Bad Fredeburg. Die Krise erzeuge Stress und Angst. Das sei gefährlich. Dieter Geyer von den Johannesbad Fachkliniken über die psychischen Folgen der Pandemie.

Frust, Angst und Unsicherheit. Die Corona-Krise habe nicht nur wirtschaftliche Folgen, sondern für viele Menschen auch gesundheitliche Folgen, sagt Dr. Dieter Geyer, ärztlicher Direktor der Johannesbad Fachkliniken Holthauser Mühle und Fredeburg in Bad Fredeburg. Und damit meint er gar nicht die Konsequenzen einer Infektion mit dem Covid-Virus: „Die Krise sorgt für eine Zunahme von körperlichen und psychischen Krankheiten.“

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Es sei eine Frage danach, wie Menschen mit Krisen und Notsituationen umgehen, so Geyer: „In der Akutphase sind sie meistens relativ stabil. Merken sie aber, dass die Krise zu einem Dauerzustand wird, dann werden der Widerstand gegenüber der Situation und das Durchhaltevermögen schwächer.“ Dann gehe es um allgemeine Ängste und die Unsicherheit, was momentan passiere und wie es weitergeht, um gesundheitliche Folgen, die wirtschaftliche Situation, die Karriere, die Lage der Familie - „Oder ganz einfach, ob ich überhaupt mein Haus noch abbezahlen kann.“

Stress macht auf Dauer krank

Diese psychischen Belastungen führen zu Stress. Denn Stress bedeute, so Geyer, dass man vor einer Herausforderung stehe, bei der man sich unsicher sei, ob und wie man sie bewältigen könne. Und Stress könne auf Dauer krank machen - körperlich wie auch psychisch. „Und wer Stress bewältigen will, aus der Situation flüchten will, sich beruhigen will, der greift vielleicht auch zu Mitteln wie Alkohol oder anderen Drogen.“

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Gerade jetzt in der zweiten Corona-Welle werde deutlich, dass für viele Menschen der Kontrollverlust und die Einschränkung der persönlichen Freiheit zur Schwierigkeit werden: „Viele haben während bzw. nach dem ersten Lockdown gehofft, dass sie es damit jetzt hinter sich haben. Jetzt, mit der Wiederholung, kommt eine noch größere Belastung, weil es auch eine Enttäuschung ist.“

Depressionen, Reizbarkeit und Aggressivität sind die Folgen

Jetzt, mit einem zweiten „Lockdown light“, komme der Stress wieder auf. Weil unsicher sei, was noch passiere, wie lange es noch so weiter geht und was danach passiere. Psychische Folgen können Depressionen, Reizbarkeit und Aggressivität sein. „Und Suchtmittelkonsum wirkt stresslösend, das ist weit verbreitet und bekannt. Das tut er auch beim ersten Mal, aber auf Dauer hat er genau die gegenteilige Wirkung.“

Es gebe bereits erste wissenschaftliche Untersuchung zum Lockdown im Frühjahr, die zeigen: Insgesamt wurde weniger Alkohol konsumiert, weil Kneipen und Restaurants geschlossen hatten. Dafür nahm der häusliche Konsum aber zu und das insbesondere bei denen, die sowieso schon verstärkt Alkohol konsumierten. Und die Gefahr drohe auch jetzt wieder. Denn, so Geyer: „30 Prozent der Bevölkerung, vor allem der männlichen Bevölkerung, konsumieren Alkohol riskant.“ Und wer noch nicht abhängig sei, der könne aufgrund der psychischen Belastung jetzt in eine Abhängigkeit rutschen: „Ja, wir müssen davon ausgehen, dass es in der kommenden Zeit mehr psychische Störungen und Erkrankungen und damit auch ein erhöhtes Risiko an Suchterkrankungen geben wird.“

Hilfe im tristen Corona-Alltag

Was kann man also tun, um im tristen Corona-Alltag nicht in eine Depression oder eine Sucht zu rutschen? „In erster Linie geht es um Achtsamkeit. Man muss zu sich ehrlich sein. Man darf sich vor Problemen und Sorgen nicht wegducken, darf nicht sagen, dass es einem nichts antut. Man muss sich zugestehen, dass es einen belastet.“ Und dann, so Geyer, sei wichtig sich zu fragen: Was macht mir Spaß?

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Natürlich sei das Angebot aufgrund der Corona-Einschränkungen begrenzt: „Aber man kann in unserer Region herrlich an der frischen Luft sein, ohne vielen Menschen zu begegnen.“ Gut und aufwendig mit der Familie kochen oder einfach die Lieblings-CD anhören: „Dann tanzt man eben mal im Wohnzimmer. Aber man muss sich etwas Gutes tun und darf nicht nur auf die Probleme achten.“

Social-Distancing ist der falsche Begriff

Das im ersten Lockdown propagierte Social-Distancing sei der falsche Begriff, so Geyer: „Sozial soll man sich nicht distanzieren, sondern physisch. Telefonate mit der Familie, Videokonferenzen mit Freunden, alles das ist wichtig für sich und für alle. Der Mensch ist ein soziales Wesen.“

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Man müsse sich klar machen, dass man das Virus nicht ändern kann: „Man muss Vertrauen in die Menschen haben, die sich damit auskennen, solidarisch sein und lernen, damit zu leben. Man muss die Situation akzeptieren.“ Das bedeute auch, für den Nachbar dazusein, bekannte Alleinstehende anzurufen oder sich auf den benachbarten Balkonen zu treffen.

Dass auch manche Therapie- und Selbsthilfegruppen nun unter den neuen Corona-Bedingungen nicht mehr stattfinden können, trage zur Schwierigkeit der Situation bei - „aber die Gruppen sind, was Online-Meetings angeht zum Beispiel, schon sehr gut organisiert. Wir sind jetzt besser vorbereitet als im Frühjahr.“ In der Klinik gebe es ein aufwendiges Hygienekonzept, eine Eingangsquarantäne, Antigen-Schnelltests und im Bedarfsfall eine sofortige Isolierung: „Aber Suchtkranke sind zuhause nicht gut aufgehoben. Es ist sehr aufwendig, sehr teuer, aber auch sehr wichtig, dass wir weitermachen.“

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