Meschede. Eine 17-Jährige stirbt 1970 beim Ausbruch der Pocken in Meschede – es ist ein besonders tragischer Fall. Sie wollte Ordensschwester werden.

An Weihnachten sieht Barbara Berndt ihre Eltern zum letzten Mal. Fünf Wochen später ist sie tot. Die 17-Jährige ist 1970 das einzige Todesopfer beim Pocken-Ausbruch, das keine anderen Erkrankungen hatte. Es ist ein besonders tragischer Fall: Die junge Frau tritt erst am 1. Januar, kurz vor den Pocken, in die Schwesternschule am St.-Walburga-Krankenhaus in Meschede ein.

Junge Frau will Orden beitreten

Barbara Berndt besucht zunächst eine Schwesternhelferinnenschule in Duisburg, arbeitet dann in der Küche des St.-Barbara-Hospitals. Sie soll Beat-Musik geliebt haben. 1969 konvertiert sie zum katholischen Glauben: Ihren Eltern in Duisburg-Hamborn erzählt sie an Weihnachten noch, dass sie Ordensschwester werden möchte. Dann zieht sie nach Meschede in die Schwesternschule.

Viren auf dem Luftweg

Die Pocken brechen aus. Barbara Berndt betritt die Isolierstation gar nicht, in der Bernd K. liegt, der die Pocken nach Meschede einschleppte. Sie arbeitet in der Männerstation im zweiten Stock darüber. Später wird bekannt: Die Pocken-Viren verbreiteten sich über den Luftweg hinauf.

Barbara Berndt stirbt 1970 an den Pocken. Erst kurz vor dem Ausbruch ist sie Schwesternschülerin im St.-Walburga-Krankenhaus geworden.
Barbara Berndt stirbt 1970 an den Pocken. Erst kurz vor dem Ausbruch ist sie Schwesternschülerin im St.-Walburga-Krankenhaus geworden. © Archiv

Bislang ist sie nicht gegen Pocken geimpft gewesen, das wird am 17. Januar nachgeholt. Zu spät. Bei bereits Geimpften kann innerhalb weniger Tage der Impfschutz angehoben werden. Bei Ungeimpften dagegen muss ein Schutz überhaupt erst aufgebaut werden: Dafür braucht es aber acht Tage. Bei Ungeimpften gibt es nur noch eine Schutzwirkung, wenn innerhalb der ersten drei Tage nach der Infektion geimpft wird. Bei Barbara Berndt kommt die Impfung damit zu spät. Sie erkrankt, am 27. Januar wird sie nach Wimbern verlegt. Dort stirbt sie am 29. Januar an den Pocken. Der damalige Oberkreisdirektor Klaus Siebenkotten sagt: „Dieser erste Todesfall, der emotional zudem mit dem „Unschuldigsein“, dem „Das konnte oder kann jeden treffen“, befrachtet war, führte zu einer Welle angstvoller Erregung.“

Auch der Pater erkrankt

Dies sind die Pocken-Erkrankten im Einzelnen:

(†) 1. Barbara Berndt wird in der Statistik von den Behörden als „Fall 2“ geführt (Fall 1 ist Bernd K., der die Pocken einschleppte). Sie stirbt. Status: Erst beim Ausbruch gegen die Pocken geimpft.

2. Pater Kunibert Mönig von der Abtei Königsmünster ist einer von zwei Hausgeistlichen des St.-Walburga-Krankenhauses. Der 57-Jährige teilt am 12., 13. und 14. Januar auf der Isolierstation die Kommunion an jene Patienten aus, die sie ausdrücklich wünschten. Er betritt zwar nicht das Zimmer von Bernd K., schaut aber kurz hinein. Er erkrankt am 22. Januar in der Quarantäne im „Haus Dortmund“. Am 26. Januar wird er nach Wimbern verlegt. Seine Erkrankung verläuft unter dem Bild einer leichten Pockenerkrankung. Status: In seiner Jugend gegen Pocken geimpft.

