Winkhausen. Professor Dr. Dieter Köhler erklärt: Worauf es in Schulen jetzt ankommt, wo Ansteckungen drohen und warum er Cluster-Öffnungen fordert.
Die Lockerung der Corona-Beschränkungen wird aktuell von vielen Seiten gefordert. Der Schmallenberger Professor Dr. Dieter Köhler, Lungenfacharzt, Aerosol-Forscher und ehemalige Leiter des Fachkrankenhauses Kloster Grafschaft, ist dafür, hat dazu aber ein paar Anmerkungen. Die Wichtigste: Alles was draußen stattfindet, ist völlig ungefährlich. Und er wünscht sich mehr Vertrauen in kleine Systeme, die so genannten Cluster.
Angesichts der Schulöffnung herrscht bei Eltern, Lehrern und Schülern viel Unsicherheit. Was ist sinnvoll und was nicht?
Prof. Dr. Dieter Köhler: Das Wichtigste: Draußen gibt es keine Ansteckung. Im geschlossenen Raum werden die Viren abgeatmet und verteilen sich, ähnlich wie Zigarettenqualm. Was folgt daraus? Erstens: Alles, was draußen stattfindet, ist ungefährlich. Pausenzeiten sollten also auf jeden Fall auf dem Hof verbracht werden. Zweitens: Drinnen müssen Masken zwingend getragen werden und zwar überall, auch am Platz. Und drittens: Regelmäßiges Lüften ist extrem wichtig. Und regelmäßig heißt nicht erst nach einer Schulstunde. Denn je länger die Luft mit Viren angereichert wird, desto länger muss man durchlüften. Für die Mathematiker: Die Virenlast steigt nicht linear, sondern zum Quadrat, das heißt, wer nicht nach 15 Minuten, sondern erst nach einer halben Stunde lüftet, lüftet viermal so lange, bis die Luft ausgetauscht ist.
Was ist mit Begegnungen im Flur?
Manche Schulen haben Wege aufgezeichnet, die Schüler nehmen müssen. Für dieses kurzen Treffen ist das unnötig. Da besteht keine Ansteckungsgefahr, denn selbst wenn man mit virushaltigen Aerosolen angepustet werden sollte, ist die Menge für eine Ansteckung nicht ausreichend. Aber es gibt andere gefährliche Orte in Schulen.
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Welche?
Schultoiletten zum Beispiel. Alle kleinen geschlossenen Räume, auch Fahrstühle, sind gefährlich. Denn dort hält sich die Virenlast, sie sammelt sich eben wie Zigarettenrauch und wenn man dort die Maske abnimmt, kann man sich anstecken.
Welche Rolle spielen die Schulbusse?
Was mir in den Bussen nicht gefällt, ist, dass Busfahrer nur hinter einer Scheibe sitzen. Diese Plastikschilde sind aber völlig wirkungslos. Nimmt man das Beispiel des Zigarettenrauchs: Den würde man auch in der letzten Busreihe noch riechen. Leider gibt es immer noch Busfahrer, die keine Masken tragen.
Wo ist die höchste Ansteckungsgefahr?
Ganz klar, wenn das Social Distancing nicht eingehalten wird, bei Partys oder Familienfeiern. Schulen folgen an zweiter Stelle, Ladenlokale oder Kirchen mit ihren hohen Decken beispielsweise sind quasi ohne Ansteckung. Der lange propagierte 1,50 Meter- Abstand ist ziemlich bedeutungslos, um eine Ansteckung zu vermeiden, Masken sind deutlich wirkungsvoller. Der Abstand hilft gegen Ansteckung bei infektiösen Hustepartikeln, nur haben wir gelernt, dass die Superspreader praktisch nie Husten. Es scheint so zu sein, dass wenn sie krank werden die Ansteckung auch verschwindet.
Und wie ordnen Sie die Ansteckung durch kleine Kinder ein, die selbst nicht krank werden.
Die gibt es, aber die Ansteckung bei Familienfeiern in geschlossenen Räumen ist 20- bis 50-mal höher, nur um ein Verständnis für die Größenverhältnisse zu bekommen.
Sie fordern jetzt Öffnung mit Blick auf die kleinen Cluster. Das heißt?
Es nutzt nichts, Maßnahmen für große Einheiten von oben festzulegen. Das tragen die Menschen auf Dauer nicht mit. Ich bin für Öffnungen. Gibt es einen konkreten regionalen Ausbruch, muss gegengesteuert werden, solange aber kann man großzügig sein. Angezeigt wird das durch ein Ampelsystem. Grün - es ist alles erlaubt, Gelb - es wird verstärkt kontrolliert, Rot - restriktive Maßnahmen müssen ergriffen werden.
Aber dann wird es doch eine Art Corona-Reise-Tätigkeit geben. Im HSK ist Einkaufen verboten, dann fahren wir halt alle in den Kreis Soest.
Die Cluster müssen noch kleiner sein, wirklich lokal. Es macht doch keinen Sinn, wenn es einen Corona-Ausbruch wie zuletzt in der Dialyse des Klinikums in Arnsberg gibt, dass dann die Geschäfte in Schmallenberg schließen müssen. Das hätte auch einen weiteren positiven Aspekt, der wissenschaftlich belegt ist: Ein Ausbruch in meinem Umfeld führt ganz automatisch dazu, dass die Gruppe reagiert und das Social Distancing einhält. Plötzlich trägt man auch die Masken ungleich sorgfältiger und trennt sich vielleicht sogar von seiner ziemlich unwirksamen einfachen Baumwollmaske.
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Und die Impfungen?
Es ist wichtig, dass sich so viele wie möglich impfen lassen. Und wenn alle ein Impfangebot bekommen haben, dann kann man meiner Meinung nach auch über Vorteile für Geimpfte nachdenken, wie es jetzt Israel vormacht.
Wenn man alles laufen lässt, werden die Zahlen aber wieder steigen?
Ja, aber welche Zahlen? Nicht die Zahl der schweren Verläufe. Wir hatten in Deutschland selbst 2020 keine Übersterblichkeit - andere Länder schon. Jetzt steuern wir mit der Impfung weiter dagegen. Und für die schweren Fälle hat Deutschland immer noch genug freie Intensivbetten. Lebensbedrohlich ist vor allem, dass fast überall immer noch viel zu früh intubiert wird. Zahlreiche Intensivärzte sind dadurch leider für viele überflüssige Todesfälle verantwortlich.
Werden wir uns also an das Corona-Virus gewöhnen müssen?
Ja, wir werden wohl damit leben müssen. Wir können die Erkrankung aber durch die Impfung und wenn 60 bis 70 Prozent erkrankt oder geimpft sind, auch durch die Durchseuchung in Schach halten. Am Ende ist es dann ein Leben, wie wir es mit der Grippe seit Jahrzehnten praktizieren.
Zur Person
Professor Dr. Dieter Köhler war von 1986 bis 2013 Ärztlicher Direkter des Fachkrankenhauses Kloster Grafschaft.
Der 72-jährige Mediziner und Diplom-Ingenieur für Nachrichtentechnik war und ist in vielen Bereichen ehrenamtlich engagiert.
Köhler ist verheiratet hat zwei erwachsene Kinder und drei Enkel und lebt mit seiner Frau in Winkhausen.