Schmallenberg/Bestwig/Meschede. Ein Jahr, nachdem wir in Meschede, Bestwig und Schmallenberg Mutmacher gefunden und porträtierten, haben wir gefragt: Wie geht es euch jetzt?
Was ist eigentlich aus unseren Mutmachern geworden, die wir im vergangenen Jahr für unsere Serie vorgestellt haben? Wir haben noch mal nachgefragt. Der Anlass: Mit unserer Serie „Mutmacher“ haben wir den European Newspaper Award gewonnen.
Anja und Dominik Schreivogl, Freienohl
Der eine hat drei Gliedmaßen zu wenig, die andere einen künstlichem Darmausgang. Dominik Schreivogl und seine Frau Anja haben gemeinsam einige Päckchen zu tragen. Doch anstatt sich selbst zu bemitleiden, teilen die beiden ihre Schicksale, um anderen Mut zu machen.
Seit sie im vergangenen Jahr Teil der Mutmacher-Serie dieser Zeitung gewesen sind, hat sich für das Ehepaar aus Freienohl einiges getan. „Es gab auf jeden Fall zwei sehr positive Veränderungen in diesem Jahr“, berichtet Dominik Schreivogl. Seit diesem Sommer besitzt er endlich ein eigenes Auto, das an sein Handicap angepasst wurde. „So umfangreich musste die Umrüstung aber gar nicht sein. Es ist ein Automatikfahrzeug, das ich mit dem rechten Beinen bedienen kann, da habe ich ja noch das Knie“, so Schreivogl, der bei einem Autounfall am 23. März 2011 den rechten Unterschenkel, das linke Bein und die linke Hand verloren hat.
„Am Lenkrad wurde lediglich ein Multifunktions-Knauf angebaut, wo ich zum Beispiel den Blinker oder den Scheibenwischer betätigen kann.“ Am Steuer sitzt übrigens nur Dominik Schreivogel selbst, seine Frau bleibe lieber ihrem Motorroller treu.
Die zweite gute Neuigkeit aus dem Hause Schreivogl ist der Umzug in eine neue Wohnung. Dominik und Anja Schreivogl sind zum 1. Dezember umgezogen und haben jetzt deutlich mehr Platz als vorher: „Wir haben gut 30 Quadratmeter mehr, einen überdachten Balkon, eine Terrasse und einen Garten“, erzählen sie. Da mache den beiden auch der erneute Lockdown nicht allzu viel aus.
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Ohnehin seien sie recht besonnen durch das Corona-Jahr 2020 gegangen: „Als es losging, war ich grad in der Reha und musste lernen, dass ich ein Corona-Risikopatient bin, weil ich nur noch eine Hand habe, mit der ich alles anfasse und mir auch ins Gesicht fasse, wenn es mal an der Nase juckt.“ Doch das größte Risiko liege für Dominik Schreivogl nicht in der gesunden Hand als vermeintliche Virenschleuder: Viel schlimmer sei die Tatsache, dass man immer und überall seine Hände desinfizieren muss: „Kommt Flüssigkeit an die Handprothese gibt es sofort einen Kurzschluss“, sagt er und nimmt sich dabei - wie so oft - selbst nicht so ernst.
Andreas Thielemeier, Schmallenberg
Andreas Thielemeier ist nicht ganz sicher, welches für ihn das schlimmere Jahr war: Das Corona-Jahr 2020 oder das letzte Jahr als Hertie-Manager in Meschede. In der Mutmacher-Folge über den Unternehmer aus Schmallenberg ging es unter anderem darum, wie er sich nach der Hertie-Insolvenz als Unternehmer wieder zurück in die Erfolgsspur gekämpft hat. Heute ist er Manager diverser Einkaufszentren in Deutschland und ständig unterwegs. Wären da nicht die Corona-Pandemie und der zweite Lockdown.
