Winkhausen. Prof. Dr. Dieter Köhler zur Corona-Lage, ob die Pandemie überstanden ist, welche Rolle Mutationen spielen und wie es um eine vierte Welle steht.

Prof. Dr. Dieter Köhler ist ein gefragter Mann. Nicht nur bei vielen Wissenschaftlern und Corona-Experten. Im Interview erklärt der 73-jährige Lungenexperte und ehemalige Leiter des Fachkrankenhauses Kloster Grafschaft, was er von den aktuellen Lockerungen hält, ob mit einer vierten Welle zu rechnen ist und wie die Pandemie wesentlich schneller hätte besiegt werden können.

Herr Prof. Dr. Köhler, die Inzidenz-Werte sind in den vergangenen Wochen rasant gesunken, gepaart mit etlichen Lockerungen. Kommt das nicht alles etwas zu schnell?

Prof. Dr. Dieter Köhler: Nein, die Maßnahmen sind völlig in Ordnung. Meiner Meinung nach geht es teilweise gar nicht schnell genug, weil es viele politische Vorgaben gab, die von Beginn an sinnlos waren. Wir hätten in vielen Bereichen schon wesentlich schneller lockern können und müssen.

Welche meinen Sie?

In erster Linie spreche ich die Draußen-Maßnahmen an. Denn draußen gibt es keine Ansteckungen, weil sich die abgeatmeten Viren in den Aerosolen direkt verdünnen. Wenn man weiß, wie die Ansteckung läuft, kann man sich vieles selber erschließen. Die Aerosole verteilen sich genauso wie Zigarettenrauch. Wenn man sich das vorstellt, weiß man, wo und wie Ansteckungen stattfinden und wo nicht. Innenräume werden dann gefährlich, wenn sie klein, ungelüftet oder ohne Luftreiniger ausgerüstet sind. Das haben wir unterschätzt. Und um sich anzustecken, muss man dem bereits Infizierten nicht begegnen. Es reicht zum Beispiel, wenn man nach ihm einen Raum betritt, ohne dass er noch dort ist. Die Aerosole sind dann noch da.

Lüften bleibt also wichtig. Das heißt aber auch im Gegenzug, dass hohe Räume ungefährlich sind?

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Ja. Kirchen, Supermärkte, große Hallen wie Schützenhallen, da passiert nichts. Das Virus steigt mit der warmen Luft nach oben, wird dort verdünnt bzw. das Virus stirbt nach einer Weile ab. In Kirchen hätte man nie Masken gebraucht. Ähnliches gilt für Fußballstadien. Die können alle wieder geöffnet und voll ausgelastet werden, da passiert nichts - die einzige Gefahr wären öffentliche und private Verkehrsmittel auf Hin- und Rückreise.

Was ist mit dem 1,50 Meter-Abstand?

Auch der hilft nicht, die 1,50 Meter sind Quatsch. Diese 1,50 Meter sind ein Überbleibsel aus der Tuberkulose-Zeit. Was an aller erster Stelle hilft sind Masken - auch in Innenräumen. Unterschätzt waren lange auch Toiletten, kleine Büros und Fahrstühle, dort gilt besondere Vorsicht, dort lauert die Ansteckung. Da sollte durchgängig eine Maske getragen werden. Hinzukommt, das man sich auch gerne wieder die Hände schütteln darf. Eine Übertragung über die Hände ist extrem unwahrscheinlich.

Was sagen Sie zu den Regeln in der Gastronomie?

Das hat doch niemand verstanden. Man geht mit der Maske ins Restaurant, nimmt sie am Tisch aber wieder ab. Dort, wo man sich 95 Prozent des Restaurantbesuchs aufhält. Was bringt dann die Maske? Man hätte die Restaurants die ganze Zeit offen lassen können, aber es sollte auch am Platz Maske getragen werden und nur zum Essen oder Trinken abgesetzt werden. In dieser kurzen Zeit findet praktisch keine Ansteckung statt. Die Außengastronomie hätte immer ohne Maske öffnen können.

Was hätten Sie in all der Zeit anders gemacht?

