Freienohl. Oft wird Borderline als Krankheit erst spät diagnostiziert. Wer Hilfe sucht, findet sie in einer Selbsthilfegruppe, gegründet von einem Freienohler. Die Teffen sind in Arnsberg.

Sie sind Grenzgänger, Grenzgänger zwischen extremen Gefühlen. Grenzgänger auch darin, mit ihren Gefühlen umzugehen: Sie betäuben sie mit Alkohol, Drogen und LSD, bei haltloser Kauf- und extremer Sexsucht. Sie verletzten sich mit Messern und Rasierklingen und explodieren scheinbar bei Nichtigkeiten: Borderliner.

Jörg erhielt die Diagnose Borderline erst nach mehreren Jahren und dem zweiten Aufenthalten in der Psychiatrie. Behandelt worden war er in den 90er-Jahren wegen einer Depression. „Borderliner sind oft extreme Grübler und Gefühls-Menschen“, sagt der 45-Jährige. Nach der Behandlung musste der Maschinenführer, viel an sich arbeiten. Ganz geheilt wird man nie.

„Ich konnte merken, wie die Gefühle in mir hochkamen von Null auf Hundert in wenigen Sekunden. Ich konnte das gar nicht steuern.“ Gewalttätig wurde er dabei nicht. Doch seine Ehe drohte unter der Belastung zu zerbrechen. „Nach einem furchtbaren Ausraster 2009 hat mich meine Frau einweisen lassen. Ich war völlig außer mir.“ In Warstein traf er endlich auf Ärzte, die die richtige Diagnose stellten. Sie vermittelten ihn in ein einjähriges Gruppen-Programm „STEPPS“, das ihm half, seine Situation richtig zu sehen und ihm Anker bot, um seine Gefühle unter Kontrolle zu halten.

Oft seien bei Borderlinern in der Kindheit Fehler gemacht worden und doch gibt es keine Schuld- Frage, erläuterte Jörg. „Wir wurden entweder zu sehr behütet, und man hat uns nichts zugetraut oder unsere Eltern haben uns schlichtweg nicht beachtet und vernachlässigt.“ Ein mangelndes Selbstwertgefühl sei die Folge. „Kindlichen Gefühle übernehmen deshalb immer wieder die Oberhand.“ In der Pubertät sei ein solches Verhalten vielleicht noch normal, später jedoch nicht mehr. Jörg: „Deshalb wird Borderline auch erst mit Anfang 20 überhaupt diagnostiziert.“

Gründung der ersten Gruppe

Nach dem Ende des „STEPPS“-Programms wusste Jörg, dass es ganz ohne Unterstützung nicht geht. Aber diesmal gab es neben Medikamenten auch eine Gruppe. Die Mitglieder beschlossen, sich unter Jörgs Führung als Selbsthilfegruppe weiter zu treffen. „Ich habe mir das reiflich überlegt damals.“

Bei der Akis, der Arnsberger Kontakt- und Informationsstelle für Selbsthilfegruppen im Hochsauerlandkreis, fand er weitere Hilfe. „Vor allem hat uns die Akis einen Raum zur Verfügung gestellt.“

13 Männer und Frauen gehören zur Gruppe, 6 bis 7 sind immer da. Tauschen sich aus, unterstützen sich gegenseitig. „Erst wenn Borderliner eine Familie gründen und Sicherheit im Leben wollen, erst dann sind die meisten überhaupt bereit, sich therapieren zu lassen oder Halt in einer Selbsthilfegruppe zu suchen“, weiß der Vater von zwei Kindern. Dann wird die Krankheit zu einem Problem, die das ganze Leben beeinflusst. „Keiner von uns ist deshalb jünger als 30.“

Ihnen allen sei eins klar: „Auch wenn es noch so viele negative Gefühle, noch so viele alte Verletzungen gibt, nicht die anderen müssen sich ändern. „Wir müssen es tun.“

Auch Familien brauchen Hilfe

Im Laufe der Zeit führten Jörg und seine Frau viele Gespräche, und sie erkannten, dass nicht nur die Betroffenen Hilfe brauchen. Auch die Angehörigen sind oft ratlos, sie kommen mit den Gefühlsschwankungen ihrer Kinder und Partner, mit den Zurückweisungen nicht klar. Es kam die Frage auf: An wenn können sich Angehörige wenden? Für sie hat der Sauerländer eine weitere Selbsthilfegruppe ins Leben gerufen.