Grafschaft. Die Experten des Fachkrankenhauses sprechen über Impfungen, Mutationen, Sterblichkeiten und ob die Maske für immer Alltag sein wird.

Am 12. März 2020 wurde im Kloster Grafschaft die erste beatmete Corona-Patientin auf der Intensivstation behandelt. Zu dem Zeitpunkt lagen die Neuerkrankungen in Deutschland noch unter 200 Fällen pro Tag, während sie in Italien schon den zehnfachen Wert erreicht hatten. „Niemand konnte zu diesem Zeitpunkt den Verlauf der Pandemie voraussagen. Schnell aber wurde klar, dass wir im zeitlichen Verlauf nur wenige Wochen hinter Ländern wie Italien lagen und wir bei ungebremster Virusausbreitung dieselben Probleme zu erwarten gehabt hätten“, erklären Dr. Dominic Dellweg, Chefarzt für Pneumologie und Intensivmedizin am Fachkrankenhaus Kloster Grafschaft, und Geschäftsführer Stefan Schumann in einer Corona-Zwischenbilanz: „Seitdem haben wir im Kloster 224 Patienten behandelt, 48 davon auf der Intensivstation. Wir hatten in unserer Klinik schon seit vielen Jahren ein Pandemiedepot in dem Medikamente, Schutzausrüstung und Beatmungsgeräte vorgehalten wurden. Das haben wir den visionären Gedanken von Herrn Prof. Köhler zu verdanken und dieser Vorrat hat uns in der ersten Zeit handlungsfähig gehalten.“

Als dann jedoch die Produktion und Lieferung weiterer Schutzausrüstung ins Stocken geriet, seien innovative Ideen gefragt gewesen, so die beiden. Die fehlenden FFP-Masken wurden durch Beatmungsmasken ersetzt, die mit virendichten Beatmungsfiltern bestückt wurden. Bei allen Kontakten mit infizierten Patienten kamen diese Masken bis heute zum Einsatz: „So konnten wir Erkrankungsfälle unserer Mitarbeiter verhindern.“ Mit dem radioaktiven-Partikel-Testmodell, mit dem auch die Beatmungsmasken getestet wurden, konnte zudem die Qualität von gekauften FFP-Masken überprüft werden. Dabei erfüllten ein Drittel der getesteten FFP-Masken nicht die geforderte Filterleistung.

Sterblichkeit auf acht Prozent reduziert

„Was die Behandlung von schwerkranken Corona-Patienten auf der Intensivstation angeht, wurde schnell schon aus frühen Studien aus Wuhan/China klar, dass die Intubation und invasive Beatmung mit einer hohen Sterblichkeit einhergeht“, so Dellweg und Schumann: „Mit unserer Expertise für nicht-invasive Beatmungsverfahren, die wir immer schon in Vor-Coronazeiten verwendet haben, haben wir ein Behandlungskonzept entwickelt, mit dem es gelang, viele Patienten erfolgreich ohne diese invasive Beatmung zu behandeln.“

So konnte die Sterblichkeit auf nur acht Prozent reduziert werden, gleichzeitig lag die landesweite Sterblichkeit in deutschen Krankenhäusern bei 22 Prozent. Auch diese Ergebnisse wurden, wie die Masken-Tests, international publiziert: „Besonders stolz sind wir auf eine gemeinsame Forschungsinitiative mit der Bauhaus Universität in Weimar. Die Kollegen der Fakultät für Bauingenieurwesen unter der Leitung von Prof. Völker sind dort in der Lage, mittels eines Schlierenspiegels Luftströme im Raum sichtbar zu machen. In der Weimarer Forschungseinrichtung haben wir dann die Aerosolausbreitung bei verschiedenen Verfahren zur Beatmungsunterstützung und bei Anwendung verschiedener Masken testen können.“

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Die Wochen und Monate der Pandemie seien eine extreme Herausforderung. „Jedem Mitarbeiter bei uns im Kloster, aber natürlich auch in anderen medizinischen Einrichtungen, kann hierfür nicht genug gedankt werden“, so die beiden weiter. „Auch für unsere Politiker war das vergangene Jahr extrem schwierig. Entscheidungen die in die Zukunft gedacht waren, wurden im Nachhinein häufig kritisiert, was natürlich nicht fair ist. Gleichzeitig muss man aber auch eingestehen, dass Wissenschaftler häufig gegensätzliche Meinungen vertreten haben. So wurden viel zu lange falsche Mechanismen über den Übertragungsweg des Virus diskutiert. Jetzt ist klar: Das Virus wird hauptsächlich und fast ausschließlich über Aerosole übertragen, die sich in geschlossenen Räumen ansammeln.“