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3. Ein 21-Jähriger: Er wird am 14. Januar aus einer Station entlassen, die über der Isolierstation liegt. Er wird am 17. Januar erneut geimpft, es entwickelt sich eine kräftige Pustelreaktion. Am 22. Januar erkrankt er in der Hausquarantäne an hohem, zwei Tage anhaltendem Fieber sowie starken Kreuz- und Kopfschmerzen. Er wird nach Wimbern verlegt. Status: Als Kind gegen Pocken geimpft.

Viele andere Leiden

4. Ralitsa Liapi: Das 5 Jahre alte Mädchen hat eine schwere Meningokokken-Meningitis durchgemacht und liegt in der Rekonvaleszenz auf der Isolierstation im Rochus-Haus – in einem Zimmer schräg gegenüber von Bernd K. Wegen seines Grundleidens kann es nicht mit dem Lebendimpfstoff behandelt werden.

„Ihr blühender Idealismus für den pflegerischen Beruf wurde jäh unterbrochen“: So verabschiedet sich das Personal des Krankenhauses von Barbara Berndt.
„Ihr blühender Idealismus für den pflegerischen Beruf wurde jäh unterbrochen“: So verabschiedet sich das Personal des Krankenhauses von Barbara Berndt. © Jürgen Kortmann

Sie wird am 26. Januar nach Wimbern verlegt und entwickelt das Bild der echten Pocken. Am 28. März wird sie als geheilt aus der Isolierung entlassen. Status: Als Kind gegen Pocken nicht geimpft.

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5. Ein 42-Jähriger: Er ist Schwiegersohn der Patientin 6, die auf der Isolierstation in einem Zimmer neben dem von Bernd K. liegt. Er spricht am 13. Januar im Besuchszimmer der Isolierstation mit dem Stationsarzt, um sich nach seiner Schwiegermutter zu erkundigen – will aber die Station nicht betreten haben. Er erkrankt elf Tage später an Fieber. Am 30. Januar wird er mit Pockenverdacht nach Wimbern eingeliefert. Status: Unbekannt.

6. Eine 69-Jährige: Sie leidet an einer Gelbsucht wegen einer Gallenerkrankung, klagt nach dem Pockenausbruch über Kopfschmerzen und Erbrechen. Der Pockenverdacht bestätigt sich. Sie ist die Schwiegermutter von Nr. 5. Status: Als Kind gegen Pocken geimpft.

7. Magdalena Drinhaus: Die 21-Jährige ist Schwesternschülerin im St.-Walburga-Krankenhaus und arbeitet im ersten Stock des Rochus-Hauses. Sie hat die Isolierstation nie betreten. Sie wird am 16. Januar geimpft, erkrankt mit Fieber, im Rachen bilden sich Bläschen. Die Frau wird nach Wimbern verlegt. Sie zeigt das Krankheitsbild einer schweren Pocken-Erkrankung. Status: Als Kind nicht gegen Pocken geimpft.

8. Eine 50-Jährige: Sie ist am 14. Januar nach einer chronischen Lebererkrankung von der Isolierstation entlassen worden. Sie wird am 19. Januar geimpft, erkrankt eine Woche später mit Fieber und wird nach Wimbern verlegt. Der Pockenverdacht bestätigt sich. Status: Als Kind gegen Pocken geimpft.

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9. Ein 56-Jähriger: Er liegt wegen einer Lungenentzündung im 1. Stock des Rochus-Hauses, Zimmer 254. Er erkrankt mit Fieber, Pockenviren können nachgewiesen werden. Er wird nach Wimbern verlegt. Status: Als Jugendlicher gegen Pocken geimpft.

