Meschede. Ralitsa Liapi (5) erholt sich von einer Meningitis, als sie sich mit den Pocken infiziert. So geht es dem Mädchen von der Pockenstation heute.

Nach der Zeugnisvergabe am 30. Januar 1970 spielt sich vor dem Walburga-Krankenhaus eine rührende Szene ab: Vor dem Tor des abgeriegelten Krankenhauses steht ein zwölfjähriges Mädchen. Es hält eine Puppe im Arm und erklärt: „Die soll Ralitsa haben.“ Ralitsa ist fünf Jahre alt, das jüngste Opfer der Mescheder Pocken-Epidemie.

Von Hirnhautentzündung geschwächt

Ralitsa Liapi erholt sich im Januar 1970 auf der Isolierstation des Mescheder Krankenhauses von einer schweren Meningokokken-Meningitis. Die junge Griechin liegt im „ehemaligen Badezimmer“, das umfunktionierte Patientenzimmer hat keine eigene Nummer. Der Raum liegt schräg gegenüber von Zimmer 151, in dem Bernd K. behandelt wird. Bei ihm wird am 15. Januar der Pockenverdacht bestätigt. Der 20-Jährige hatte sich in Pakistan mit dem Virus angesteckt.

Die Hirnhautentzündung hat Ralitsa geschwächt. Die Mediziner sehen deshalb von einer Impfung mit Lebendimpfstoff ab. Um die Abwehrkräfte des Mädchens zu stärken, werden hohe Dosen Hyperimmunglobulin, Gammaglobulin und Vaccinia-Antigen verabreicht. Dennoch steigt am 23. Januar die Temperatur, zwei Tage später folgt ein leichter Hautausschlag. Auch hier bestätigt sich der Verdacht: Die Eihautkultur und der elektronenmikroskopische Befund sind positiv – auch Ralitsa hat die Pocken.

Kein Telefonat mit den Eltern

Das Mädchen wird am 26. Januar nach Wimbern verlegt. Glücklicherweise erholt sich die Fünfjährige schnell. Wie alle, bliebt auch sie acht Wochen in der Isolation. Allein. Ohne Eltern. Ohne die geliebten Geschwister. Die Eltern dürfen nicht einmal mit ihrer Tochter telefonieren. Den Schmerz und die Sorgen, die die Familie in diesen Wochen aushält, lässt sich nur erahnen.

„Ich kann mich leider an nichts erinnern“, sagt Ralitsa Liapi (55), die heute mit ihrer Familie in Gummersbach lebt und im Steueramt der Stadt Wiehl arbeitet. Auch in der Familie habe man nie über die schwere Erkrankung gesprochen.

Ein Jahr nach der Pocken-Epidemie besucht Ralitsa Schwester Elidia. Das Foto erscheint später in der Zeitung.  
Ein Jahr nach der Pocken-Epidemie besucht Ralitsa Schwester Elidia. Das Foto erscheint später in der Zeitung.   © Archiv

Erst viele Jahre später zeigt ihr der Vater Fotos aus Wimbern. „Ich weiß nur noch, dass ich einen riesigen Teddy bekommen habe. Vermutlich nach der Entlassung.“ Mit der Recherche diese Zeitung beginnt auch für Ralitsa Liapi eine Zeitreise in die Vergangenheit. Es tauchen alte Zeitungsartikel auf, Fotos, die die Fünfjährige zum Beispiel mit ihrem verstorbenen Vater Konstantinos zeigen. „Ich bin schon sehr gerührt, das alles zu lesen“, schreibt Ralitsa Liapi, als sie die Dokumente via WhatsApp erreichen. Auch ein Bild mit Magdalena Drinhaus ist darunter.

Die heute 71-Jährige aus Calle erkrankte damals ebenfalls. Auf der vergilbten Aufnahme sitzen die beiden auf einem beigefarbenen Sofa, das vor einer ebenfalls beigefarbenen Blütentapete steht. Ralitsas dünne Beine stecken in roten Kniestrümpfe und sie lächelt vergnügt. Mit ihrem Charme hatte sie schon schon in Wimbern alle um den Finger gewickelt hatte, Magdalena Drinhaus trägt die hellblaue Kluft mit weißer Schürze der Krankenschwestern im Walburga-Krankenhaus. Während die gebräunte Haut des Mädchens makellos ist, sind die Pockenmale bei Magdalena Drinhaus noch deutlich erkennbar. „Das war schon ein bisschen unfair. Es war wirklich nichts mehr zu sehen“, sagt Magdalena Drinhaus und lacht.

Magdalena Drinhaus erinnert sich noch sehr genau an das aufgeweckte Mädchen. „Es tat mir so leid, dass sie so allein war.“ Als es beiden besser ging, durfte sich die damals 21-Jährige, um die Kleine kümmern. „Ich weiß noch, wie wir vorm Fenster saßen und in den verschneiten Wald geschaut haben. Ich habe ihr dann das Lied „Schneeflöckchen, Weißröckchen“ beigebracht.“

Besondere Verbindung

Auch zu Schwester Elidia, die sich aufopferungsvoll um die Kranken auf der Pockenstation kümmerte, entsteht eine besondere Bindung und ein Kontakt, der viele Jahre hält.

Ralitsa Liapi (55) lebt heute in Gummersbach.
Ralitsa Liapi (55) lebt heute in Gummersbach. © Privat

„Oft bekomme ich Briefe von Ralitsa, in denen sie dann ihr Händchen mit vielen roten Küssen abmalt“, erzählte Schwester Elidia in einem späteren Interview. Der Kontakt hält viele Jahre.

Mit erst fünf Jahren hat Ralitsa Liapi eine schwere Meningitis und dann die Pocken überlebt. Wie geht es der Frau heute? 50 Jahre später? Seit den schweren Erkrankungen im Kindesalter war sie nie wieder ernsthaft krank. „Mich haut heute auch kein Schnupfen um. Die Pocken haben mich wahrscheinlich abgehärtet“, sagt sie und lacht.

Die 55-jährige Ralitsa Liapi lebt heute mit ihrer Familie in Gummersbach. Sie arbeitet im Steueramt der Stadt Wiehl.

Die Familie Liapis kam als Gastarbeiter aus Griechenland nach Meschede.

Ein Teil der Familie wohnt heute wieder in Griechenland, aber auch in Meschede leben noch Verwandte. Auch Ralitsa Liapi lebte eine Weile in Griechenland.

Zur Schreibweise: In Meschede ist der Nachname eher unter Liapis geläufig. In der griechischen Schreibweise ist es jedoch so, dass der weibliche Name ohne „s“ geschrieben wird. Daher heißt sie Ralitsa Liapi. Den Mädchennamen behalten griechische Frauen für gewöhnlich auch nach der Eheschließung.