichkeitsstörung. Betroffene reagieren impulsiv, sind ihren Emotionen und Stimmung unterworfen. Das kann zu extremer innerlicher Anspannung führen, die als unerträglich und peinigend erlebt wird.
An einer Borderline-Störung leiden etwa drei Prozent der Bevölkerung. Die ersten Anzeichen treten meist schon im Jugendalter auf. Es scheinen etwa gleich viele Männer wie Frauen betroffen zu sein, auch wenn sich deutlich mehr Frauen in eine Therapie begeben. Mehr als 60 Prozent der Betroffenen hat mindestens einen Suizidversuch verübt.
Mittlerweile gilt es als gesichert, dass ein Zusammenspiel von verschiedenen Faktoren wie genetische Veranlagung, dem sozialen Umfeld und frühen traumatischen Erfahrungen für die Entstehung der Borderline-Störung verantwortlich ist.
Ansprechpartner im HSK ist Rolf Klauke. Der Freienohler hatte die Gruppe 2011 gegründet.02903/7516 ab 15 Uhr, E-Mail: rolfklauke@hotmail.de
Website: www.borderline-hsk.de