„Es ist natürlich klar, dass die Corona-Krise aufgrund der vielen Erkrankten und Toten deutlich schlimmer einzuordnen ist als die Hertie-Insolvenz damals“, stellt Thielemeier klar. Wirtschaftlich betrachtet, würden sich aber die beiden Jahre um den ersten Platz seines persönlichen Krisen-Rankings streiten. „Letztlich muss ich sagen, dass das Hertie-Insolvenzjahr für mich persönlich schlimmer war. Ich hatte ja auch noch weitere Filialen zu leiten und insgesamt 250 Mitarbeiter zu betreuen, die damals hauptsächlich in die Arbeitslosigkeit gerutscht sind“, erinnert er sich an die dunkelsten Stunden seiner Karriere.
Auch er selbst ist nach der Insolvenz sechs Monate lang arbeitslos gewesen, ordnet sein eigenes Schicksal damals aber klar den Sorgen und Nöten seiner Mitarbeiter unter. „Ich hatte eine komfortablere Ausgangslage, um ein paar Monate Arbeitslosigkeit zu überbrücken“, so der Unternehmer.
Aktuell sei er vor allem in Sorge um die vielen Einzelhändler, die er betreut. „Die haben die besten Tage des Weihnachtsgeschäfts verpasst. Aber Corona ist nun einmal da, und es muss jetzt eben so sein.“ Das Jahr sei ohnehin nicht besonders gut gelaufen, auch vor dem Lockdown habe er 20 bis 30 Prozent weniger Frequenz in den Einkaufszentren gezählt. „Ich bin aber zuversichtlich, dass wir zum 2. Quartal langsam wieder in eine Normalität zurückkehren können.“ Bis dahin wird Andreas Thielemeier, der sonst sehr viel Zeit auf den deutschen Autobahnen verbringt, von seinem Homeoffice in Schmallenberg aus arbeiten.
Schwester Theresita Maria, Bestwig
22 trauernde Menschen haben Schwester Theresita Maria Müller aus dem Bergkloster Bestwig damals ihre Geschichte erzählt: Es waren Gespräche, die von tiefer Trauer und Sprachlosigkeit zeugen, von Überlebensstrategien, vom Glauben an einen Gott, der auch im tiefsten Dunkel an unserer Seite bleibt – und von neuem Mut, das Leben nach dem Tod eines geliebten Menschen wieder in die eigenen Hände zu nehmen. Herausgekommen war ein Büchlein mit dem Titel „Wie den Tod eines anderen überstehen?“ - 60 Seiten, die betroffen, vor allem aber auch Mut machen.
Inzwischen hat sie als theologische Redakteurin des Bonifatiuswerks ein weiteres Buch veröffentlicht. Es trägt den Titel „Was lässt mich hoffen?“ und ist kürzlich erschienen. Auch dafür hat Schwester Theresita Maria Müller wieder mit den unterschiedlichsten Menschen gesprochen - unter anderem mit einem Inhaftierten der JVA Köln, mit einem Obdachlosen, einem Gehörlosen, eine Leukämiekranken und mit einem Kfz-Mechaniker aus Ludwigshafen, der gleichzeitig als König über 200.000 Menschen in Ghana herrscht.
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„Sie alle sind Hoffnungsträger deren Geschichten erneut Mut machen, die Hoffnung nicht aufzugeben“, sagt die Ordensschwester, für die ein neuer Lebensabschnitt begonnen hat. „In dem bin ich fröhliche und aktive Rentnerin“, sagt sie. Als „Healing Musician“ wird sie bald Menschen auf Palliativstationen, in Hospizen und in Krankenhäusern mit einer Therapieharfe besuchen. Die geheimnisvollen Schwingungen des Harfenklangs werden eingesetzt, um Patienten zu beruhigen oder Blockaden zu lösen. Sobald die Corona-Situation es zulasse, wolle sie sich voll und ganz ihrer neuen Aufgabe widmen.