(†) 10. Ein 79-Jähriger: Er liegt mit einer schweren Herzinsuffizienz, Bluthochdruck und Zerebralsklerose im 1. Stock des Rochushauses, Zimmer 255. Er kann wegen der Grunderkrankungen nicht mit Lebendimpfstoff geimpft werden. Er erkrankt an Fieber, der Pockenverdacht bestätigt sich. Er stirbt am 31. Januar in Wimbern – sein Tod wird aber auf die Grunderkrankungen zurückgeführt. Status: Als Kind gegen Pocken geimpft.

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11. Ein 90-Jähriger: Er liegt mit chronischer Hepatitis im 1. Stock des Rochus-Hauses, ebenfalls im Zimmer 255 (wie Nummer 10). Er erkrankt am 28. Januar an Fieber, der Pockenverdacht bestätigt sich, er kommt nach Wimbern. Status: Er will als Kind gegen Pocken geimpft worden sein.

In Hausquarantäne erkrankt

12. Ein 89-Jähriger: Er wird am 16. Januar von der Station im 2. Stock des Rochus-Hauses entlassen. Keine Impfung mit Lebendimpfstoff wegen seines hohen Alters. Er erkrankt am 28. Januar in seiner Hausquarantäne. Der Pockenverdacht bestätigt sich, er kommt nach Wimbern. Status: Als Kind gegen Pocken geimpft.

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13. Ein 59-Jähriger: Wegen einer Herzerkrankung im 2. Stock des Rochus-Hauses, erkrankt mit Fieber, übersteht in Wimbern die Pockenerkrankung. Status: Als Kind gegen Pocken geimpft, 1918 wiedergeimpft.

14. Eine 59-Jährige: Sie ist Stationsschwester im 2. Stock des Rochus-Hauses und versorgt hier auch die Schwesternkrankenstation. Sie erkrankt an Fieber, der Pockenverdacht bestätigt sich. Sie wird nach Wimbern gebracht. Status: Als Kind gegen Pocken geimpft, 1930 wiedergeimpft.

Pocken bei Ordensschwestern

15. Eine 65-jährige Ordensschwester: Sie liegt mit einer chronischen Polyarthritis und einer Tuberkulose in der Krankenstation für Ordensschwestern im 2. Stock des Rochus-Hauses. Auch sie erkrankt an Pocken. Status: Als Kind gegen Pocken geimpft. (†) 16. Eine 81-Jährige Ordensschwester: Sie liegt im gleichen Zimmer wie ihre 65 Jahre alte Mitschwester (15) – und wird wahrscheinlich von ihr infiziert. Sie leidet an Darmkrebs, der nicht operiert werden kann. Die Pockenerkrankung bricht aus. Die Schwester stirbt am 19. Februar in Wimbern an Krebs. Status: Als Kind gegen Pocken geimpft.

17. Ein 73-Jähriger: Er wird im 2. Stock in Zimmer 351 wegen einer Herzerkrankung stationär behandelt. Er erkrankt an Fieber, auch bei ihm bestätigt sich der Pockenverdacht, auch er kommt nach Wimbern. Status: Als Kind gegen Pocken geimpft.

Bettnachbarn stecken sich an

(†) 18. Ein 60-Jähriger: Er wird im 1. Stock des Rochus-Hauses wegen eines Herzleidens und einer allgemeinen Gefäßsklerose behandelt. Erhält den Lebendimpfstoff, allerdings ohne Erfolg. Er bekommt am 31. Januar einen kurzen Fieberschub. Weitere Krankheitserscheinungen werden zunächst nicht bemerkt. Neben der Impfstelle bilden sich Bläschen. Der Pockenverdacht bestätigt sich. Er stirbt am 12. Februar in Wimbern an den Folgen einer doppelseitigen Lungenentzündung. Status: Als Kind gegen Pocken geimpft, 1942 wiedergeimpft.

19. Ein 74-Jähriger: Er hat eine Lungenentzündung als Folge der Grippe – und liegt zusammen mit dem 60-Jährigen (Fall 18) im gleichen Zimmer. Die Pockenerkrankung bestätigt sich. Status: Als Kind gegen Pocken geimpft.