Prof. Dr. Dieter Köhler war lange Zeit Leiter des Fachkrankenhauses Kloster Grafschaft.
Prof. Dr. Dieter Köhler war lange Zeit Leiter des Fachkrankenhauses Kloster Grafschaft. © www.blossey.eu | Hans Blossey

Man hätte schon vorher an die Ansteckungs-Cluster (Gruppen) gemusst. Das waren beispielsweise pflegende Familien, Altenheime, teilweise Krankenhäuser, religiöse Kleingruppen, in den Großstädten sozial schwierige Bezirke. Da waren Menschen, die wussten manchmal bis zuletzt nicht, was Corona oder eine Impfung ist. Aber man muss mit der Aufklärung an der Basis anfangen, das wurde teilweise versäumt. Zudem hätten wir offener diskutieren müssen. Häufig wurde nur auf Linie regiert, ohne andere Meinungen zuzulassen. Hätten wir einen freieren Diskus geführt, hätten wir die Pandemie wesentlich schneller mit weniger Toten besiegen können. Auch wenn man zugeben muss, dass der Wissensstand im Frühjahr 2020 in einigen Dingen natürlich noch ein anderer war.

Erweckt die aktuelle Lage nicht den Eindruck, dass die Corona-Pandemie so gut wie vorbei ist?

Ja, das meint man. Man muss sich aber weiterhin auf die wesentlichen Punkte konzentrieren - auch auf politischer Ebene. Wir haben de facto keine Übersterblichkeit. Das liegt aber nicht daran, dass Corona harmlos ist - denn die Erkrankung kann schwer sein und schwere Folgen haben. Der Unterschied liegt darin, dass wir keine Influenza-Welle seit zwei Jahren haben. Die Frage ist jetzt, warum ist die Influenza verschwunden, Covid aber nicht? Es gibt offenbar den Unterschied, dass manche das Corona-Virus lange, auch über Monate in sich tragen können, ohne dass es sich in Symptomen äußert. Wie eine Art Herpes. Die Maskenpflicht kann, sobald die Inzidenz-Werte weiter fallen, auch komplett aufgehoben werden. Im Zweifelsfall wird sie dann dort, wo Ausbrüche stattfinden, wieder eingeführt. Um diese Gruppen muss man sich intensiv kümmern. Das Schaffen dann auch die Gesundheitsämter, die sonst natürlich unmöglich alles nachhalten können.

Das heißt, wir müssen mit dem Virus langfristig leben?

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Ja, die Vermutung liegt nahe, dass Corona bleibt. Es gibt auch schon Firmen, die an einer kombinierten Corona-Grippe-Impfung arbeiten. Wir müssen lernen und verstehen, wie sich das Virus ausbreitet. Dann werden wir damit leben können - ohne größere Schwierigkeiten. Wir können das Virus nicht verdrängen.

Wird es denn eine vierte Welle geben?

Es kann schon sein, dass das Virus im Winter wiederkommt. Aber durch den Umstand, dass die Impfungen bis dahin weit fortgeschritten sind und es in vielen Clustern auch eine Durchseuchung gegeben hat, wird es sicher nicht so schlimm wie in den bisherigen Wellen sein.

Welche Rolle spielen Mutationen? Könnte dadurch alles von vorne wieder losgehen?

Theoretisch ja, praktisch sehr unwahrscheinlich. Natürlich sind Blitzmutationen nicht auszuschließen, aber ich sehe uns gut vorbereitet, auch durch Impfungen und Durchseuchungen.

Also sind wir aus dem Gröbsten raus? Ist der schwerste Part der Corona-Pandemie geschafft?

Ja, weil wir die Impfungen haben. Das Schwerste ist geschafft.

Neues Buch von Prof. Dr. Dieter Köhler: „Wie Wissenschaft Krisen schafft - Epidemiologie im Praxistest: Feinstaub, Stickoxide, Corona & Co“

Prof. Dr. Dieter Köhler arbeitet eng mit Dr. Thomas Voshaar, Aerosolforscher und Chefarzt der Bethanien-Klinik in Moers, zusammen. Ebenso mit dem Aerosolexperten Dr. Gerhard Scheuch. Diese beiden wiederum fungieren auch als wissenschaftliche Mitarbeiter der Regierung.

Am 23. Juni veröffentlicht Köhler gemeinsam mit dem Journalisten Frank Lübberding das Buch „Wie Wissenschaft Krisen schafft - Epidemiologie im Praxistest: Feinstaub, Stickoxide, Corona & Co“. Das Buch, welches im Agenda-Verlag erscheint, ist dann über die gängigen Plattformen erhältlich.