Schmallenberg. Die Schmallenbergerin Mareike Kleinsorge ist ein Steh-Auf-Männchen. Mit ihrer emotionalen Geschichte möchte sie sensibilisieren und aufklären.

Mareike Kleinsorge ist ein Steh-Auf-Männchen. Das sagt sie auch selber von sich. „Aber es gab Tage, da wollte ich nicht aufstehen, da konnte ich auch einfach nicht aufstehen. Da habe ich nur im Bett gelegen und geheult.“ Während im Frühjahr 2020 die Corona-Welle über die ganze Welt hereinbricht, sitzt Mareike Kleinsorge beim Arzt. Diagnose: Brustkrebs. „Diese Zeit war die schlimmste überhaupt, einfach nur schrecklich.“ Und doch hat sich seitdem einiges verändert, einiges sogar zum Guten.

Alles beginnt im Februar 2020. Mareike Kleinsorge wollte eigentlich mit Mann Mike und einigen Freunden in den Skiurlaub. Ausgerechnet Ischgl. Doch sie tastet schon Wochen vorher in ihrer Brust einen Knoten. Offenbar keine Zyste wie die letzten acht Male, der Knoten bleibt und mit ihm ein ungutes Gefühl. Den Urlaub sagen sie ab, stattdessen fahren sie zum Arzt. Erst die Mammographie, dann die Stanzbiopsie im Brustzentrum des Uniklinikum Bonn. Gewebeproben werden entnommen, in der Pathologie untersucht, am 27. Februar folgt die Diagnose: Ja, es ist Brustkrebs. Kein gutartiger Tumor, sondern bösartig, schnellwachsend, aggressiv. „Da geht das große Loch auf, das reißt dir den Boden unter den Füßen weg.“

Glück im Unglück

Es folgen weitere Maßnahmen, MRT, CT, Knochenszintigraphie, Herz-Kontrolle. „Die bange Frage war ja, ob der Krebs gestreut hat oder nicht, ob noch andere Organe befallen sind, ob sich Metastasen gebildet haben“, erinnert sich Kleinsorge. Einige bange Tage, schlaflose Nächte: „Na klar fragst du dich dann, ob du deinen Geburtstag noch erlebst, ob du noch einmal Weihnachten feiern darfst.“ Damals war sie 45 „und ein absoluter Lebemensch“, wie sie sich beschreibt. Wo Feste und Feiern waren, da war auch Mareike Kleinsorge: „Wenn das gestreut hat, bist du irgendwie dem Tode geweiht. Aber ich war zu jung, ich dachte mir, dass das doch noch nicht alles gewesen sein kann.“

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Dann die gute Nachricht, der Krebs hat nicht gestreut. Glück im Unglück: „Ja, es war irgendwie einer der schönsten Tage in dieser Zeit.“ Doch der Krebs ist nicht überstanden, vielmehr ging es dann erst los. Ende März wird der Port in den Arm gelegt, am 15. April beginnt die Chemotherapie. Und dann ist da ja auch noch die Corona-Pandemie: „Wir haben uns vollkommen isoliert. Ich bin maximal zum Einkaufen vor die Tür gegangen, mein Mann und meine Mutter, die im Haus lebt, genauso.“

Corona-Virus wäre Gefahr für geschwächtes Immunsystem

Beim Arbeitgeber, Kleinsorge arbeitet beim Sozialwerk St. Georg, wird sie vorerst für fünf Wochen krankgeschrieben: „Das Corona-Virus hätte keine Auswirkung auf den Krebs gehabt, aber natürlich auf mein geschwächtes Immunsystem. Durch die Chemotherapie wird ja gefühlt alles Leben im Körper abgetötet.“ Von Freunden erhält sie viel Zuspruch, telefoniert viel, hält per WhatsApp Kontakt. Stammtischtreffen mit den anderen „Okolythen“, wie die Runde heißt, sind vorerst Geschichte: „Viele Menschen sagen dir dann ‘Du schaffst das!’ Und das tut auch gut, aber es hilft nicht. Du musst in der Situation alleine kämpfen.“

Und das tut Mareike Kleinsorge. Sie wird in der Vamedklinik in Bad Berleburg behandelt, lernt dort viele Frauen mit dem gleichen Schicksal kennen. Die ersten vier Chemos, die sogenannten „Roten“, die besonders starken, erhält sie alle zwei Wochen, danach zwölf Chemos, je eine pro Woche, dazu alle drei Wochen Antikörper: „Ich habe die anfangs relativ gut vertragen, habe nach den fünf Wochen sogar im Homeoffice gearbeitet.“