Nur 0,1 Prozent der Infektionen draußen

Letzten Endes, so Dellweg und Schumann, entstehen nur etwa 0,1 Prozent der Infektionen außerhalb von geschlossenen Räumen. Die aktuelle Ausgangssperre verhindere nach Studienlage wahrscheinlich die Mobilität und die Anzahl von Kontakten, führe aber auch dazu, dass sich die Menschen vermehrt in geschlossenen Räumen aufhalten, was das Risiko der Ansteckung wieder erhöht. „Der Ausweg aus der Pandemie ist die Impfung, und an dieser Stelle gilt der Appell an alle, sich impfen zu lassen. Sind zwei Drittel der Bevölkerung geimpft, wird die Ausbreitung des Virus zurückgehen. Vorher besteht aber die Gefahr von Mutationen.“

Normalerweise setze sich ein mutiertes Virus nur durch, wenn es durch die Mutation ansteckender (virulenter) geworden ist. Leben aber geimpfte und nicht-geimpfte zusammen, so können Mutationen, die die Antikörper geimpfter Personen umgehen können, einen Selektionsvorteil haben. „Diesen Mechanismus nennt man Escape-Mutation und er findet gerade mit der Variante B 1.617 in Indien statt. Wahrscheinlich werden weitere Mutationen, ähnlich wie bei der Influenza-Erkrankung, auch eine Impfung in weiteren Jahren erforderlich machen. Dabei kann es sein, dass wir zukünftig dann nur noch Risikogruppen nachimpfen müssen.“

Aktuelle Masken sind suboptimal

Ob die Masken einmal vollständig aus dem Alltag verschwinden werden, sei aber schwer zu sagen: „Zumindest hat die Regierung verstanden, dass die aktuellen Masken suboptimal für den Einsatz in einer Viruspandemie geeignet sind. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) erarbeitet gerade eine neue europäische Norm für Infektionsschutzmasken im Pandemiefall.“ Auf Grund der in Grafschaft erarbeiteten Expertise ist Dellweg hier als medizinischer Experte in die entsprechende Arbeitsgruppe berufen worden.

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Bei etwa zehn Prozent aller am Corona-Virus erkrankten Personen, die die Erkrankung überlebt haben, finden sich Langzeitschäden, die aktuell unter den Namen Post-Covid oder Long-Covid subsummiert werden, so die beiden. Die Schäden seien dabei sehr heterogen, da das Coronavirus prinzipiell alle Organe im Körper angreifen kann: „In unserer Abteilung für Frührehabilitation haben mittlerweile die meisten Patienten eine durchgemachte Corona-Erkrankung. Diese Patienten kommen direkt von anderen Intensivstationen und haben in der Regel eine schwere Corona-bedingte Lungenentzündung durchgemacht. Viele Patienten haben auch neurologische Ausfälle und müssen nach langer Erkrankung die Dinge des täglichen Lebens so wie Sitzen, Stehen, Laufen, Sprechen und Essen erst wieder erlernen.“

Reservekapazitäten geschaffen

Viele Defizite bilden sich über die Zeit zurück, einige Schäden bleiben jedoch auch, wobei eine Vorhersage hierzu oft sehr schwierig ist: „Wir alle haben im letzten Jahr viel gelernt, wir alle lernen aber auch jeden Tag noch dazu.“

Unterstützt durch Landes- und Bundesförderungen, haben die Verantwortlichen des Fachkrankenhauses – wie auch viele andere Krankenhäuser - Reservekapazitäten für Intensivpflichtige geschaffen, die auch in der Zukunft zur Verfügung stehen werden.

Auch das Pandemielager wurde vergrößert, um Verknappungen von Schutzmaterialien entgegenzuwirken. Hinzu kommen viele neue Medizingeräte wie Beatmungsgeräte, Systeme zur Vitalzeichenüberwachung sowie Infusionstechnik.