Berge. . Ein Mann wird auf dem Sauerland-Radring von einem Baum erschlagen. Hat jemand Schuld? Vor dem Oberlandesgericht gibt es Hinweise darauf.

Das Land Nordrhein-Westfalen muss Schadensersatz an die Hinterbliebenen eines tödlich verunglücken Radfahrers zahlen. Darauf verständigten sich beide Seiten in einem Verfahren vor dem Oberlandesgericht in Hamm. Der Beschluss hat eine Signalwirkung.

 Komplett abgebrochen: Die Wurzel des Unglücksbaum bei Berge.
Komplett abgebrochen: Die Wurzel des Unglücksbaum bei Berge. © Sonja Arena

Es ist ein Dienstag im Juli 2014, Mittagszeit. Ein 66-jähriger Mann fährt über den beliebten Sauerland-Radring zwischen Berge und Wenholthausen. Es ist nahezu windstill, so wird es später in den Protokollen stehen. Auf einmal kracht eine Eiche herunter.

Tod durch schwere Kopfverletzungen

Sie begräbt den Mann unter sich, er wird schwer verletzt und bleibt bewusstlos liegen. Eine Gruppe Radfahrer erreicht die Stelle kurz danach und alarmiert die Rettungskräfte. Obwohl der 66-Jährige einen Helm getragen hat, stirbt er noch am selben Tag an seinen schweren Kopfverletzungen im Krankenhaus.

Die Polizei notiert: Der Baum sei morsch gewesen. Die Beamten vor Ort sind schockiert und sprechen von einem „unfassbaren Schicksalsschlag“. Die Hinterbliebenen werden von einem Notfallseelsorger betreut. Doch schon bald stellen sie die Frage: War das Unglück wirklich unvermeidbar?

Experte auf diesem Gebiet

In Oeventrop bei Arnsberg befindet sich die Kanzlei von Bernhard Kraas. Er ist zu einem Experten auf diesem Gebiet geworden. Der Rechtsanwalt hat vor Jahren einen vergleichbaren Fall betreut: Eine junge Radfahrerin wird bei Meschede von einem herabfallenden schweren Ast getroffen. Sie ist seitdem querschnittsgelähmt. Kraas klagt für seine Mandatin durch alle Instanzen. Es ist ein langer, schwieriger Weg. Am Ende gewinnt er den Prozess.

Das Beweisstück damals zersägt beim Landesbetrieb Straßenbau.
Das Beweisstück damals zersägt beim Landesbetrieb Straßenbau. © Privat

Jetzt dieser ähnliche Fall: Der Anwalt beschäftigt Sachverständige, er forscht selbst nach der Ursache - es wird wieder kein leichter Weg. Der Landesbetrieb Straßenbau zersägt das Beweisstück, noch bevor die Gegenseite es begutachten kann.

Anforderungen für Rad- und Fußgängerwege

Die Staatsanwaltschaft stellt das Strafverfahren gegen den Leiter der Behörde ein - es sei ein „schicksalhafter Unfall“ gewesen. Und das Landgericht Arnsberg weist die Zivilklage der Familie auf Schmerzensgeld und Schadensersatz ab. Darauf folgt die Berufung vor dem Oberlandesgericht in Hamm.

Zu einem Urteil kommt es nicht, der Senat schlägt den Beteiligten einen Vergleich vor. Doch zuvor lassen die Richter deutlich anklingen, wie sie die Schuldfrage bewerten: Sie sehen besondere Anforderungen für Rad- und Fußgängerwege.

Demnach hätte der Landesbetrieb Straßenbau die Bäume entlang der Strecke besonders genau prüfen müssen. „Zur Verkehrssicherung könnte eine bloße Baumbeobachtung durch den Landesbetrieb nicht ausreichend, sondern eine Baumkontrolle geboten gewesen sein“, heißt es in dem Beschluss.

Zahlreiche Auffälligkeiten

Was diese Einschätzung bedeutet, erläutert Pressedezernent Christian Nubbemeyer: Eine fachmännische Betrachtung der Bäume wäre notwendig gewesen - diese habe aber nicht stattgefunden. Was erschwerend hinzu kommt: Ein Sachverständiger berichtet dem Gericht von zahlreichen Auffälligkeiten an der umgestürzten Eiche.

Sie befand sich an einem Hang und war besonders schräg gewachsen, die Wurzel war nicht mehr zu sehen und von einer Esche umschlungen, aus der Krone ragten Äste heraus, so dass sie hätten brechen können. Der Fachmann ist überzeugt: Dass der Baum durchgefault war, wäre bei genauer Prüfung erkannt worden. Dass er bald gekippt wäre, hätte ein bloßes Ziehen an den Ästen gezeigt.

Beide Seiten haben eingewilligt

Nach dem Vergleich muss das Land 70 000 Euro an die Familie des Toten zahlen. Beide Seiten haben eingewilligt, sie könnten die Zustimmung noch bis nächste Woche widerrufen.

Landesbetrieb will Auswirkungen prüfen

Der Landesbetrieb Straßenbau will prüfen, welche Auswirkungen die Rechtsauffassung des Oberlandesgerichts Hamm auf die Gehölzpflege der Behörde hat. Dies sei noch nicht absehbar, sagte Pressesprecher Bernd A. Löchter.

Er verwies zudem auf das Spannungsfeld, in dem sich der Landesbetrieb befindet: „Wir stehen unter extremer Beobachtung zwischen denen, die sich für Bäume einsetzen, und jenen, die sie entfernt haben möchten.“

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