Grafschaft. Als Grafschaft 1965 als Bundesgolddorf ausgezeichnet wurde, hatte das eine Signalwirkung für den Tourismus im gesamten Schmallenberger Sauerland.

Damit gerechnet? „Nein, damit gerechnet hatte niemand“, sagt Bruno Beste, heute Vorsitzender des Verkehrsvereins in Grafschaft. In diesem Jahr wiederholt sich die Prämierung Grafschafts als Bundesgolddorf zum 55. Mal. Eine der größten und auch wichtigsten Auszeichnungen der vergangenen Jahrzehnte für den Ort im Schatten des Wilzenberges. Eine Auszeichnung mit Signalwirkung für das gesamte Schmallenberger Sauerland. Teil eins unserer Serie „Unser Dorf im Schmallenberger Sauerland“.

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„Im Grunde beginnt die Geschichte am 1. Dezember 1960“, erklärt Bruno Beste. Mit dem Gründungstag des Grafschafter Verkehrsvereins. Denn die Zahl der Gäste in Grafschaft sei zu der Zeit erheblich gewesen. Im Kloster Grafschaft waren hunderte Staub-Lungenkranke, in erster Linie aus dem Ruhrgebiet, untergebracht - und das sechs bis sieben Wochen lang. Und wenn am Wochenende Besuch kam, musste dieser untergebracht werden: „Also hatte nahezu jeder in Grafschaft, der ein Zimmer oder eine Wohnung leer stehen hatte, eine Pension eröffnet.“ Gegründet wurde der Verkehrsverein auch auf Initiative des damaligen Schmallenberger Verkehrsamtsleiters Leo Bittner. 23 Personen kamen zur Gründungsversammlung ins Café Vollmers.

Herbert Beste wird 1963 Vorsitzender des Verkehrsvereins

1963 übernimmt Herbert Beste, Vater von Bruno Beste, den Posten als erster Vorsitzender des Verkehrsvereins. Bürgermeister Paul Kloidt wird zweiter Vorsitzender, Beisitzer werden Georg Müller, Heinrich Weber, Josef Hoffmann und Anton Dohle. Man sieht nicht nur die Erstellung eines Unterkunftsverzeichnisses und die Errichtung einer Vermittlungs- und Auskunftsstelle im Lebensmittelgeschäft Willmes als Aufgabe, sondern ebenso das Vorantreiben zahlreicher Dorfverschönerungsmaßnahmen. Im gleichen Jahr nimmt Grafschaft erstmals am Wettbewerb „Unser Dorf soll schöner werden“ teil. Das Ergebnis: Grafschaft ist drittschönstes Dorf Westfalens. Schon jetzt steigen die Gästezahlen, allein in 1963 sind es in 34 Betrieben rund 20.000 Übernachtungen.

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„Und das Ergebnis war für alle Beteiligten Ansporn genug, in zwei Jahren erneut am Wettbewerb teilzunehmen. Man hatte ja nichts zu verlieren“, erklärt Beste. 1965 dann also auf ein Neues. Bruno Beste, damals elf Jahre alt, erinnert sich, wie das ganze Dorf „auf Vordermann“ gebracht wurde. Und das nicht erst kurz vor dem Besuch der Kommission, sondern Wochen und Monate vorher: „Die Häuser und das Fachwerk wurden herausgeputzt, Vorgärten zurecht gemacht und überall Blumenschmuck angebracht.“

Erster Ort im Hochsauerland

Platz eins auf Kreisebene, Platz eins auf Landesebene und Platz eins auf Bundesebene: Grafschaft wird als erster Ort im Hochsauerland Bundesgolddorf. „Dabei hat es an dem Tag fürchterlich geschüttet“, so Beste: „Und ich weiß noch genau, wie am Morgen des Besuchs der Bundeskommission ein Bauer sein Vieh durch den Ort trieb und eine Kuh ihr Geschäft mitten auf der Straße verrichtete. Der Bauer versuchte, den Mist wegzumachen, doch eins der Jurymitglieder hatte das gesehen und rief: Lassen sie es ruhig liegen, das gehört zum Dorf.“

Heinrich Lübke (rechts) gratulierte persönliche der Grafschafter Abordnung zur Auszeichnung als Bundesgolddorf.    
Heinrich Lübke (rechts) gratulierte persönliche der Grafschafter Abordnung zur Auszeichnung als Bundesgolddorf.     © Archiv Grafschaft