Haare abrasiert

Aber immer wieder kommen auch abgeschlagene Tage. Tage, an denen nichts geht und Mareike Kleinsorge keine Lust auf irgendetwas hat, nur im Bett bleiben und traurig sein will: „Vor allem im Juni hatte ich ein Tief, da ging es mir ziemlich dreckig. Im Nachhinein, wenn ich die Bilder von damals sehe, sah ich auch wirklich krank aus.“

Die Haare rasiert sie sich ab, gemeinsam mit Mann Mike: „Auch das habe ich überraschenderweise gut weggesteckt. Man muss sich selber pushen, man darf sich nicht selbst bemitleiden. Es sind nur Haare, na und?!“ Einmal hat sie ihren Stammtisch draußen getroffen, einmal fährt sie mit ihrem Mann ins Autokonzert ihrer Lieblingsband „Fury in the Slaughterhouse“ nach Hannover. Ansonsten verbringt sie den ganzen Sommer zuhause.

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Die Corona-Pandemie? Im Sommer fast verschwunden, kehrt im Herbst mit der dritten Welle krachend zurück. Einzige Kontakte findet Kleinsorge vor allem in den sechs bis sieben Frauen, die auch in Bad Berleburg in Behandlung sind, und zwei Freundinnen vor Ort, die die ganze Zeit für sie da waren. Ihre Stammtischfreundinnen bringen ihr wöchentlich Geschenke vorbei, legen sie vor der Haustür ab, um mögliche Ansteckungen zu verhindern. Viele Glücksbringer, schöne Dekoartikel: „Das war toll, darauf konnte man sich immer wieder freuen.“

Corona? Das sei in der Zeit Fluch und Segen zugleich gewesen: „Klar fehlten die Kontakte, aber ich bin ein Feiermensch. Wäre Schützenfest und Schmallenberger Woche gewesen und ich hätte aufgrund des Krebs nicht hingekonnt? Das wäre schrecklich gewesen.“ Die Chemotherapie wirkt. Der Tumor, anfangs drei Zentimeter groß, am Ende fast verschwunden. Die OP findet brusterhaltend statt, alles erfolgreich, der Krebs ist weg: „Wenn du das hörst, dann weißt du, wofür du die Strapazen auf dich genommen hast.“

Bestrahlungen auch an Heiligabend und Silvester

Die Operation am 6. Oktober, das positive Ergebnis am 16. Oktober: „Das waren wieder zehn lange Tage, aber da ist uns am Ende ein großer Stein vom Herzen gefallen.“ Es folgen 33 Bestrahlungen in Brilon, vom 19. November bis 6. Januar. Auch an Heiligabend und Silvester. Die zusätzliche Antikörpertherapie lief am 23. Juni aus. Zwar läuft die Anti-Hormon-Therapie mit Schlaflosigkeit und Hitzewallungen noch weiter, „aber das Schlimmste ist überstanden“, sagt Kleinsorge.

Echte Freundschaften kristallisieren sich heraus: „So etwas macht demütig. Du lernst, viele kleine Dinge neu zu schätzen.“ Viele Menschen hätten über die Lockdownzeit geklagt, erinnert sich Kleinsorge: „Aber was sollte ich denn sagen? Ich hatte die ganze Zeit Lockdown, ich hatte Krebs.“

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Corona-bedingt musste sie auch nahezu alle Arztbesuche alleine bewältigen, alle Taxifahrten, Therapien und Behandlungen mit Mundschutz. Und in der Uniklinik durfte einmalig Mann Mike für eine Stunde nach der Operation zu Besuch kommen, mehr war nicht möglich.

Anfang Juli, jetzt, wo alles überstanden ist, fliegt sie mit ihrem Mann nach Mallorca. Entspannen und genießen. Das, was Körper und Corona wieder zulassen. „Ich war schon 40 Mal auf der Insel, kenne aber nur die bekannten drei Kilometer“, erzählt sie mit einem Lachen. Sie will weg von den tristen Themen und Sorgen, es sich endlich wieder gutgehen lassen. Ein Steh-Auf-Männchen eben.

Auf Instagram aktiv

Auch über ihren Instagram-Kanal „mallemareike“ will Mareike Kleinsorge Frauen und auch Männer zur Brustkrebsvorsorge animieren. Denn neben jährlich 70.000 Frauen erkranken auch pro Jahr durchschnittlich 700 Männer an Brustkrebs. „Je früher man hingeht, umso besser.“

Denn nicht alle hätten die Krankheit überstanden wie sie. „Wir hatten die Gruppe mit im Durchschnitt sieben Frauen in Bad Berleburg, alle mit Brustkrebs. Eine von ihnen war erst 25, irgendwann war sie nicht mehr da. Und das nicht, weil sie den Krebs besiegt hatte. Sie war am Krebs gestorben.“