Martina van Haften-Riedel, Meschede
Als Robin zur Welt kommt, ist seine Speiseröhre nicht mit Mund und Magen verbunden: Ösophagusatresie. Andere Babys sterben an der Krankheit, wenn sie nicht sofort erkannt wird. Robin wird operiert, doch noch heute fällt ihm das Atmen schwer. „Es gibt immer wieder Höhen und Tiefen“, sagt Mutter Martina van Haften-Riedel: „Die Therapien klappen gut, aber das Ultimative ist es noch nicht, wir kommen an unsere Grenzen.“
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Aufgrund der Pandemie müsse die Atemtherapie beispielsweise per Video-Konferenz stattfinden, auch im Kindergarten war Robin seit November nicht mehr: „Das fehlt ihm sehr und ist eine schwierige Situation.“ Aber van Haften-Riedel will den Vierjährigen schützen, sorgt sich um eine mögliche Ansteckung: „Es ist keine einfache Zeit.“ Immerhin können die beiden an einer neuen Sprachtherapie teilnehmen, auch Familienzuwachs hat es gegeben, den Australian-Sheppard Balu. „Das ist für Robin total toll, er liebt ihn. Wir hatten am Anfang über einen Therapiehund nachgedacht, aber als wir gesehen haben, was das kostet, mussten wir wieder Abstand davon nehmen.“
Martina van Haften-Riedel klagt nicht, nicht in der Mutmacher-Geschichte 2019 und nicht jetzt. : „Klar ist es schwierig, die anderen Kinder sitzen auch im Homeschooling, aber da müssen wir einfach durch. Es wird auch eine Zeit nach Corona geben, wo vieles wieder einfacher wird.“ Besonderen Dank will sie auch dem Lächelwerk aussprechen, das die Familie weiter mit Rat und Tat unterstützt.
Martin Hengesbach, Meschede
Im November 2019 war Martin Hengesbach ein echter Mutmacher. Mehr als 30 Kilo hatte er abgenommen. Seitdem ist viel passiert. Der Ernährungscoach hat beispielsweise mit einem Spendenmarathon 10.000 Euro für ein schwerkrankes Mädchen aus Schwerin erlaufen. Dabei lief er 180 km von Oberstdorf nach Meran. 8800 Meter Höhenunterschied waren in drei Tagen dabei zu überwinden. Auch ein Innenmeniskusriss unterwegs war kein Grund aufzugeben.
Nur eine Thrombose nach der OP macht ihm jetzt noch zu schaffen. Der LOGI-Coach und Ernährungsberater der DGE (Deutsche Gesellschaft für Ernährung) hält auch während der Pandemie online-Seminare zum Thema gesunde Ernährung. „Ich habe ausreichend zu tun“, sagt er. Nach seiner Operation und während Corona habe er zwar vier Kilo zugenommen, aber das sei kein Problem. „Die werde ich auch wieder los.“
>>>HINTERGRUND
Mit unserer Serie „Mutmacher“ haben wir den European Newspaper Award gewonnen.
Dieser gilt als der größte europäische Zeitungs-Wettbewerb.
Der Zeitungsdesigner Norbert Küpper gründete 1999 den Wettbewerb und veranstaltet ihn auch.
Eine internationale Jury sichtete in 20 unterschiedlichen Kategorien 4000 Einreichungen von 184 Zeitungen aus 25 Ländern.
Die Serie „Mutmacher. Menschen, die niemals aufgeben“ gewann in der Kategorie „Innovation Print“ einen Award.
Die „Mutmacher“-Serie bestand aus 55 Porträts über Menschen aus der Region mit außergewöhnlichen Lebensgeschichten.
Die Auszeichnung ist für die WP die dritte in Serie beim jährlich vergebenen Zeitungsaward.
2018 erhielt die multimediale Aufbereitung zum „Tag der Arbeit“ einen Preis, im Jahr danach war es die Nachhaltigkeitsserie „Bin eben kurz die Welt retten“, ebenfalls ein Zusammenspiel zwischen Titel- und Lokalredaktionen.
Unsere Reportagen mit allen Mutmachern aus der Region finden Sie gebündelt im Internet auf mutmacher-serie