Menden/Arnsberg. .

Sie waren alle direkte Zeugen am Unglücksort: Sechs Männer und Frauen sagten am zweiten Prozesstag zum Schützenfestunglück aus. Sechs Aussagen mit interessanten Details.

Sie waren alle direkte Zeugen am Unglücksort, und sie haben am Mittwoch in ihren Aussagen eines übereinstimmend gesagt: Der 80-jährige Angeklagte sei am 19. Juli 2009 mit einer Riesen- Geschwindigkeit in den Festzug der Hubertus-Schützen gerast. Ob er auch gehupt hat, ist noch unklar.

Die entscheidenden Sekunden fehlen – sie fehlen in der Erinnerung des 80-jährigen Angeklagten. Das hat er jedenfalls beim ersten Prozesstag ausgesagt. Und so wird nun versucht, mit Zeugen eben jene Sekunden zu rekonstruieren. „Wir müssen die Mosaiksteinchen zusammensetzen“, so der Vorsitzende Richter Willi Erdmann. Denn nur so kann sich das Gericht der Antwort auf die Frage nähern: Warum scherte der 80-Jährige aus der Reihe wartender Fahrzeuge am Schwitter Weg aus und fuhr in den Festzug? Drei Tote und viele zum Teil lebensgefährlich Verletzte waren die Folge. Erschütternde Schilderungen der Zeugen gab es gestern: Einen „Knall“ habe es gegeben, Menschen seien durch die Luft geschleudert worden. Eine Zeugin brach nach der Aussage vor dem Verhandlungssaal in Tränen aus.

Sechs Zeugen wurden insgesamt gehört, das sind sechs Sichtweisen auf jene Sekunden. Hier die Kernaussagen:

52-jährige Hauswirtschafterin: Sie wartete mit ihrer Mutter in ihrem Pkw auf dem Schwitter Weg hinter dem Rettungswagen des Roten Kreuzes, der den aus der Bachstraße kommenden Festzug absichern sollte. Auf einmal habe sie „ein schwarzes Auto mit einem Affenzahn vorbeirasen“ sehen. Dann seien schon Menschen umhergeflogen. „Wie kopflos“ sei sie dann zur Unglücksstelle gelaufen, weil sie dort Bekannte vermutete.

Foto: Martina Dinslage
Foto: Martina Dinslage © WP

41-jährige Hauswirtschaftskraft: Sie stand mit ihrer Tochter und ihrer Nichte an der Fußgängerampel. „Der kam ganz schnell hinter dem Rettungswagen her“, erinnerte sie sich. An der letzten Gruppe der Schützen, den „Zivilisten“ mit Hut, sei der Rentner noch vorbeigefahren: „Aber dann gab es diesen ganz komischen Knall und die Offiziere sind umhergeflogen.“ Ein Bremslicht habe sie nie leuchten sehen und „ganz geradeaus“ sei der A-Klasse-Mercedes gefahren. Sie packte ihre Kinder und lief in die Bachstraße.

37-jährige Hausfrau: Sie wartete mit ihrem Auto in der Schlange, war aber mit den beiden Kindern ausgestiegen, um den Festzug anzusehen. Als sich das Ende anbahnte, seien sie zurück ins Auto gegangen. Da habe sie gehört, wie der Angeklagte mehrmals heftig hintereinander Gas gegeben habe: „So wie es junge Leute vor der Ampel machen.“ Dann sei er losgerast: „Ich dachte erst, er wollte in die Bachstraße.“ Doch er fuhr geradeaus in die Menschen. Geschockt suchte die Zeugin ihre Mutter, die sich den Festzug anschauen wollte.

58-jähriger Industriekaufmann: Mit seiner Frau stand er an der Fußgängerampel, um sich den Festzug anzuschauen. „Ich sah den schwarzen Wagen kommen. Da habe ich zu meiner Frau gesagt: ‘Der kann doch nicht hier herfahren, der fährt doch Leute tot.’“ Und der Zeuge blieb auch auf Nachfrage dabei: „Der Fahrer hat vier oder fünf Mal gehupt.“

31-jähriger Busfahrer: Er stand mit seiner Frau und seinen Kindern gegenüber der Bachstraße. Er hörte das laute Motorengeräusch. „Ich habe sofort gedacht, dass der Fahrer in den Kick-Down geschaltet hat“. Das Geräusch war ihm vertraut, da er selbst ein Automatikauto fährt – auch das Unglücksauto war eines. Er sah, dass der Mercedes in die Menge raste, hielt seinen Kindern die Augen zu, schickte sie dann sofort mit seiner Frau weg und leistete Erste Hilfe.

38-jährige Hausfrau: Auch sie stand mit zwei Kindern gegenüber der Bachstraße, als sie den Mercedes heranrasen sah. „Und da habe ich sofort gesagt: ‘Was ist denn das für ein Idiot.“ Auch sie hatte als Automatikfahrerin das bei großer Beschleunigung entstehende Kick-Down-Geräusch erkannt. Und zumindest in der polizeilichen Aussage hatte auch sie sich klar an Hupgeräusche erinnern können.

Als einzige Zeugin hatte die 38-Jährige direkt in den Wagen reingeschaut: „Ich habe gesehen, wie der Fahrer den rechten Arm hektisch bewegt hat, als wolle er sagen: ‘Geht aus dem Weg.’“ Und weil sie auch die Ehefrau starr auf dem Beifahrersitz sitzen gesehen habe, habe sie spontan gedacht: „Der Mann muss mit ihr schnell ins Krankenhaus Wimbern.“ Doch er raste in den Festzug, in dem auch ihr Mann marschiert war. Sie rief ihn sofort an, er war schon bei der Schützenhalle.

All diese Zeugenaussagen hörte auch der Angeklagte. Ob er sich dadurch jetzt erinnern könne, fragte Richter Erdmann. Doch er konnte nur sagen: „Nein, absolut nicht.“