Meschede. Das Team der Schuldnerberatung in Meschede spricht im Interview darüber, wie Menschen in finanzielle Schieflage geraten und ihre Hilfsangebote.

Zehn Prozent der volljährigen Deutschen gelten als überschuldet. Sie können ihren Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen. Strom, Gas, Wasser, Miete, Kreditverträge und offene Rechnungen zusammengerechnet sind höher als das monatliche Einkommen. Die derzeitige Situation in der Corona-Pandemie verschärft die finanzielle Lage der Betroffenen noch einmal mehr und betrifft alle sozialen Schichten. Überschuldung zeigt sich in jedem Fall als „massiver Einschnitt in das normale Leben“ und führt die Betroffenen oft genug in eine „Schockstarre“.

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Seit Mitte der 80er Jahre bietet die Diakonie Ruhr-Hellweg kostenfreie Schuldnerberatung an. In der Schuldnerberatungsstelle in Meschede arbeitet das Team um Stefanie Gernhold, Simone Einhäuser und Maria Mettbach und hilft Ratsuchenden aus der Schuldenfalle. „Wir gehen mit“, unter diesem Motto arbeitet die Diakonie. Für die Schuldnerberatung bedeutet das: Sie berät die Ratsuchenden bedürfnisorientiert. „Wir begleiten, zeigen Wege aus der Verschuldung auf und unterstützen die Betroffenen, darin zu agieren, aktiv zu werden und nicht mehr nur zu reagieren. Entscheiden müssen sie aber selbst“, sagt Stefanie Gernhold.

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Wie muss man sich eine solche Beratung vorstellen?

Stefanie Gernhold: Unser Team arbeitet bedarfsorientiert, es gibt keine Patentvorlage, sondern immer nur individuelle Lösungen. Wir beginnen niederschwellig und gehen individuell auf die Ratsuchenden ein. Zunächst müssen die Unterlagen geordnet werden, um einen konkreten Überblick über die finanzielle Situation zu bekommen. Erst dann ist es sinnvoll, nach einem Weg zu suchen, den Haushalt zu stabilisieren, die Ausgaben zu verringern bzw. die Einnahmen zu erhöhen. Das hört sich einfach an, ist aber in den meisten Fällen etwas völlig Ungewohntes für die Ratsuchenden und führt z.T. erstmals direkt vor Augen, wie defizitär das Monatsbudget ist.

Simone Einhäuser: Wir suchen gemeinsam nach Lösungen, erarbeiten Zahlungspläne oder stellen mit den Ratsuchenden einen Verbraucherinsolvenzantrag. Wir zahlen keine Gelder aus und übernehmen auch keine Schulden.

Maria Mettbach: Unsere Schuldnerberatung ist für die Ratsuchenden kostenfrei. Finanziert wird unsere Arbeit durch die öffentliche Hand und die evangelische Kirche. Wir haben ein offenes Ohr für die Sorgen aller Ratsuchenden und holen sie da ab, wo sie stehen.

Welche Qualifizierung sollte man mitbringen, um Schuldnerberater/in zu werden?

Stefanie Gernhold: Ein Studium im sozialen oder sozialpädagogischen Bereich ist eine gute Grundlage. Aber auch Betriebswirte, Bankfachleute und Juristen werden gebraucht. Sie alle müssen sich für die Schuldnerberatung qualifizieren und weiterbilden. Grundvoraussetzung ist es, ein positives Menschenbild zu haben. Für mich heißt das: Menschen zu mögen und gern mit ihnen zu arbeiten. Wir denken und handeln wertfrei. Unsere Zielsetzung ist es, die Handlungskompetenz der ver- bzw. überschuldeten Ratsuchenden nachhaltig zu stärken, um Selbstbestimmung und gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen.

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Welche Gründe sind maßgeblich für eine Überschuldung?

Simone Einhäuser: Hauptursächliche Überschuldungsgründe sind Arbeitslosigkeit, dauerhafte Niedriglohnbeschäftigung, Scheidung oder Trennung, Erkrankungen, Kreditverpflichtungen sowie mangelnde Finanzkompetenz der Betroffenen. Der soziale Druck nimmt zu. Die verunsichernde Diskrepanz zwischen gewünschter Teilhabe und erlebter Ausgrenzung führt immer häufiger zum Scheitern der finanziellen Lebensplanung. Produkte wie das neueste Handy oder angesagte Kleidung und Urlaub werden als immer notwendiger angesehen, da der Besitz dieser Statussymbole das Gefühl von Zugehörigkeit gibt und Armut und Ausgrenzung erträglicher werden.

Kann man das Übel an der Wurzel fassen?

Stefanie Gernhold: Prävention fängt zuhause und im täglichen sozialen Umfeld an. Über Geld spricht man. Fragen wie: „Was kostet das Leben? Wie viel Geld steht mir und meiner Familie zur Verfügung? Wofür wird es ausgegeben?“ sollten tabulos zum Alltag gehören. Da ist Luft nach oben. Wir wünschen uns, dass diese Thematik auch in den Schulen aufgegriffen wird. Wer nicht als Kind oder Heranwachsender den richtigen Umgang mit Geld lernt, hat es als Erwachsener schwer.

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Gibt es etwas, das Sie den Mescheder Bürgern mit auf den Weg geben möchten?

Stefanie Gernhold: Überwinden Sie die Schwellenangst. Fragen Sie bei uns an, wenn Sie in finanziellen Dingen Unterstützung benötigen. Wir arbeiten streng vertraulich und unterliegen der Schweigepflicht. Wir belehren nicht, sondern begleiten. Uns ist bewusst, dass der erste Schritt zu uns sehr belastend und schwierig sein kann und freuen uns umso mehr, wenn wir am Ende der gemeinsamen Entschuldungsbemühungen ein „Hätte ich das doch nur vorher gewusst…“ hören.