Überreicht wird die Bundesgolddorf-Plakette in Bad Godesborg, auch Bundespräsident Heinrich Lübke gratulierte. Bruno Beste erzählt: „Eigentlich war zu dem Empfang nur der Bürgermeister Paul Kloidt eingeladen.“ Doch Bestes Vater Herbert und Paul Vollmert reisen mit und geben sich vor Ort als Redakteure der Westfalenpost aus. Man glaubte ihnen, sie durften mit zum Empfang und Bundespräsident Lübke kennenlernen. „Der Erfolg war vollkommen unerwartet. Damals trank man keinen Sekt, dafür knallten in der Schützenhalle sozusagen die Bierkorken. Alle feierten zusammen.“

Wenig später wird im Kloster Grafschaft eine Bäderanlage und ein großer Park errichtet, im Wiesental, am Wilzenberg und vor Schanze entstehen Wassertretbecken. 1974 wird Grafschaft staatlich anerkannter Luftkurort, 2002 heilklimatischer Kurort. Beste: „Das war schon etwas besonderes, plötzlich Bundesgolddorf zu sein. Aber auch der SGV, mit dem der Verkehrsverein eng zusammenarbeitet, hatte großen Anteil an dem Erfolg.“

Übernachtungszahlen steigen

Die Übernachtungszahlen stiegen weiter, nun kamen auch immer mehr Tagestouristen, Wanderer und Naturfreunde nach Grafschaft: „Durch unseren Erfolg haben wir auch viele andere Dörfer hier angespornt.“ Nur zwei Jahren später, 1967, wird Oberkirchen ebenfalls Bundesgolddorf. Heute sind es in Schmallenberg insgesamt neun: Neben Grafschaft und Oberkirchen auch Fleckenberg, Holthausen, Westfeld, Latrop, Niedersorpe, Oberhenneborn und Kirchrarbach.

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Solch ein Titel als Bundesgolddorf mache schon etwas her, sagt Beste. Nach dem Bundestitel habe man am Wettbewerb aber nicht mehr teilgenommen - trotzdem habe sich im Ort viel getan. 1984 lag die Zahl der Übernachtungen bei 89.000. Inzwischen heißt der Wettbewerb „Unser Dorf hat Zukunft“ - „dabei geht es auch um ganz andere Kriterien“: Neben der Schönheit des Dorfes auch um weltliche Aspekte, um Infrastruktur, Vereinsleben, Grundversorgung und die Verkehrsanbindung.

Die Natur vor der Haustür

Doch der Titel als Bundesgolddorf bleibt: „Das wäre alles ohne ein solch intaktes Vereinsleben nicht möglich gewesen.“ Da habe jeder mitgeholfen, jeder habe sich für „sein“ Grafschaft eingesetzt, sagt Beste. Noch heute habe Grafschaft viele Gäste, auch wenn der Titel nicht mehr die Masse an Gästen locke wie noch vor 50 Jahren: „Aber Grafschaft bleibt Anziehungspunkt. Mit gesunder Luft, toller Natur und dem Wilzenberg. Hier hat man die Natur immer noch direkt vor der Tür.“

Drei Fragen an Bruno Beste

Warum leben Sie so gerne in Grafschaft?

Ich bin hier geboren und aufgewachsen. Hier fühle ich mich einfach rund um wohl.

Gibt es einen Lieblingsplatz in Grafschaft?

Unser Hausberg, der Wilzenberg.

Wie kann sich Grafschaft für die Zukunft aufstellen?

Wir müssen die moderne Infrastruktur und Struktur im Ort aufrecht halten. Natürlich spielt auch das Fachkrankenhaus Kloster Grafschaft da eine große Rolle. Aber auch ohne das Ehrenamt geht nichts. Grafschaft muss lebenswert für alle bleiben.

Die Serie „Unser Dorf im Schmallenberger Sauerland“ ist in vier Teile aufgeteilt:

Teil 1: Grafschaft: Das erste Bundesgolddorf

Teil 2: 100 Jahre Fleckenberger Einheit

Teil 3: Ein Dorf, ein Haus, eine Familie: Hiege

Teil 4: Junges Wohnen: Leben in Lenne